Cornelia Sollfrank im Gespräch mit Gerfried Stocker, Direktor der ars electronica.
29. August 2001
[Cornelia Sollfrank]
Wie der Titel 'takeover' bereits deutlich macht, geht es bei der diesjährigen ars electronica um die Idee einer Übernahme. Können Sie kurz darstellen wer genau was übernimmt?
[Gerfried Stocker]
'takeover' bedeutet nicht nur Übernahme, sondern kann auch überholen meinen. Im Sinne der Übernahme kann man sich auf drei Dinge beziehen: Das Eine ist "Der Kunstbetrieb übernimmt die Medienkunst". Das ist toll, das ist grossartig. Wir freuen uns, dass sich Medienkunst zunehmend etabliert und im Kunstbetrieb akzeptiert wird, aber leider bleibt auch viel auf der Strecke, weil der Kunstbetrieb in der Form, wie er sich mit Medienkunst auseinandersetzt, nur bestimmte Bereiche und Formen der Medienkunst akzeptiert.
Ein weiterer 'takeover' besteht darin, dass die Medienwirtschaft grosse Teile des Kreativpotentials übernimmt, Stichwort: brain drain. Das bedeutet die seit Jahren zunehmend zu beobachtende Tatsache, dass junge Menschen in die Medien-Kreativwirtschaft gehen und damit ein grosses Potential derer, die ansonsten in kunstnahen oder künstlerischen Territorien wirksam würden, jetzt anderweitig zum Einsatz kommen.
Ein dritter 'takeover', wenn auch mehr wishful thinking als hard fact, besteht darin, dass die Kunst (Anmerkung: Wenn ich über Kunst spreche, spreche ich über zeitgenösische Medienkunst) zunehmend in andere Bereiche eindringt, dort wirksam wird. Strategien der Kunst, bestimmte Handlungsweisen und Prinzipien mit Neuen Medien und Informationstechnologien auf einem hohen Standard umzugehen, werden in andere, nichtkünstlerische Bereiche der Gesellschaft hineingetragen. Das entspricht einer seit vielen Jahren kursierenden These von der Auflösung der Kunst, nicht im Sinne, dass sie sich auflöst und verschwindet, sondern sich vielmehr wie ein Mineral in einer Flüssigkeit auflöst und wirksam wird. Das ist die utopische Version, die wir beim Thema 'takeover' mitklingen lassen.
C.S.: Gehen sie davon aus, dass es sich bei den von Ihnen beschriebenen Formen des 'takeover' um reale Entwicklungen handelt, oder sind es vielmehr Behauptungen/Setzungen, die Sie machen, um etwas damit zu erreichen? Falls ja, was?
G.S.: Ich gehe davon aus, dass kein einziges Wort, von dem was wir in diesem Jahr in unseren Programmheften haben, Erfindung oder Setzung ist, sondern alles Beobachtungen von realen Entwicklungen sind. Natürlich findet das aber in homöopathischen Dosierungen statt, wenn man das Verhältnis Kunst und Gesellschaft betrachtet. Kunst war, ist und wird wahrscheinlich leider in dieser Form immer ein Nischensegment unserer Gesellschaft sein. Und wenn man von Wirkungen spricht und Revolutionen, dann denkt man sehr schnell an grosse, spektakuläre Umbrüche, die die ganze Menschheit betreffen. Tatsächlich handelt es sich jedoch um kleine Dimensionen, was aber kein Bewertungskriterium sein sollte.
C.S.: Woher kommt das Bestreben, in den Kunstbetrieb 'Nicht-Künstler' oder 'Noch-Nicht- Künstler' einzuschleusen? Welche Qualitäten bringen diese ein, die professionelle Künstler nicht haben?
G.S.: Die Frage ist, was sind professionelle Künstler? Sind das die, die Kunst studiert haben, die einen Berufsschein von einer Universität ausgestellt bekommen haben?
C.S.: Ich meine damit KünstlerInnen, die die Kunst tatsächlich als Profession betreiben.
G.S.: Aber wodurch sind professionelle Künstler authorisiert? Wenn wir uns die Geschichte der Medienkunst ansehen, dann ist das Interessante daran der Aufbruch, den die Medienkunst gebracht hat. Er ist kaum von Leuten geprägt oder betrieben worden, die zu dieser Zeit die Berufsbezeichnung Künstler trugen. Als sie begonnen haben zu arbeiten, gab es die Medienkunst noch nicht und musste erst erfunden werden. Die Leute, die das gemacht haben, sind entweder aus Bereichen gekommen, die damals als nicht-professionelle Kunstbereiche betrachtet wurden, oder sie waren Quereinsteiger aus anderen Disziplinen, wie z.B. Nam June Paik, der Musiker war, bevor er sich erfolgreich als Videokünstler betätigte.
Das Bedürfnis, den Kunstbetrieb mit 'Nicht-Künstlern' in Verbindung zu bringen, kommt daher, dass uns die Geschichte immer wieder gezeigt hat, dass aus anscheinend kunstfernen Bereichen jene neuen Impulse kommen, die die Kunst und den Kunstbetrieb weiterbringen, bereichern und erneuern. Es handelt sich dabei um ein enorm wichtiges Potential. Und um noch eine Anmerkung zur ersten Frage anzufügen, dem Aspekt, dass der Kunstbetrieb die Medienkunst übernimmt: Es ist zu beobachten, dass nur bestimmte Formen von Medienkunst Einzug halten in die Institutionen, dadurch Entwicklung verlangsamt, gebremst wird, und es stellt sich zwangsläufig die Frage, wohin sich all die Ansätze entwickeln, die nicht zu den ausgewählten Formen gehören. Dafür interessieren wir uns auch ganz besonders.
C.S.: Die Kunst und das Kunstsystem erhalten sich also durch Integration innovativer, aber eigentlich kunstfremder Impulse selbst am Leben?
G.S.: Ja.
C.S.: Wenn Sie von Kunstbetrieb und Institutionen sprechen, meinen Sie damit auch die ars electronica, oder wo würden Sie die ars im Verhältnis zum Kunstbetrieb ansiedeln? Und funktioniert sie ebenfalls als Schleuse in den Betrieb?
G.S.: Die ars electronica ist natürlich zu einem nicht unerheblichen Teil, Teil des Kunst- und Kulturbetriebes geworden - keine Frage. Wir sind mit Sicherheit etabliert: Es gibt die ars electronica nun seit 22 Jahren. Was die ars electronica aber ausmacht und sie immer wieder zum begehrten Angriffsziel macht, ist eine sehr gelungene Strategie, nicht in einer bestimmten Richtung oder Pose steckenzubleiben.
C.S.: Wo würden Sie sich also ansiedeln im Hinblick auf den Kunstbetrieb?
G.S.: Ich siedle uns in einem Randbereich an. Das Potential der ars electronica ist, in einem Vorfeld zu agieren, eine Art Vermittlung oder brokerage-Funktion zu übernehmen zwischen verschiedenen Bereichen. Die Definition 'Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft' ist seit 22 Jahren das Programm der ars electronica und gibt die Richtung vor, nämlich sich nicht einem dieser Bereiche zuzuordnen, sondern jeweils unterschiedliche Gewichtungen vorzunehmen. Die Themen der letzten Jahre 'Infowar' und 'Life Science' gingen in Richtung Gesellschaft und Wissenschaft/Technologie, und in diesem Jahr schlägt das Pendel in eine andere Richtung, nämlich die Kunst aus. Das Wichtige für uns ist, immer in Bewegung zu bleiben. Und nicht Kunstbetrieb sein zu wollen, wäre überheblich; dazu sind wir viel zu nahe dran.
C.S.: Mit dem 'takeover' wird auch nicht das Konzept Kunst als solches in Frage gestellt. Wozu kann es noch nützlich sein, so ein behauptetes Terrain zu haben?
G.S.: Für mich ist Kunst immer auch eine Form in der Gesellschaft zu wirken. Kunst definiert sich über ihre Wirkung, darüber Alternativkonzepte, Gegenmodelle und Einsichten zu eröffnen. Dieser Aspekt von Kunst ist uns extrem wichtig. Wenn wir damit, wie in diesem Jahr, vermeintliche territoriale Ansprüche von wem auch immer verletzen, dann ist das ein Zeichen dafür, wie wichtig unser Zugang zu dem Thema ist, und wie wichtig die Bedeutung des Konzeptes Kunst und seine Aufrechterhaltung in unserer Gesellschaft sind.
Ich bin in der letzten Zeit mehrmals mit dem Vorwurf konfrontiert worden, das sei ein romantisches Konzept von Avantgarde. Aber vielleicht sollten wir Avantgarde auch mal wieder etwas relaxter betrachten. Avantgarde ist nämlich keine Form von Kunst, sondern eine Funktion von Kunst. Wenn innerhalb der Kunst in den letzten Jahren vermehrt die Ansicht vertreten wurde, dass die Kunst ihren Avantgarde-Anspruch verloren hätte, und dass das Konzept Kunst sich überholt habe, dann möchte ich dem lediglich im Hinblick auf einige Aspekt zustimmen. Die Kunst ist keinesfalls am Ende oder erschöpft, sondern ganz im Gegenteil, sie übt einfach eine andere Funktion aus.
C.S.: Sie sind ja selbst auch Künstler, wenn ich richtig informiert bin.
G.S.: Ja, suspendierter Künstler. Wegen meiner derzeitigen Rolle als künstlerischer Leiter der ars trete ich als Künstler nicht in Erscheinung. Es bleibt mir nicht die Zeit dafür, selbst Projekte zu entwickeln, und ich möchte meine Arbeiten dann auch nicht in einem von mir verantworteten Programm unterbringen.
Ich habe zwar oft gestalterischen Einfluss bei Ideen und Umsetzungen, aber dadurch bin ich nicht der Künstler dieser Projekte. Und ich bin mir ganz sicher, dass es nicht nur die Idee, sondern die Umsetzung ist, durch die sich künstlerische Arbeit und Qualität manifestiert.
C.S.: Wie sieht ihr Künstlerbild aus? Ist Künstlersein ein - fast normaler - Beruf oder handelt es sich vielmehr um einen vorübergehenden Zustand von 'Creativity Burst'?
G.S.: Ein Aspekt, der immer wieder ins Spiel kommt, ist die Existenzfähigkeit eines/r professionellen Künstlers/einer Künstlerin. Die Anzahl der Künstler, die es sich wirklich leisten können, den Beruf voll auszuüben, war immer sehr gering und wird es wahrscheinlich auch bleiben. Ich schätze, dass höchstens ein Drittel der Künstler, von ihrer Tätigkeit leben können.
C.S.: Nach Angaben der IG Medien sind es sogar nur 5%.
G.S.: Umso schlimmer. Dann ist es noch dramatischer, als ich es einschätzte. Und was haben die KünstlerInnen für eine Wahl? Sie können lehren, als Journalisten arbeiten, oder in artfremden Bereichen, wie in der Gastronomie, als Kellner jobben. Ein wichtiger Aspekt der Frage nach dem Berufsbild professioneller Künstler ist immer, wodurch wird man KünstlerIn? Ist es eine persönliche Überzeugung, Künstler zu sein, auch wenn man nicht davon leben kann? Ist es der Schein, den mir die Uni ausstellt, oder ist es die Akkreditierung vom Kunstbetrieb? Ich denke, es ist die Mischung aus all diesem, und allein der Zustand des 'creativity burst' wird uns nicht weiter bringen. Wie gesagt, würde ich das Künstlersein mit der Wirkung, der Funktion von Kunst in Zusammenhang bringen wollen.
Letztendlich ist es die Funktion von Kunst, einen Ort für Gegenkonzepte und Alternativmodelle zu gewährleisten. Deshalb votiere ich dafür, dass Kunst sich auch und ganz besonders in kunstfremden Bereichen breit macht, sei es die Wissenschaft oder die Wirtschaft. Erst die Anwesenheit von Kunst und KünstlerInnen ermöglicht es, Handlungsund Denkkonzepte gegen den Mainstream zu entwickeln.
C.S.: Einen Künstler/eine Künstlerin als kreativ und grenzenlos einfallsreich zu beschreiben ist natürlich ein sehr allgemeines und fast kunstfernes Bild, trotzdem dient es als Leitbild für eine flexibilisierte und ästhetisierte Gesellschaft, die durch Globalisierung und Immaterialisierung der Arbeit allgemein ungeregelten Arbeitsverhältnissen und Sozialabbau entgegendriftet.
G.S.: Ich bezweifle, dass die breite Bevölkerung von so einem Vorbild etwas lernen kann. Unheimlich kreativ zu sein, aber nie zu wissen, wovon man die nächste Miete bezahlt, kann sicherlich kein Modell abgeben. Wenn ich auf die Tendenz von Sozialabbau eingehe, von der auch Europa gerade heimgesucht wird, dann geschieht das nicht freiwillig. 22jährige Hacker finden es möglicherweise cool, alle paar Wochen in einer anderen Firma zu arbeiten, aber das hat nichts damit zu tun, ob ein neo-liberales Wirtschaftskonzept gesellschaftstauglich ist.
C.S.: Nichtsdestotrotz werden fleissig Mythen kreiert, von Nomaden, kreativen Hackern, Codern, Circuit Bendern etc., die helfen sollen, Akzeptanz für ein neues, flexibilisiertes Modell von Arbeit zu schaffen.
G.S.: Glamouröse Ausblicke auf die neue Generation von jungen, dynamischen Programmierern, Erfindern, Webdesignern usw. können zwar gezeichnet werden, besitzen aber lediglich befristete Gültigkeit. Und als Modell für soziale Absicherung sind sie sicher gänzlich ungeeignet. Das Beispiel der USA sollte das jedem sehr schnell deutlich machen.
Ausserdem sind derlei Mythen gar nicht so neu. Der vagabundierende Künstler, der durch die Nicht-Ortsansässigkeit einen unabhängigen Geist behält, ist ein sich hartnäckig haltendes, romantisches Künstlerbild, aber sicher keine Erfindung der Medienwirtschaft. Ebenso verhält es sich mit der sozial unabgesicherten Position von Künstlern, wahrscheinlich ist es sogar das, was alle Künstler aller Zeiten gemeinsam haben.
C.S.: Wie verhält sich die neue Kunst, nicht nur zum traditionellen Kunstbetrieb, sondern auch zum Kunstmarkt? Was ist seine ökonomische Basis? Und gibt es eine Grenze zwischen der neuen Kunst und der new economy, oder geht das ineinander über?
G.S.: Ein wichtiger Aspekt, wenn wir über die ökonomische Situation von KünstlerInnen sprechen, ist die Konvergenz des Künstlertums mit der digitalen Revolution. Die digitale Revolution hat zweifelsohne stattgefunden und mit ihr sind neue Wirtschaftsfelder entstanden, in denen kreative Menschen, potentielle Künstler unheimlich begehrt sind und plötzlich erfolgreich sein können. Das Phänomen 'brain drain', und es gibt die reale Option, nicht mehr als Kellner jobben zu müssen, sondern in einem wesentlich naheliegenderen Bereich wie Design oder Gameentwicklung arbeiten zu können.
Die Frage der Gameentwicklung spielt überhaupt eine wichtige Rolle bei der diesjährigen ars electronica. Es herrscht eine ungeheure Dynamik in diesem Bereich. Die Phänomene der Gameindustrie, wie Lara Croft und Final Fantasy, geistern zwar durch die Medien, vermittelnnur ganz marginal das künstlerische Potential von Computer-Game oder Network- Game. Nur wenn man die Sache, das Potential an sich betrachtet, stellt sich die Frage ob das nicht sehr wohl Kunst sein kann bzw. ob man damit nicht sehr wohl Kunst machen kann.
C.S.: Es geht nicht darum, es zu Kunst machen zu wollen?
G.S.: Die Arbeit, die notwendig ist, um ein gutes Game zu machen, ist der sehr ähnlich, derer es bedarf, um ein gutes Buch zu machen oder einen guten Film. Film kann Kunst sein, obwohl natürlich 99% dessen, was uns tagtäglich als Film begegnet, nichts mit Kunst zu tun hat. Trotzdem kann man mit dem Medium Film sehr gute Kunst machen, und mit dem Medium Spiel/Computergame wird man in Zukunft ebenfalls verdammt gute Kunst machen - auch wenn es im Moment noch vielfach künstlerisch uninteressant aussehen mag. Es wird ein wichtiger Schauplatz von Kunst werden.
C.S.: Das heisst, an bestimmten Punkten findet eine Grenzüberschreitung bzw. eine Verschmelzung statt - ein gutes Game wird Kunst - an anderen Punkten würden Sie die Trennung aufrecht erhalten, zwischen Webdesign zum Broterwerb und davon getrennter künstlerischer Produktion?
G.S.: Ja, durchaus.
C.S.: In Ihrem Konzept steht, dass der modus operandi ihres Agierens, ihre Motivationen, Strategien und Zielsetzungen das Tun der Protagonistinnen der neuen Entwicklung diese als KünstlerInnen definierte. Können Sie diese bitte etwas genauer beschreiben?
G.S.: Künstlersein hat viel mit Überzeugung zu tun, denn sich dafür zu entscheiden, ein Leben als Künstler zu führen, hat nicht nur angenehme Konsequenzen. Die entscheidene Fragen ist, mit welcher Motivation etwas gemacht wird. Wenn ich aus der Motivation heraus, Geld zu verdienen etwas mache, ist es sehr fragwürdig, ob es Kunst sein oder werden kann. Wenn ich es mit einer anderen Absicht mache, z.B. um eine Geschichte zu erzählen, einen Protest zu äussern oder ein Gegenkonzept anzubieten, dann kann es unabhängig davon, ob man damit Geld verdient oder nicht, sehr wohl Kunst sein. Wir müssen stärker wieder darauf achten, dass es nicht so sehr um formale Kriterien der Kunst geht, sondern um ihre Wirkung und Funktion. Das ist sicher nicht die einzig gültige Form Kunst zu beschreiben, aber eine sehr zielführende Form, zeitgenössiche Medienkunst zu beschreiben.
C.S.: Wie setzt die ars das Thema 'takeover' in ein Programm um?
G.S.: Kurz ist das gar nicht so einfach, aber vielleicht kann man es an ein paar Punkten festmachen:
- Wir haben das übliche Symposion in eine Reihe von Conferences umgewandelt, die von den ProtagonistInnen selbst dominiert werden, d.h. keine Spekulationen und Theorien darüber sondern first hand information.
- Die electrolobby die sich aus dem open-x Projekt der Jahre 96-98 entwickelt hat, fokussiert auf diese grenzüberschreitende Community, die zwischen Kreativität, Kunst und Business ständig wechselt und versucht, einen eigenständigen Weg zwischen diesen "Fronten" zu gehen.
- Der Takeover Campus (TOC) als Bühne für Kunst-StudentInnen und die freie Medienszene (freie Radios, Indymedia etc.) ist ein neuer Schauplatz der Ars Electronica.
C.S.: In der Illustration von Kaneko Nanpei und Okada Tomohiro scheint eine Frau Anführerin des 'takeover' zu sein. Sieht man sich die Programmhefte genauer an, beträgt der Frauenanteil bei der ars electronica ca. 10%. Spielt Geschlecht/gender im 'takeover' eine Rolle, und wenn ja, welche?
G.S.: Inwiefern es geschlechtsspezifische Frage ist, wer Veränderungen herbeiführt, wird auch in diesem Festival unbeantwortet bleiben. Die Frau an der Spitze zu wählen, war sehr stark motiviert durch die Erfahrungen der letzten Jahre. Wir haben bemerkt, dass in einem zunehmenden Mass Frauen, auch sehr junge Frauen, aus dem U19-Bereich begonnen haben, Hardware zu bauen oder Software zu programmieren. Die herausragenden Arbeiten von Orit Kruglanski, Rania Ho, Marta de Menezes, aber auch Naoko Tosa oder Tomoko Ueyama im letzten Jahr und die beiden 17jährigen Mädchen, die mit einer selbstentwickelten Soundblasterkarte eine Sprachstation für Sehbehinderte herstellten, haben eine richtige Euphorie ausgelöst.
Was die 10% anbelangt so ist das Ihre Schätzung. Ich kann und will es nicht statistisch erfassen, allerdings glaube ich, dass durch die Projekte 'xxero', 'female takeover' und 'meatspace', die ausschliesslich bzw. fast ausschließlich von Frauen gemacht werden, der Anteil um einiges höher und auf jedenfall signifikant auffälliger sein wird!
C.S.: Könnten Sie die angeführten Projekte noch näher beschreiben?
G.S.: 'xxero' ist ein MOO-Projekt von Frauen der faces-Liste. Sie präsentieren ihr System und machen Workshops, um Frauen damit vertraut zu machen und ins Projekt einzubinden. Das Projekt 'female takeover', das von einigen jungen Kuratorinnen aus Oberösterreich realisiert wird, präsentiert künstlerisch/ feministische Praxis von Frauen in der Medienkunst vor dem Hintergrund des 'takeover'. Und 'Meatspace' ist eine neues, wieder ganz tolles Projekt der Linzer Stadtwerkstatt.
C.S.: Dann muss man also die Frau, die in dem Bild den 'takeover' anführt leider als Setzung betrachten und nicht als eine Beobachtung.
G.S.: Es ist leider ein Teil Setzung dabei, aber auch der Versuch den Aspekt 'gender' zu thematisieren. Und nicht zuletzt muss man zugeben, dass die Illustration dem Bild von Delacroix 'Die Freiheit führt das Volk an' nachempfunden ist, wo Marianne eben das Volk anführt. Und es wäre sehr arg gewesen, an dieser Stelle, die Frau durch einen Mann zu ersetzen...
Veröffentlicht in: Telepolis - Online Magazin für Netzkultur, 1.9.2001
Website der ars electronica 2001