IMMER WIEDER DAS GLEICHE MIT DER WIEDERHOLUNG?
Gespräch zwischen Cornelia Sollfrank und Silke Wenk nach der Eröffnung der Ausstellung
re.act.feminism. performancekunst der 1960er und 70er jahre heute, Akademie der Künste Berlin, im Dezember 2008 |
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S.W.:
Ein spannendes Prinzip deiner verschiedenen
Arbeiten – von den Warhol-Flowers bis
hin zur Schießaktion nach Niki de Saint Phalle
bei der Eröffnung der Ausstellung re.act.feminism
– ist das der Wiederholung oder gar der Wiederholung
der Wiederholung. Du hast dies selbst
einmal, und das finde ich nach wie vor überzeugend,
als eine »zeitgenössische Methode der
Erkenntnisgewinnung« bezeichnet.
C.S.:
Sicherlich ist Wiederholung eine mögliche
»Betrachtung« eines »Gegenstandes«, eine Annäherung
– vielleicht auch eine Entfernung davon.
Warum wiederholt man ausgerechnet das, was
man wiederholt, und warum wiederholt man es?
In meiner Reihe Re-visiting feminist art grenze ich
den Gegenstand der Wiederholung ein auf feministische
künstlerische Arbeiten. Es geht also
nicht nur abstrakt um Wiederholung als solche,
sondern immer auch um den Gegenstand. Nicht
unwesentlich scheint mir zudem die Frage, was
der Gegenstand mit dem Verfahren zu tun hat.
S.W.:
Sicherlich ist es von Belang, was du zur
Wiederholung auswählst. In einem anderen
Werkkomplex sind es die Warhol-Flowers. Sie
sind signifikant, handelt es sich doch um Arbeiten
eines Künstlers, der seinerseits mit den neuen
Medien seiner Zeit Vervielfältigtes noch einmal
vervielfältigte, mit populären Massenprodukten
nicht nur den etablierten (amerikanischen)
Kunstbetrieb der High Brows provozierte, sondern
eben zugleich mit der Kritik der Idee des
originalen, an eine einzigartige Handschrift
gebundenen Kunstwerks sich einen Namen als
einzigartiger Künstler und Autor machte. Diese
Paradoxie ist ein wichtiger Ausgangspunkt deiner
Warhol-Flowers – der »Sollfrank-Warhol-
Flowers« – in denen du auf der nächsten Ebene
medialer Entwicklung, der digitalen (Re-)Produktion,
die Frage der Vervielfältigung oder
der Reproduktion von Originalen – die im klassischen
Sinne eigentlich keine sind, wie z.B. auch
die Fotografie von Patricia Caulfield, die Warhol
als Vorlage für seine Drucke benutzt hatte, – praktisch
und konkret weiter durchspielst. Du bringst
dich als »Autorin« ein und stellst diese Position
zugleich in Frage, indem du Ernst machst mit
Warhols »I want to be a machine« oder als ein
»smart artist« die Maschine die Arbeit machen
lässt und diese gewissermaßen auf endlos stellst.
C.S.:
Das Verfahren, das ich bei den Warhol-
Flowers anwende, würde ich nicht direkt als Wiederholung bezeichnen. Anders als etwa
Elaine Sturtevant versuche ich nicht, dem »Original
« möglichst nahe zu kommen, sondern lasse
gerade soviel davon übrig, dass es als Referenz
noch erkennbar bleibt. Letztendlich grenze ich
durch die Eingabe des Suchbegriffs einen Fundus
von Bildern ab. Dann kommen eine Maschine
und das Prinzip Zufall dazu – also gewisse Automatismen,
die aus den Bestehenden neue Bilder
collagieren. Außerdem benutze ich den Bildspeicher
Internet, weil sich dort die zu einem
bestimmten Suchbegriff gelieferten Bilder ständig
verändern und vermehren. Ich mache nun
seit 2004 Collagen mit dem Netzkunstgenerator
und es gibt immer wieder ästhetische Verschiebungen,
die nicht durch das Programm zustande
kommen, sondern durch das Quellmaterial.
Damit wird das Netz als Medium in den Bilderreihen
mitreflektiert, ohne dass ich irgendeine
Kontrolle darüber habe. Das ist auch ein Grund
dafür, warum ich so lange mit demselben Motiv
gearbeitet habe: um wirklich diese Veränderungen
ablesen zu können. In diesem Sinne ist es
dann natürlich auch eine Wiederholung.
S.W.:
Dadurch wird deutlich, dass Wiederholung
oder auch Reproduktion nie bloße »Wiederholung
« ist. Aber weiter noch, ich möchte deine
Methode der Wiederholung als eine subversive
bezeichnen, als Re-Inszenierung eines bereits
existierenden und höchst effektiv arbeitenden
Regel- und Bedeutungssystems, das »Kunst« mit
seinen wesentlichen Parametern von Autorschaft,
Authentizität und Original erst produziert. Wobei
du ja zunehmend, wenn ich an die Ausstellung
Originale und andere Fälschungen denke – auch
auf unterschiedliche Weise – in die Rollen der
verschiedenen Agenten dieser Systeme – von
Kunstgeschichte und -kritik, von Museum und
nicht zuletzt dem des Rechts – schlüpfst und die
von diesen geteilten, sicherlich nicht immer bewussten,
Regeln ihres gemeinsamen Spiels erprobst
und austestest.
Ich spreche in Anlehnung an Judith Butler von
einer subversiven Wiederholung, die die Konstruktion
und deren Regel(mäßigkeiten) – hier
eben nicht von »Geschlecht«, sondern von
»Kunst« – durchspielt und dadurch als solche
kenntlich macht.
C.S.:
Diesen Gedanken finde ich sehr wichtig,
denn es wird häufig suggeriert, Kunst sei einfach da und unterliege keinen Regeln – insbesondere
»gute« Kunst. Dieses vehement betriebene Negieren
einer Existenz von Regeln für Kunst, nach
denen sie überhaupt erst als solche entsteht, also
ihre Konstruiertheit, macht es für mich notwendig,
danach auf die Suche zu gehen und diese
– mit künstlerischen Mitteln und als Teil meiner
Arbeit als Künstlerin – sichtbar werden zu
lassen. Wiederholung bietet sich dafür an, denn
sie verursacht eine direkte Störung der für das
Kunstsystem wichtigen Mechanismen.
Und manchmal muss man gar nicht selbst wiederholen,
sondern sich nur das bereits durch
andere Wiederholte aneignen. Den Höhepunkt
stellen in dieser Hinsicht die manuell in China
hergestellten Ölgemälde der Warhol-Flowers dar.
Die meisten Malfabriken haben sie in ihrem Standard-
Repertoire. Das Motiv ist sowohl für den USamerikanischen
wie den europäischen Markt gut
geeignet. Und ich kann sie da einfach bestellen.
S.W.:
Warhol in Öl ist aufregend. Werke des
Popkünstlers, der sich gegen die traditionellen
Wertkriterien wie Originalität und Einzigartigkeit
des Werkes wandte – wofür auch das Ölgemälde
steht – kommen nun aus anderen Teilen
der Welt ebenso »geadelt« oder re-auratisiert zurück.
Gleichsam ein ungewollt subversiver Akt,
der uns die Mechanismen des westlichen Kunstbetriebs
zurückspiegelt?
C.S.:
Oder vielleicht einfach nur eine gigantische
Kunstaktion: Die endlosen Wiederholungen der
westlichen Kunstgeschichte, inklusive sämtlicher
moderner und postmoderner Ansätze
– alles handgefertigt und in Öl … Sogar der gesamte
Louvre wird wiederholt: nicht nur in Dubai,
sondern auch in Dafen, einem Stadtteil von
Shenzhen und Hochburg der chinesischen Malfabriken.
Dass das – vermutlich überraschende
– Rückkoppelungen auf das westliche Kunstsystem
verursachen wird, insbesondere auch im
Hinblick auf Fragen von Autorschaft und Originalität,
scheint mir vor-»programmiert«.
Eine nette Anekdote ist noch, dass ich zusätzlich
ein vom Netzkunstgenerator bearbeitetes Blumenmotiv
als Ölbild in Auftrag gegeben habe,
was durch die pixelige Struktur sehr viel schwieriger
zu malen und deshalb fast doppelt so teuer
war wie die Rembrandt-Kopie, die ich davor
auch in Auftrag gegeben hatte. Das »Material«
zeigt sich also durchaus widerspenstig! Glücklicherweise
gibt es auch schon auf Pixel spezialisierte
Ölmaler in der Malfabrik.
S.W.:
Durch deine Form einer »Re-Originalisierung
« der Warhol-Flowers – sei es als Ölgemälde
oder auch als Siebdrucke – kann das Spiel zwischen
Original und Reproduktion von Neuem
eröffnet werden. Das eine ist, wie wir schon von
Walter Benjamin lernen konnten, ohne das andere
nicht zu denken. Das machst du explizit,
führst es uns vor – als Spiel, dessen Regeln du
zugleich parodierst.
S.W.:
In welchem Verhältnis aber steht nun dieser
Werkkomplex nach und mit Warhol zu den Aktionen
deiner Reihe Re-visiting feminist art? Was sind
die Ähnlichkeiten und was macht den Unterschied
aus? Zunächst einmal ist offensichtlich: Hier bist
du selbst mit deinem Körper dabei, und du führst
es auf. Wann genau hast du diese Reihe begonnen?
C.S.:
Die Idee dazu entstand 2005, die erste Aktion
fand 2006 statt. Eines Tages blieb ich an der
Hundeaktion von VALIE EXPORT hängen. Die
inzwischen fast ikonischen Fotos davon hatte
ich schon oft gesehen, und ich stellte mir vor,
was passieren würde, wenn ich ihre Stelle einnehmen
würde. Es ist feministische Kunst, die
wichtig für mich selbst war als Künstlerin. Es
geht dabei um die Darstellung oder Ausübung
weiblicher Aggression und die Frage, was diese
historischen Arbeiten heute noch für eine Bedeutung
haben oder haben können. Ich wollte
nicht nur darüber nachdenken, sondern wirklich
eine praktische Versuchsanordnung machen
– auch, um heraus zu bekommen, inwieweit die
von EXPORT entwickelten Strategien der Intervention
noch heute einsetzbar sind, gegen ihre
Vereinnahmung durch den Kunstbetrieb. Da wir
eine ganze Künstlerinnengeneration auseinander
liegen, kollidierten dabei dann auch unterschiedliche
Vorstellungen von Kunst, inklusive Werkbegriff
und Künstlerinnenbild, und Feminismus.
Diese Aktion fand im Übrigen in einem Einkaufszentrum
in Hamburg-Harburg statt, während
direkt nebenan gleichzeitig in der Sammlung Falckenberg
eine Einzelausstellung von Peter Weibel
gezeigt wurde, in der auch das Video der Straßenperformance
von 1968 zu sehen war.
Überraschenderweise sind durch dieses Sich-
Aussetzen auch noch eine Reihe persönlicher
Erfahrungen für mich entstanden.
S.W.:
Welcher Art sind die Erfahrungen?
C.S.:
Mich in der Aktion Spring in Paris als Voyeurin
durch die Stadt zu bewegen und heimlich
Aufnahmen zu machen, bedeutete beispielsweise,
mich physisch einem Risiko auszusetzen
– was im Übrigen auch bei der Hundeaktion in
Harburg der Fall war. Und da kam auch noch
eine andere Art der Interaktion dazu, die mit
meinem »Hund«, mit Monty Cantsin. Egal wie
theoretisch oder konzeptuell man das angeht,
es passiert auch etwas zwischen den Beteiligten,
was nicht vorhersehbar ist.
S.W.:
Aber die Aktionen erschöpfen sich nicht in
deinen eigenen Erfahrungen.
C.S.:
Es sind öffentliche Aktionen mit Publikum.
Allerdings kann ich nicht für die Erfahrungen des Publikums sprechen, nur darüber, was ich
beim Publikum beobachtet habe. Was denkst du
denn, was da passiert? Was passiert für dich?
S.W.:
Leider konnte ich ja nicht bei der Hunde-
Aktion dabei sein. Aber, was ich spannend finde,
ist, dass bestimmte feministische Kunst-Aktionen
wie zum Beispiel in der Ausstellung re.act.feminism wieder in Erinnerung gebracht werden.
So kann wieder in den Blick geraten, welche
Bedeutung die Arbeiten verschiedener Künstlerinnen
für das Aufbrechen scheinbar natürlicher
Geschlechterpositionen hatten – und ebenso für
eine kritische Befragung tradierter Vorstellungen
von Werk und Künstlerinsubjekt. Ich freue mich
darüber, dass diese Arbeiten gleichermaßen wieder
in das »kollektive Gedächtnis« zurückgeholt
werden. Aber dabei wird auch eine mögliche
Gefahr der Musealisierung erkennbar – insbesondere,
wenn die Arbeiten der Künstlerinnen
ihrerseits dekontextualisiert werden, das heißt
abgelöst von den sozialen Bewegungen dieser
Jahre präsentiert werden. Problematisch finde
ich, wenn somit diese feministischen Interventionen
nun als vermeintlich geschlossene Werke
in einen kunsthistorischen Kanon aufgenommen
werden, die darin aufgereihten Meisternamen
nur ergänzend. Aber das ist nur die eine Seite.
Auf der anderen Seite frage ich mich darüber
hinaus: Was ist das Andere, das Neue, das sich
hier durch die Wiederaufführung der frühen
feministischen Projekte im ersten Jahrzehnt des
21. Jahrhunderts ereignet? Auch für derartige
Re-Enactments gilt sicherlich, dass jede Wiederholung
etwas anderes zu Tage fördert.
Was hier mit re.act.feminism versucht wird, lässt
sich ja als Teil einer breiteren Bewegung sehen:
Seit einiger Zeit wird an verschiedenen Orten
immer wieder versucht, künstlerische Aktionen
und Verfahren aus den 1960er und 70er Jahren,
nicht nur feministische, in unsere Gegenwart zu
übertragen. Ich teile die Faszination und verstehe
den Wunsch, dass derartige künstlerische
Aktionen in ähnlicher Weise heute etwas bewirken
mögen. Jedoch haben manche Versuche der
Wiederholung oder Wiederaufführung für mich
eher den Effekt der Ernüchterung, um nicht zu
sagen der Langeweile. Was häufig bleibt, ist eine
Art Nostalgie. Ich denke, es wird deutlich, dass
eine Wiederaufführung, will sie subversiv sein,
auch eine strategische Übersetzung enthalten
sollte. Damit meine ich, es ist mit zu reflektieren,
wie sich das mediale Umfeld oder auch die
Geschlechterverhältnisse seither verändert haben,
welche Verschiebungen sich vollzogen haben.
Schließlich hat es ungeheure Entwicklungen
gegeben in den letzten 40 Jahren. Allein schon
durch die so genannten »Medienrevolutionen«
und die durch diese enorm beschleunigte Zirkulation
der Bilder.
C.S.:
Zuerst zur Frage der Publikumserfahrung:
In einem Text, den ich direkt nach der Hundeperformance
geschrieben habe, habe ich einige
Beobachtungen festgehalten. Eine ist zum Beispiel,
dass die Großzahl der Passanten in dem
Einkaufszentrum, in dem die Aktion stattfand,
sofort ein Handy oder sogar eine Digicam herausholte
und die Performance filmte. Das heißt,
die Leute haben gar nicht mehr direkt zugesehen,
sich der Erfahrung nicht ausgesetzt, sondern
zwischen sich und dem, was sie irritierte,
ein technisches Abbildungsgerät gehalten.
S.W.:
Durch diese neuen Medien wird VALIE
EXPORTS Aktion jetzt für jede Kamera und jeden
Computer zu Hause aufbereitet. Das Remake
bewirkt – als ein Resultat – allgemeine
Verfügbarkeit.
C.S.:
Das ist sicher ein wichtiger Aspekt. Aber
es stellt sich sofort wieder die Frage, was diese
allgemeine Verfügbarkeit bedeutet. Das Sich-Verbergen
hinter der Linse fand ich fast noch wichtiger,
ein Sich-Verbergen hinter den Medien, um
sich so vor dem, was irritiert, zu schützen.
S.W.:
Das Nicht-Gesehen-Werden-Wollen beim
Zuschauen gehört jedoch immer schon zum
Phänomen des Voyeurismus, das hat ja auch VALIE
EXPORT zum Beispiel im Tapp und Tastkino
thematisiert.
C.S.:
Eine andere Beobachtung war, dass sich die
Bilder der Hunde-Performance plötzlich assoziativ
überlagerten mit den Bildern der US-Soldatin
Lynndie England, die in Abu Ghraib einige Zeit
vorher irakische Kriegsgefangene gefoltert und
gedemütigt hatte, unter anderem, in dem sie sie
auf allen Vieren an einer Leine führte.
S.W.:
Genau, das war in derselben Zeit. Das
verweist noch einmal auf die Kontexte, die Bedeutungen
einzelner Werke oder Aktionen verkehren
können.
C.S.:
Der dritte Aspekt war, dass es für breite Bevölkerungsschichten
inzwischen sehr viel selbstverständlicher
ist, mit Pornografie umzugehen,
sich passiv oder aktiv mit SM-Praktiken zu beschäftigen.
Handschellen und Halsbänder gibt es
überall zu kaufen.
S.W.:
Insofern sind, wie du es bereits angedeutet
hast, deine »Wiederholungen« solcher frühen
feministischen Aktionen auch Experimente, um
deren mögliche »Sprengkraft« heute zu ermitteln.
Wichtig ist dir dabei auch die Frage »weiblicher
Aggression«. Inwiefern diese heute von
Belang ist, ist eine Frage, die du in den Raum
stellst.
Dass Lynndie England und VALIE EXPORT durch
dein Auftreten in eine Verbindung gebracht
werden, ist natürlich brisant. Wir haben Soldatinnen,
von denen wir sehen, dass sie nicht
»besser« sind als ihre männlichen Kollegen.
Gleichzeitig ist dieses Bild von Lynndie England
sehr aufgeladen. Meine These ist, dass dieses Bild
eine ähnliche Funktion hatte wie das Bild der
KZ-Aufseherin nach 1945, nämlich eine Entlastungsfunktion
– ich verweise hier auf jüngere
historische Analysen, die zum Beispiel in dem
von Insa Eschebach, Sigrid Jacobeit und mir
herausgegebenen Band Gedächtnis und Geschlecht (1)
publiziert sind. Die Soldatin England wurde zu
einer Figur, der man eine doppelte Entgleisung
vorwerfen konnte: Nicht nur die der Überschreitung
der Grenzen militärischer Gewalt zur
Folter, sondern auch die der Regeln von »Weiblichkeit
«, indem sie sich anmaßte, dasselbe tun
zu können, was Männer tun.
C.S.:
Damit haben wir jetzt einige Beispiele dafür
gefunden, wie Wiederholungen produktiv
werden können. Ich möchte aber deine oben
geäußerte Beobachtung, dass Wiederholungen
oft langweilig geraten, noch einmal aufgreifen.
Ich finde, Enttäuschung ist ein wichtiger Teil der
Wiederholung.
Egal, was wir wiederholen – etwas, das wir faszinierend,
wichtig, cool, radikal etc. finden, oder
etwas, das wir kritisieren wollen – das, was bei
der Wiederholung entsteht, wird etwas anderes
sein. Gerade beim Sujet der feministischen Kunst
besteht ja eine hohe Identifikation bei Vielen
– wie auch bei anderen radikalen Äußerungen
dieser Zeit. Die damaligen Rebellinnen sind
heute heroische Ikonen. Sie stehen für etwas,
woran man Anteil haben möchte – vielleicht,
indem man es wiederholt. Und genau das klappt
offenbar nicht. Es wird deutlich, dass das Wiederholte
Geschichte ist und genau deshalb nicht
mehr dieselbe Wirkung haben kann. Das Publikum
wird auf sich selbst zurück verwiesen, auf
seine Erwartungen. Vielleicht geht dabei sogar
die Identifikation verloren. Ist es nicht genau die
Wiederholung, die uns von der Nostalgie und
der verklärenden Rückwärtsgewandtheit kuriert?
S.W.:
Ich würde sagen: kurieren kann. Um nicht
in Resignation oder Passivität zu fallen, muss
man die Herausforderung annehmen wollen,
umzudenken und die experimentelle Anordnung
weiter zu entwickeln.
C.S.:
Wiederholung und Enttäuschung sind ein
guter Anfang dafür. Du hast vorhin das Stichwort
»weibliche Aggression« gebracht. Das ist das,
was die von mir ausgesuchten Arbeiten verbindet:
Sie inszenieren weibliche Aggressivität. Und
eine weitere Arbeit, die ich noch geplant habe,
ist eine Lesung des SCUM-Manifestos. Das ist mir
noch wichtig, denn seine Verfasserin, Valerie Solanas,
hat 1968 mehrmals auf Andy Warhol geschossen
und ihn schwer verletzt. (Damit sollte
dann auch geklärt sein, dass ich mich nicht seit
Jahren mit den Warhol-Flowers beschäftige, weil
ich eine ödipale oder fetischisierende Beziehung
zu Warhol habe.) Der Text ist immer noch sehr
aktuell, insbesondere der Teil, in dem sie über
den Kunstbetrieb schreibt. Als Ort für die Lesung
des Manifesto kann ich mir nichts Geeigneteres
vorstellen als die Eröffnung einer Kunstmesse...
S.W.:
Du möchtest also die Rolle der Missetäterin
der Avantgarde der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts,
als die nicht wenige Solanas verstehen,
auf- und durchspielen?
C.S.:
Sicherlich sind die wiederholenden Aktionen
dazu geeignet, auch Aussagen über ihren
Gegenstand zu produzieren. Genauso sicher ist
aber, dass sie nicht mehr das auslösen, was sie
»zu ihrer Zeit« auslösten. Wenn es um weibliche
Aggressivität heute geht, müssen wir nach ganz
anderen Bildern, Formen und Aktionen suchen.
S.W.:
Ich würde gern den Begriff der »weiblichen
Aggressivität« etwas genauer fassen, denn
es geht ja offenbar gar nicht darum, dass Frauen
wirklich physische Gewalt ausüben, sondern
dass per se ihre Existenz in bestimmten Bereichen nicht gerne gesehen wird oder eben gar
als agressives Eindringen in ein Terrain wahrgenommen
und gedeutet wird, in dem sie bislang
keine aktive Rolle spielen sollten.
C.S.:
Aggression bedeutet, die zugewiesene Rolle
zurückzuweisen, sie zu erweitern oder zu überschreiten.
Darstellungen von weiblicher Dominanz,
gar durch Bewaffnung, oder einfach auch
durch technische Kompetenz, stehen genau dafür.
S.W.:
Das Problem wäre damit nicht, dass eine
Frau – gar im konkreten Sinne – handgreiflich
wird, sondern dass sie sich das Recht herausnimmt,
genau das zu tun, was ihre gleich qualifizierten
männlichen Kollegen tun. Das scheint
ja nicht selten selbst schon als Aggression empfunden
zu werden, auch aus dem schlichten
Grund, dass selbstverständliche und geschlechtsbedingte
Privilegien in Frage gestellt werden. So
sollten wir hier vielleicht nicht von »weiblicher
Aggressivität« sprechen, was ja auch die Gefahr
einer Essentialisierung und Biologisierung enthält,
sondern von Strukturen und den von und
in diesen hervorgebrachten Projektionen.
C.S.:
Befragt nicht die Wiederholung einer Aktion
genau diese Strukturen daraufhin, ob und
wie sie sich verändert haben in den letzten 40
Jahren? Die Grenzen haben sich sicherlich verschoben,
aber sie sind noch da.
S.W.:
So bleibt die Frage, wie über künstlerische
Arbeit als Experiment oder auch als Probe-Handeln
mit und in den Spielregeln, die den Kunstbetrieb
am Laufen halten, diese weiter ausgetestet
und zugleich unterlaufen werden können. Wiederholungen
können die Regeln bestätigen – nur
so behalten sie ja auch ihre Gültigkeit. Man kann
ihre Gültigkeit, ihr scheinbar naturgesetzliches
Wirken aber eben auch durch ihre radikale Offenlegung
im ästhetischen Experiment in Frage
stellen, indem man sich der Spielregeln zu bemächtigen
versucht, sie bis an die Grenzen des
Absurden durchexerziert – und sie damit auch
der Lächerlichkeit überführen kann. Ein Lachen
über Strukturen und die sie bestätigenden Regeln
kann befreiend wirken, Distanz herstellen
und auf diese Weise auch die Lust am nächsten
Experiment freisetzen. In diesem Sinne bin ich
gespannt auf deine nächsten Aktionen.
(1) Insa Eschebach, Sigrid Jacobeit, Silke Wenk (Hg.), Gedächtnis
und Geschlecht. Deutungsmuster in Darstellungen des nationalsozialistischen
Genozids, Frankfurt/M. / New York, 2002
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