Glaubensfragen
Annette Wehrmann über Ina Wudtke im Martin-Gropius-Bau und in der Galerie Meerrettich, Berlin
Dieser Text erschien im Texte zur Kunst, Heft Nr. 60, 2005
In aktuellen Diskussionen um sexistische Diskriminierung, vor allem unter muslimischen Migranten, wird die gar nicht lang zurückliegende, strikt patriarchalische Verfassung der deutschen Gesellschaft in der Regel verleugnet. Verdrängt wird beispielsweise der Umstand, das verheiratete Frauen in der Bundesrepublik bis zur Neuformulierung des Eherechts in den siebziger Jahren die Erlaubnis ihres Mannes benötigten, wenn sie außerhalb des Hauses arbeiten oder ein eigenes Konto eröffnen wollten. Mühsam errungene, häufig genug gegen den Willen der gesellschaftlichen Mehrheit erkämpfte Rechte werden so zu unumstößlichen Bestandteilen einer homogenen ethnisch-deutschen Identität umdefiniert. Dem gegenüber stehen in diesem Szenario die als gleichermaßen homogen und in sich geschlossen dargestellten kulturellen Identitäten der jeweiligen Migranten.
Um so wichtiger erscheinen da künstlerische Projekte wie „believe“, das patriarchiale gesellschaftliche Verhältnisse anhand des Heiratsrechts beispielhaft in drei von den großen monotheistischen Religionen geprägten Gesellschaften – Israel, Deutschland und der Türkei – untersucht. Die Berliner Künstlerin Ina Wudtke beschäftigt sich in Fotoserien und Installationen mit gesellschaftlichen Konstruktionen von (Gruppen-) Identitäten und deren Formulierung in Dresscode und Habitus, etwa in jugendlichen Subkulturen oder im Militär. In den letzten Jahren steht die habituelle Identitätskonstruktion männlicher Angehöriger der monotheistischen Religionen im Mittelpunkt. In diesem Kontext sind seit 2001 Fotoserien von deutschen Benediktinermönchen, männlichen orthodoxen Lubawitscher Juden in New York und traditionell religiösen Männern in Istanbul entstanden. Gemeinsam ist allen diesen Gläubigen die Bewahrung patriarchialer Traditionen und die Formulierung ihrer religiösen Identität und deren Abgrenzung nach außen durch besondere Kleidung. Ina Wudtkes multimediale Arbeit „believe“, die sie zeitlich versetzt in drei Versionen als Foto- und Videoinstallation in der Ausstellung „Focus_Istanbul“ im Berliner Martin-Gropius-Bau und in der Galerie Meerrettich zeigte, beruht auf diesen drei Fotoserien und Interviews zum Heiratsrecht in Israel, Deutschland und der Türkei, die sie mit der Turkologin Heidi Wedel und der Religionswissenschaftlerin Katja Deckert geführt hat. „believe original“, eine Fotoinstallation der drei Serien in Form eines Fast-Forward Zeichens, war als zeitlich letzter Block im September bei Meerrettich zu sehen. Jüdische, christliche und muslimische Orthodoxe bilden in historischer Abfolge die drei Folgepfeile und verweisen damit auch auf die DVD-Remixe des Projekts. Bei diesen wurde auf drei Flachbildmonitoren bei „Focus_Istanbul“ sowie in Anlehnung an das Computerspiel „Tetris“ als DVD-Projektion, die etappenweise von oben nach unten hüpfende und fallende und schließlich unten sich zu Blöcken gruppierende Fotos zeigte – die Abbildungen der religiösen Männer den Aussagen beider Wissenschaftlerinnen gegenübergestellt. Das Bild, das sich im Verlauf der Interviews herauskristallisiert, ist vielschichtig: Neben Analysen der Rechtsgebung und der derzeitigen gesellschaftlichen Situation in den drei Ländern werden die historischen Wurzeln und Querverbindungen der drei Rechtssysteme aufgezeigt und überraschende Informationen zutage gefördert, wie etwas der eingangs erwähnte Umstand, dass das deutsche Eherecht bis in die siebziger Jahre hinein auf der Hausgewalt des Mannes basierte, oder die Herleitung des türkischen Zivilrechts aus dem Schweizer Zivilgesetzbuch, das in den zwanziger Jahren weitestgehend übernommen wurde. Dadurch werden Differenzen, aber auch die Gemeinsamkeiten und Zusammenhänge der Rechtssysteme in den drei vorgestellten Gesellschaften sichtbar gemacht. Das Wort haben dabei zwei Frauen, Wissenschaftlerinnen, die patriarchial-religiöse Strukturen erläutern, die diskursive Macht normalerweise nur Männern zugestehen. Für die Ausstellung „Focus_Istanbul“ waren in strenger, sachlicher Form auf mehreren Monitoren die Videoaufnahmen der Interviews mit den beiden Wissenschaftlerinnen und die langsam durchlaufenden Fotoserien der männlichen Gläubigen dokumentarisch montiert. In der Galerie Meerrettich war dies in einer wesentlich offeneren Form zu sehen: Die Stimmen von Katja Deckert und Heidi Wedel begleiteten aus dem Off die hüpfenden und fallenden Abbilder der orthodoxen Männer, die sich am unteren Rand des Screens zu langsam anwachsenden, homogenen Schichtungen der jeweiligen Monotheismen gruppierten.
Diese Form der Präsentation des Projektes in verschiedenen Videoabmischungen bezeichnet Ina Wudtke, die auch als DJ tätig ist, als „Remixes“. Die Übertragung der DJ Technologie des Remixens von der Club-Kultur auf den Kunstkontext ermöglicht durch die Absage an ein formal in sich geschlossenes Werk und die Forcierung von Offenheit und Veränderlichkeit unterschiedlicher Fokussierungen auf verschiedene Aspekte der Arbeit. Eine Verbindung zur Club-Kultur wurde auch darin sichtbar, das Wudtke sich für die Installation bei Meerrettich, zu der im Stil eines traditionellen Istanbuler Cafes Tee aus einem Holzkohle beheiztem Samowar serviert wurde, die in Berlin sehr bekannte Dekoration der türkischen schwul-lesbischen Party „Gayhane“ aus dem Kreuzberger Club So36 auslieh. Dies verweist auch auf einen anderen Aspekt genderspezifischer Repression, der von Lesben und Schwulen, explizit auf die Situation in Istanbul bezogen, wo Ina Wudtke sich 2002 ein halbes Jahr aufhielt, um die muslimischen Gläubigen zu fotografieren. In der Türkei werden Lesben und Schwule in extremer Form von der Polizei verfolgt, und es gibt eine Polizeisondereinheit in Beyoglu in Istanbul, die von Amnesty International angeklagt wird, insbesondere Transvestiten zu foltern und zu töten. Wudtke belässt es aber bei diesem indirekten Verweis, die Repression in der Türkei ist nicht explizit Gegenstand der Ausstellung. Die Bezugnahme auf die Situation der Homosexuellen in der Türkei mittels der „Gayhane“-Dekoration ist ja zugleich auch eine Einbeziehung türkischen lesbisch-schwulen Lebens in Berlin und macht Verbindungen zwischen den nur scheinbar weit auseinander liegenden Gesellschaften sichtbar.
Ina Wudtke, „believe’remix one“, Galerie Meerrettich im Glaspavillon an der Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin, 2. bis 22. September 2005; „believe’ remix two“ „Focus_Istanbul“, Martin-Gropius-Bau, Berlin, 9. Juli bis 3. Oktober 2005 (Katalog).