Netzwerk als Heimat: Verszenung als sozialer Prozess

go create™ resistance ist eine Reihe von Themenabenden über die Folgen neoliberaler Globalisierung, mit Künstlern, Aktivisten und Wissenschaftlern am Hamburger Schauspielhaus. Matthias von Hartz, der diese Reihe zusammenstellt, hat die Frankfurter Kuratorengruppe Unfriendly Takeover dazu eingeladen, einen Beitrag für den morgigen Abend zu erarbeiten. Das Gespräch mit Cornelia Sollfrank fand in der Kantine des Deutschen Schauspielhauses Hamburg statt.

 

14. März 2003

 

 

[Cornelia Sollfrank]

Ihr nennt Euch selbst 'Kuratorenkollektiv'. Wir sieht Eure Arbeit aus?

 

[Unfriendly Takeover]

Mit dieser Bezeichnung, die sicher nicht ganz optimal ist, wollen wir deutlich machen, dass wir uns nicht als Künstler verstehen. Wesentlich für uns ist die Art, wie wir eine Veranstaltung planen und 'wie' die Veranstaltung stattfindet. Die Umgebung, die wir schaffen, ist das, was 'Unfriendly Takeover' ausmacht. Wir bestreiten die Veranstaltungen nie selbst, sondern laden immer andere dazu ein. Wir kommen aus dem Theaterbereich, da würde man von 'Dramaturgen' sprechen. Dabei handelt es sich aber um ein einigermaßen klar umrissenes Berufsbild; ausserdem schwingt das Dramatische mit. Davon wollten wir uns abgrenzen. Und Kuratieren bedeutet eben nicht nur, ein paar Namen auszuwählen, sondern Zusammenhänge herzustellen.

 

C.S.: Wie ist die Idee entstanden, gemeinsam zu kuratieren?

 

U.T.: Ursprünglich planten wir ein Frankfurter Nachwuchs-Festival für experimentelle Theaterformen und Performance, und wir begannen im Vorfeld dazu Veranstaltungen zu organisieren. Alle 1-2 Monate, bis zum großen Festival, das war die Idee. Aber aus finanziellen Gründen konnten wir das Festival nicht realisieren. Und plötzlich gab es ohnehin mit "Plateaux" am Künstlerhaus Mousonturm eine ganz ähnliche und ziemlich gut ausgestattete Plattform. u dem Zeitpunkt hatten wir aber schon zu arbeiten begonnen und festgestellt, dass es uns nicht nur darum ging, Theater zu machen, sondern ganz verschiedene Kunstformen in unseren Veranstaltungen zusammenzubringen.

 

C.S.: Entsprechend Eures Selbstverständnisses als Kuratoren kündigt Ihr an, eine 'Ausstellung' im Rahmen der morgigen Veranstaltung zu machen. Was findet Ihr attraktiv daran, weiterhin innerhalb der Konzeption 'Ausstellung' zu denken?

 

Ich selbst, als bildende Künstlerin, habe mich weit davon entfernt, für Ausstellungen zu arbeiten, bzw. traditionell ausstellbare Kunst zu machen und halte das auch nicht unbedingt für erstrebenswert. Der klar definierte Kontext verhindert überraschende Erfahrungen eher als sie zu befördern. Mich interessieren Formate, die mehr Potential in sich bergen, Unerwartetes zu Tage zu befördern und zwar auch ein Publikum ansprechen, aber vielleicht nicht da und nicht auf eine Art, wie das Publikum es erwartet.

 

U.T.: Unsere "Ausstellung" ist ja nur der Endpunkt einer ganzen Woche von Aktivitäten. Und da diesmal das eigentliche Projekt die Entstehung dieses Projekts ist, also ein Prozess, haben wir einfach einen Schlusspunkt gesucht, wo wir etwas von dem zu zeigen, was diesen Prozess in Bewegung gesetzt hat und ihn in Bewegung hält, und darüber ins Gespräch kommen können. Dabei wollten wir aber nicht einfach nur den Entstehungsprozess dokumentieren. Man kann sagen, dass wir an dem Abend, auf den für die Veranstalter vom Hamburger Schauspielhaus alles hinausläuft, nämlich dem öffentlichen Abend von 'go create™ resistance' mit zahlreichen Aktionen und Hunderten von Zuschauern, am wenigsten 'machen'.

Wir stellen Hamburger Minus-Projekte aus, also solche, die finanziell gescheitert sind, eine Art Museum des finanziellen Scheiterns von Kunst und der Selbstausbeutung der Szenen. Ohne jede Auswahl, einfach alles, was kommt. Und wir machen das Material unserer Recherche zugänglich, aber das war's dann auch. Der Prozess soll anwesend sein, aber sehr spröde z.B. in Form von E-Mails in Aktenordnern.

Was die Entscheidung für die Form einer Ausstellung angeht, kamen verschiedene Überlegungen zusammen: Zum einen kann man diese Ausstellung in der Tradition des Readymade sehen: Wir nehmen etwas, das es schon gibt und stellen es aus. Und durch die Ausstellung entsteht 'Beobachtbarkeit', im Sinne einer Isolierung als wissenschaftliches Experiment unterm Mikroskop; aber man kann es auch als Installation bezeichnen. Im Theaterkontext würde es unter einem 'erweiterten Inszenierungsbegriff' laufen.

Forsythe, der Chef des Frankfurter Balletts zum Beispiel, der einige installationsartige Räume entworfen hat, nennt das 'Choreografie'. Ihm kommt es darauf an, wie Leute sich darin bewegen. Und bei uns ist zwar nicht so wichtig, wie die Leute sich in unserer Ausstellung bewegen, es ist vielmehr so, dass Leute sozusagen zur Ausstellung dazugehören; sie sind Teil des Ganzen.

 

C.S.: Könntet Ihr das bitte an einem Beispiel verdeutlichen?

 

U.T.: Hier für das Schauspielhaus haben wir beschlossen, unserer Veranstaltung die Form einer Bar zu geben, genauer mehrerer Bars: Wir setzen Szeneorte ein, die "Mobile Bar", das "Click" und die "Astra-Stube", und setzen sie - isoliert von ihrem üblichen räumlichen aber auch zeitlichen Kontext - nachmittags von drei bis sechs in den absurd kleinen und plüschigen Raum der Gründgensloge. Das ist natürlich eine Installation.

 

C.S.: Das heisst, Eure Ausstellung besitzt das Format 'Bar'. Eine Bar ist ein sozialer Ort, ein Treffpunkt, den ihr nun ins Theater verlegt. Wie und womit werdet Ihr die Bar beleben? Was ist Euer Thema?

 

U.T.: Unser Thema in Hamburg ist "Netzwerk als Heimat: Verszenung als sozialer Prozess", und ausserdem geht es uns darum, die Ökonomie von Netzwerken innerhalb einer Stadt zu untersuchen. Dem Begriff 'Szene' sind wir dabei auch nachgegangen. Warum klumpen soziale Beziehungen irgendwo zusammen? Warum sind manche Leute Szenegrößen? Warum will man zu einer Szene gehören, und was bedeutet das? Wir kommen aus Frankfurt und haben den fremden Blick auf die Hamburger Szene, der nähern wir uns - als Versuchsanordnung. Die 'Ausstellung' und Isolierung der drei Bars in der Gründgensloge ahmt diesen fremden Blick quasi nach und macht die Bars als Szeneort oder -knotenpunkte erst beobachtbar. So kam es zum Beispiel, dass die üblichen Astra-Gäste zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort irgendwie wie immer und natürlich gar nicht wie immer sitzen. Oder dass ein paar Kids, die wegen des angekündigten DJs zum Click-Nachmittag kamen, sich schnell wieder verdrückt haben, da ihnen das im Schauspielhaus zu seltsam war.

 

C.S.: Und wie seid Ihr bei Euren Recherchen vorgegangen?

 

U.T.: Wir sind einfach von den Leuten ausgegangen, die wir gekannt haben in Hamburg, ganz unterschiedlichen, auch völlig szene-unbedarften. Die haben wir angeschrieben oder angerufen und nach neuen Adressen und Telefonnummern gefragt und so mit dem Schneeballsystem ein Netz gebaut. Gleichzeitig haben wir diese Leute, die wir großenteils gar nicht kannten, befragt. Eine unserer Fragen war zum Beispiel, wer die drei wichtigsten Personen der Hamburger Szenen seien. (Wir sind uns der Naivität der Frage durchaus bewusst gewesen). Und trotz der unterschiedlichen Kontexte, aus denen unsere 'Informanten' kamen, bemerkten wir relativ bald Häufungen.

 

C.S.: Das heisst, Ihr habt das Prinzip der Suchmaschine 'Google' angewandt, nämlich, wer oder was oft gesucht bzw. gelinkt wird, ist wichtig und rutscht beim Ranking nach oben.

 

U.T.: Genau, wir haben Google sogar als eines unserer Bilder benutzt, indem wir gesagt haben, das Szene genau so funktioniert. Aber wir stellten auch fest, dass es unterschiedliche Netzwerke gibt, die keine Querverbindungen besitzen. Die Szene der bildenden Kunst scheint von der Musik- und diese wiederum von der Theaterszene relativ getrennt zu existieren. Trotzdem haben wir unser Spiel weiter getrieben und immer wieder gefragt, wer denn der wichtigste Hamburger sei.

 

C.S.: Jetzt bin ich aber neugierig, hat sich da eine Nummer Eins abgezeichnet?

 

F.M.: Ja, in unseren Netzen, nach unseren Suchkriterien haben wir einen ermittelt - Felix Kubin. Aber das ist natürlich nur ein Spiel um Strukturen kennen zu lernen, keine empirische Studie.

 

C.S.: Ich habe die Ankündigung Eurer Veranstaltung vorgestern ganz zufällig gelesen. Ich lebe zwar selbst in Hamburg, aber da ich kaum hier arbeite, fühle ich mich keiner bestimmten Hamburger Szene zugehörig. Trotzdem haben mich Eure Fragestellungen interessiert. Egal ob lokal oder auf anderen Bezugsebenen sind soziale Systeme, Netzwerke und deren Ökonomie eine wichtige Frage, vielleicht die wichtigste überhaupt. Nur wird sie meist innerhalb der eigenen Zusammenhänge nicht gestellt, weil zu viele Tabus zu sozialen Verbänden dazugehören. Ausserdem sind einem die eigenen Organisationsformen oft zu selbstverständlich als dass man sie hinterfragen würde. Da kann ein Anstoss von außen durchaus etwas in Bewegung bringen...

 

U.T.: Zu einer Szene gehören ja zuerst die Abgrenzungen, die Grabenkämpfe, die Wertesysteme, warum einer 'cool' und ein anderer 'uncool' ist. Frankfurt ist in diesem Sinne auch durchgängig vermint. Das ist ein Grund dafür, warum wir das mal in einer anderen Stadt von aussen aufrollen wollten, um von außen die Beziehungsstrukturen auszuchecken, die unsichtbaren Grenzen auszuloten. ähnlich ging es uns vor kurzem noch in Frankfurt, wo wir alle nicht herkommen. Dort konnten wir zum Beispiel beobachten, dass zwei Personen nicht miteinander sprechen. Den Grund dafür haben womöglich beide längst vergessen. Als Veranstalter kann es einem dann passieren, dass man einen DJ engagiert und keiner kommt und engagiert man einen anderen, kommen alle. Das hängt nicht nur mit der Musik zusammen. Unweigerlich wird man Teil dieser sozialen Prozesse.

 

C.S.: Bereits jedes Beobachten und Aufzeigen einer Dynamik verändert diese. Zumindest lernte ich gestern bei Euch in der Bar Leute aus Hamburg kennen, die ich vorher nicht kannte.

 

U.T.: Das ist für uns natürlich ein Erfolg. Wir laden Leute hierher ein und merken, die kennen sich gar nicht untereinander, vielleicht haben sie voneinander gehört, aber sie kennen sich nicht persönlich. Und wir kennen keinen einzigen all dieser Leute, die hierher kommen. Wir wussten nicht einmal, wie Felix Kubin aussieht.

 

C.S.: Ihr habt ja für die Tage vor der Abendveranstaltung verschiedene Nachmittagsveranstaltungen durchgeführt. Was waren deren Themen, und wen hattet Ihr zu Gast?

 

U.T.: Neben der Mobilen Bar, dem Click und der Astra-Stube, die wir hier mit ihren DJs, ihrem Publikum sowie einigen räumlichen Versatzstücken zu Gast hatten, haben wir an den zwei Nachmittagen dazwischen Gesprächspartner eingeladen - Klubmacher, Kunsttheoretiker und andere - bei uns eben genau darüber zu sprechen: über "Szene als Netzwerk" und über ihre Ökonomisierung.

(siehe auch www.unfriendly-takeover.de/f11.htm)

 

C.S.: Ganz im Sinne des Schauspielhauses frage ich jetzt mal, was bleibt davon? Soll was davon bleiben? Und die Frage, die davor noch stehen muss, lautet, was wolltet Ihr erreichen mit eurem 'Eingriff', wenn ich das mal so nennen darf? Wollt Ihr etwas verändern? Oder wollt ihr etwas zeigen? Wollt Ihr aufmerksam machen? Wollt Ihr Euch selbst über etwas Klarheit verschaffen?

 

U.T.: Das kann man gar nicht so genau trennen. In jedem Fall ist für uns ein Erkenntnisgewinn da. Dem Feedback nach zu schliessen, gilt das auch für andere Beteiligte. Spaßeshalber haben wir mal darüber nachgedacht, ob wir nicht vielleicht während unseres Hierseins die Hamburger Szene endgültig und auf Jahre hinaus spalten könnten z.B. in dem wir einfach alles veröffentlichen, was irgendwer über irgendwen gesagt hat...

 

C.S.: Ich frage nicht noch mal nach, weil ich Zweifel am Sinn eurer Veranstaltung habe, sondern weil ich es noch genauer verstehen möchte, was eigentlich der Gewinn aus Eurer Arbeit ist...

 

U.T.: Das wollte das Theater auch wissen, zumindest sollten wir eine Gattung nennen, der wir uns zuordnen wollten. Dann nannten wir es 'social work in progress'.

 

C.S.: Mit Ausstellung am Ende!? Mir scheint in diesem Zusammenhang der Begriff 'Intervention' sinnvoller.

 

U.T.: Ja, meinetwegen, wobei die Recherche nicht vernachlässigt werden sollte.

 

C.S.: Charakteristisch für eine Intervention finde ich, dass damit eine Art Schnitt gemacht wird; der geht durch alle Ebenen und Strukturen und zeigt eine bestimmte Situation zu einer bestimmten Zeit auf; unmittelbar danach hat sich alles Mögliche bereits wieder verändert - nicht zuletzt auch durch den Schnitt.

U.T.: Ein anderer Aspekt für uns war aber auch, wie kuratiert man denn? Wie machen wir unsere Veranstaltungen ˜ im Schnelldurchlauf in einer fremden Stadt. Dabei findet man nicht unbedingt nur die allerbeste Kunst, die in einer Stadt stattfindet, sondern das Persönliche spielt auch eine große Rolle, wen man nett findet oder interessant oder unsympathisch ˜ oder auch was machbar ist. Manches kann man sich nicht leisten, andere kann man nicht leiden. Hier in Hamburg haben wir dementsprechend, aber dieses Mal nicht unsere Sympathien, sondern die der von uns gefragten Leute zugrundelegend, die Leute, die wir hierher eingeladen haben, nur aufgrund von Empfehlungen angesprochen. Und wir haben zusätzlich noch besonders berücksichtigt, wenn Leute selbst auch in Netzwerken arbeiten bzw. welche mit aufbauen.

 

C.S.: So wie ich es bisher verstanden habe, verfolgt ihr verschiedene Anliegen und Methoden innerhalb eines Projektes gleichzeitig, und von daher fände ich es notwendig, das auszuwerten, was passiert ist, um besser zu verstehen, wie was funktioniert.

 

U.T.: Wir haben aber bisher in jedem Projekt ein anderes Ziel verfolgt und entsprechend andere Methoden gewählt. Eine der ersten Aktionen beispielsweise war, dass wir Thomas Kapielski nach Frankfurt eingeladen haben, aber nicht um eine Lesung zu veranstalten. Wir haben ihn stattdessen ins Museum für Moderne Kunst gestellt, in dem er vorher noch nie gewesen war, und er hat angefangen eine Art von Führung zu machen. Er redete einfach drauf los, manchmal sehr schlau, manchmal sehr idiotisch, bis hin zur Peinlichkeit. Die Museumsleute waren teils pikiert teils amüsiert, andere Besucher dachten, das sei eine echte Führung und wunderten sich. Das Interessanteste daran waren nicht die grossen Lacher, die er provozierte, sondern die Momente der Irritation, die durch einen falschen Kontext entstanden. Später haben wir eine Ausstellung in einem Durchgangsraum im Frankfurter Hauptbahnhof organisiert, in Wien eine Kunstszene in einer schäbigen möblierten Privatwohnung quasi isoliert, im Kunstencentrum Vooruit in Gent einen zentralen Saal abgesperrt und hinter verschlossenen Türen eine Lesung, eine Party und ein Fussballturnier veranstaltet. Aber nicht immer ist der Ort das Wichtige: Bei einer Retrospektive mit Filmen von Jack Smith interessierte uns einfach dessen künstlerische Strategie. Aus diesem Grund haben wir auch ab und zu mit Berliner "Neoisten" zusammengearbeitet, bei denen man ja nie so genau weiß und wissen soll, woran man ist.

Ein zentrales Zitat in unserem Konzept stammt von Raimar Stange, der vom 'semantischen Kurzschluss' spricht, zum Beispiel, wenn man Küchenbilder in eine Küche hängt. Das ist ja ein klassisches Theaterproblem, die Doppelung von Zeichen ˜ Bühnenbild, Text, Haltung ˜ alle sagen dasselbe.

 

C.S.: Ihr sprecht auch von Parallelstrukturen, die ihr temporär errichtet; was meint ihr damit?

 

U.T.: Das ist wieder die Idee der Übernahme. Wir bauen in dem fremden Ort, den wir (in Hamburg auf Einladung) übernehmen, eine eigene, neue, andersartige Struktur auf (in diesem Fall die Struktur einer Bar), und diese neue Struktur macht nicht nur die alten Strukturen bewusst, die nach wie vor parallel existieren, jedoch nicht mehr funktional sind, sondern kann diese auch für einen Moment kippen.

Und genau das ist hier in Hamburg auch passiert, denn was wir hier machen, die Bar, das geht eigentlich gar nicht in einem Theater. Man darf hier kein Bier selbst verkaufen, weil die Rechte dazu verpachtet sind. Und wir sind zur falschen Zeit hier, nämlich nachmittags. Und das Theater meinte, es bräuchte eine Platzanweiserin, die den Gästen mitteilt, wo sie uns finden. Genauso haben wir zur Erörterung der technischen Fragen 15 verschiedene Fachleute hier gehabt, Beleuchter, Bühnenbild, Ausstattung, etc. Die mussten sich auf uns einstellen mit ihrem Riesenapparat.

 

***

 

C.S.: Euer Name, 'Unfriendly Takeover', ist ein Begriff, den man aus Wirtschaftszusammenhängen kennt. Was bedeutet der genau?

 

U.T.: Ein Unternehmen wird gegen seinen Willen von einem anderen Unternehmen übernommen; das kann zum Beispiel allmählich durch das Aufkaufen von Aktienmehrheiten geschehen oder durch einen überraschenden Kauf des gesamten Unternehmens.

 

C.S.: Und wen oder was übernehmt Ihr? Oder werdet Ihr ganz unfreundlich übernommen?

 

U.T.: Wir meinen damit das (temporäre) Takeover eines anderen, eines fremden Ortes, einer fremden Struktur oder eines fremden Themas als eine Taktik.

 

C.S.: Um was dort zu tun, oder zu erreichen?

 

U.T.: Durch Kontextveränderungen und -thematisierungen soll eine Verschiebung entstehen. Naja, und manchmal laden zeigen wir Sachen auch nur, weil wir einfach denken, dass sie gezeigt werden sollten. Dogmatisch sind wir jedenfalls nicht, vielleicht manchmal sogar etwas zu wenig konsequent.

 

C.S.: Trotzdem habe ich Probleme mit Eurer Namensgebung. Warum nennt Ihr Euch nicht 'friendly takeover'? 'Unfriendly' suggeriert Gewaltsames, Unerwünschtes ˜ davon kann keine Rede sein bei Euch. Ich denke, dass ihr die Projekte, die ihr macht, nicht machen könntet, wenn sie von der Umgebung, in die Ihr Euch einnistet als unfriendly empfunden werden würden. Und ein 'takeover' findet allerhöchstens partiell und temporär statt.

In Eurer Selbstdarstellung sprecht Ihr auch davon, "im Bewusstsein von Strategien der Macht, die auch im Kulturkontext die Verhältnisse schaffen" zu handeln, und nicht "aus machtloser Konsumentenposition heraus, aus der aufgezwungene hegemoniale Strukturen der kulturellen Produktion höchstens unterlaufen werden können. Einen virtuellen, einen neutralen Raum gibt es nicht." Das ist natürlich richtig und grundsätzlich eine gute Idee, die machtlose Position, die man innehat, aufzugeben zugunsten einer machtvolleren. Aber wie geht das?

 

U.T.: Unsere Selbstdarstellung ist versteht sich als Manifest und skizziert den theoretisierten Idealfall. Aber es meint vor allem, dass wir nicht daran glauben, etwas direkt verändern zu können. Die "Übernahme" als Aufbau einer parallelen, andersartigen Struktur ist vielmehr der indirekte Weg und eben mit dieser Hoffnung verbunden, zumindest temporär das Kräfteverhältnis zu stören. Dies aber eben nicht, in dem man subversiv eine Struktur unterläuft, sondern indem man ihr etwas entgegensetzt, nicht Verweigerung oder Destruktion sondern die Anwendung gleicher Mittel zu einem anderen Zweck - wie hier in Hamburg, wo wir die großartigen Strukturen eines Staatstheaters nutzen, um uns für den Betrieb einer nachmittäglichen Bar einen gefakten Abzugsschlauch oder eine Theke bauen zu lassen. Aber natürlich ist das diskutabel, schließlich machen wir das auf Einladung, also mit Erlaubnis. Trotzdem sind wir vor allem bei den technischen Abteilungen im Haus auf Widerstände gestoßen, und die werden mit Sicherheit auch irgendwie sichtbar, indem sie sich dem anderen (der Bar), das wir in den alten Kontext (das Theater) hineingebracht haben, sperren. Aber auch der morgige Abend wird sich als spröde Ausstellung mit Dokumentation vermutlich dem Eventcharakter der Bespielung des ganzen Hauses bei "go create™ resistance" etwas sperren. Es ist also ein doppeltes Beobachtbarwerden - zum einen der isolierten Barszenen und zum anderen des Theaters als Apparat sowie von "go create™ resistance" als Event - was hier im Idealfall passiert.

 

C.S.: Darauf wollte ich auch vorhin hinaus, als ich ganz naiv fragte, wie funktioniert denn das mit der Selbstermächtigung? Denn es ist ja nicht so, dass Ihr Euch irgendetwas nehmen würdet, sondern vielmehr so, dass jemand, der eine mächtigere Position hat, Euch einlädt, für eine begrenzte Zeit Euer Spiel innerhalb eines vorgegebenen Rahmens zu spielen. Was Ihr macht, findet in einer Struktur statt, und nicht ausserhalb. Und da eines Eurer Hauptanliegen ist, Strukturen aufzuzeigen, finde ich wichtig, diese Grundvoraussetzung zu klären.

 

Euer Konzept erscheint mir teilweise sehr klar und konkret, teilweise aber auch verworren und verwirrend, viele wohlklingende große Namen werden zitiert oder erwähnt, ihr schwimmt und seid am suchen. Mir gefällt das Suchende, das Fragende, das Unsichere.

 

***

 

C.S.: Was ich interessant finde, ist dass euer Konzept einen Rahmen schafft, den ihr zwar innerhalb der Struktur platziert, aber der einen Freiraum schafft. Aber was kippen kann, findet immer nur innerhalb des von euch geschaffenen Rahmens statt.

 

U.T.: Ein anderes Bild, das wir mal verwendet haben, ist das des Parasiten. Natürlich ist man als Floh auf einem Hund erst einmal in der Hundestruktur, und der Hund rennt mit dem Floh, wohin er will, andererseits ist er natürlich durch den Biss beeinflusst. Aber was die Größenverhältnisse anbelangt, kommt das Bild ganz gut hin.

Als wir diese Ausstellung im Frankfurter Hauptbahnhof mit Hannoveraner Künstlern gemacht haben, war das deutlich zu spüren: Das ist ein derart unflexibler und undurchdringlicher Apparat, dass wir keine Chance hatten, den Kampf um etwas Eigenes, um eine Unterbrechung des dortigen Trotts zu gewinnen. Die Veranstaltung dort, muss man in dieser Hinsicht als gescheitert bezeichnen. Wir waren nicht in der Lage, diese Struktur auch nur im Geringsten zu irritieren. Das ist in einem Theater, was ja grundsätzlich ein künstlerischer Betrieb ist, etwas leichter.

Aber auch hier stellt sich die Frage: Wer kontrolliert wen? Wir fügen uns ein in den Theaterbetrieb hier und gleichzeitig irritieren wir diesen. Wir kommen in den Apparat rein, bei der ersten Technikersitzung erfahren wir, dass alles, was wir vorhaben nicht geht. Aber schrittweise verwirklichen wir, was wir vorhaben, schrauben die Lampe rein, verkaufen Bier, laden öffentlich zu einer Veranstaltung ein, die doch geschlossen sein müsste, etc. Aber zuerst werden wir durch die vorhandenen Strukturen dominiert.

 

C.S.: Die sechs Mitglieder Eurer Gruppe kommen aus unterschiedlichen Bereichen. Wie macht sich das bemerkbar in Euren Projekten?

 

U.T.: Bei unserer Auswahl spielt es kaum eine Rolle, ob es sich um bildende Kunst, Performance, oder auch Literatur handelt. Aber es gibt natürlich unterschiedliche Spezialgebiete und Vorlieben.

 

C.S.: Aber all diese Kontexte haben doch ihre eigenen Celebrity-Systeme, also wer ist bekannt und wird eingeladen, etwas zu realisieren. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach ist, das zu durchkreuzen.

 

U.T.: Das stimmt insofern, dass wir bisher wirklich nur aus Theaterkontexten eingeladen worden sind. Daraus könnte man schliessen, dass wir da am bekanntesten sind. Es war einmal der Mousonturm, Tanzquartier Wien, in Gent im Kunstzentrum Vooruit. Das waren immer Theater.

Aber wir initiieren das meiste selbst und warten nicht auf Einladungen. In der Regel suchen wir unser Umfeld selbst aus - und das ist dann kein Theater. Aber auch Bilder in Museen zu hängen, wäre für uns völlig uninteressant.

 

C.S.: In dem Mission Statement auf eurer Website zitiert ihr mehrmals Hans-Ulrich Obrist. Das finde ich - aus der Kunstszene kommend - eher ungewöhnlich. Ich schliesse daraus, er spielt für euch eine wichtige Rolle, und steht für eine Position, die für Euch wichtig ist.

 

U.T.: Dass er zwei, dreimal auftaucht ist vielleicht etwas übertrieben. Aber wir finden vor allem seine frühen kuratorischen Arbeiten interessant. Da ging es darum, Strukturen anders zu nutzen und Kontexte deutlich zu machen durch Verschiebungen, z.B. durch die Ausstellung, die er in seiner Küche gemacht hat. Was wir auch interessant finden, ist, mit den Strukturen, die da sind zu spielen, was passiert, wenn Künstler z.B. einfach nur noch eine Gebrauchsanweisung schicken und das Museum diese dann ausführt, wie es Obrist in einer Ausstellungsreihe gemacht hat.

Es ist wahrscheinlich auch nicht ganz zufällig, dass wir - vom Theater und von der Performance her kommend - uns für einen Kurator aus der bildenden Kunst interessiert haben, vor allem für sein Buch "Delta X - Der Kurator als Katalysator". Uns reizte das, was er für bildende Kunst beschreibt, aufs Theater und den performativen Bereich zu übertragen. Aber das Interesse bezieht sich mehr auf früher als auf die Gegenwart: Die Art und Weise wie Obrist heute Netzwerke vor allem als Jetset-Veranstaltungen betrachtet und "Betrieb machen" oft wichtiger ist als tiefere Beschäftigung mit den Dingen, ist für uns nicht so vorbildhaft. Obwohl das immer die Gefahr ist, auch auf unserer deutlich bescheideneren Ebene.

 

 

www.unfriendly-takeover.de

www.gocreateresistance.de

 
parajumpers norge Parajumpers moncler jassen woolrich outlet cheap michael kors bags isabel marant sneakers hollister outlet