Booms, Blasen und das Latte-macchiato-Land
Dieser Artikel erschien zur Ausstellung in der Kunsthalle Exnergasse in: Der Standard, 21. Mai 2015, p. 31
„Life’s Fines Values“ im Wuk zeigt Videos zum Ausverkauf der Städte und stiftet Rebellionspotenzial
Anne Katrin Feßler
Wien – „Dividendenregen und Kaviarträume nehmen uns unsere Freiräume.“ Als das Kollektiv The Good, The Bad & The Ugly 2013 anlässlich des drohenden Abrisses der Essohäuser in Hamburg die Dämonen der Gentrifizierung musikalisch an den Pranger stellte und mit Reimen wie „Die Fratze des Teufels steht vor unser Tür, bayrische Babylonier mit Machtgespür“ bedachte, war das auch eine Reaktion auf das Album The Fine Art of Living der Berliner Künstlerin, Kuratorin und Musikerin Ina Wudtke aka DJ T-INA Darling.
Wudtke hatte 2009 ganze sechs Stücke dem Mietwucher und der Invasion der Investoren in der deutschen Hauptstadt gewidmet; für den Albumtitel eignete sie sich sogar den Slogan der „Feinde“ an, einer Luxusimmobilienfirma, die in Berlin Wohnungen für die schöne – und insbesondere exklusive- Art des Lebens anpries. „Boom boom plisch plop – blow my fuckin’ top!“ umschreibt der Refrain ihres Titelsongs lautmalerisch die „Zwischenfälle“ bei der Sanierung der Spekulationsobjekte, die Altmieter in die Flucht schlagen. „Ihr habt die Wüste in einen bewohnbaren Wohnort verwandelt. Ich nehme ihn Euch weg!“, gibt sie den schmierigen, renditehungrigen Anzugträger im Video zu The Law. Aus Pionieren der Gentrifizierung wurden Opfer der Gentrifizierung, sagt Ina Wudtke, die dem Thema nun gemeinsam mit Florian Wüst in der Kunsthalle Exnergasse im Wiener Wuk eine Ausstellung widmete: Life’s Finest Values – ebenfalls nach dem flotten Motto einer Immobilienfirma benannt, zeigt zwölf Videos zu einer nicht nur lokalen, sondern globalen Fehlentwicklung. Es sind die Künstler und Künstlerinnen, die Kreativen, die Wohngegenden für die sogenannte „Latte-macchiato“-Mafia attraktiv machen. Ihre prekären Einkommensverhältnisse machen sie aber ebenso zum Opfer der Verteuerung wie andere Niedrigeinkommensschichten. Berlin versuchte in den vergangenen Jahren, durch die Privatisierung von Häusern des kommunalen Wohnungsbaus Geld in die Pleitekassen zu spülen. Bereits 2008 war der Anteil kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungen am gesamten Bestand von 30,6 (2000) auf 23,6 Prozent heruntergerasselt.
Inzwischen sei es ein Wert
um 18 Prozent, mahnt Ina Wudtke. Kürzlich wurde wenigsten die „Mietpreisbremse“
installiert. Zwar sieht sie die Situation im „Roten Wien“ rosiger aus, trotzdem
macht die von antikapitalistischen Gedanken Henri Lefebvres („Recht auf Stadt,
1968) und David Harveys („Rebellische Städte“, 2013) geprägte Schau hier Sinn:
Im Gegensatz zu Marx, der die Vorhut des revolutionären Wandels im Proletariat
aus den Fabriken erwähnte, erkannte der marxistische (Stadt-) Soziologe
Lefebvre die urbanen Dimensionen des Revolutionspotenzials. Auch Harvey, der
Städte als Abbilder der kapitalistischen Dynamik von Boom und Krise ansieht,
glaubt daran, dass Wohnorte und Nachbarschaft Schauplätze sozialer wie
politischer Solidarität sind.
Von dokumentarischen bis zu experimentellen Zugängen reicht die Bandbreite der
ausgewählten Filme. Selbst antikapitalistische Betrachter müssen hier jedoch
stark – aber gut – investieren: Zeit. Das Phänomen einer revolutionären Moderne
zeigt etwa Microbrigades (2013) über Laienbautruppen in Kuba, die von 1971 bis
1975 jährlich bis zu 20.000 Wohnungen errichteten. Annika Eriksson I am the dog that was always here (2013)
ist hingegen ein schwermütiges Filmgedicht, in dem in der Peripherie Istanbuls
ausgesetzte Hunde zum Symbol für Opfer der Gentrifizierung werden. Ein
besonderes Highlight ist der perfekt produzierte Film The Good Life des Duos Vermeir & Heiremans. Die Umwandlung
einer Kunsthalle in Luxuswohneinheiten inszenieren sie in einer Gebäudehülle:
Die ist ebenso leer wie die angepriesenen Lifestyle-Philosophie.
Bis 30.5.; Film & Diskussion, 29.5., 19 Uhr