Gespräch mit Rena Tangens über den deutschen Big Brother Award.
11.8.01, HAL, Enschede, NL
Rena Tangens ist eine Vertreterin von FoeBuD e.V., einem in Bielefeld ansässigen Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs. Als ein Anliegen des Vereins wird demokratieverträgliche Technikgestaltung formuliert. Letztes Projekt in einer Reihe von Aktivitäten, wie den Aufbau öffentlicher Netzwerke, einer monatlichen Veranstaltungsreihe (Public Domain) und der Publikation von Büchern (z.B. deutsche Übersetzung von PGP - Pretty Good Privacy)
[Cornelia Sollfrank]
Zu Big Brother hat man eine eindeutige Assoziation, aber was ist der Big Brother Award?
[Rena Tangens]
Der Big Brother Award ist eine Negativauszeichnung. Firmen, Organisationen oder Einzelpersonen bekommen ihn, wenn sie im vorangegangenen Jahr besonders 'böse' gewesen sind und der Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern geschadet haben. Das kann auf unterschiedlichste Weise sein. Es kann aktiver Missbrauch von existierenden Daten sein, es kann ein Ausbau oder eine neue Qualität von Überwachung sein oder das Schaffen einer Struktur, die neue Missbrauchs-Möglichkeiten eröffnet.
C.S.: Woher kommt die Idee, einen Negativaward zu vergeben?
R.T.: Der Big Brother Award ist eine Idee aus Grossbritannien, die von Simon Davies von Privacy International 1998 aus der Taufe gehoben wurde. Christiane Schulzki-Haddouti, eine deutsche Journalistin, die sich auf Themen wie Datensicherheit, Datenschutz und Privatsphäre spezialisiert hat, berichtete über die englische Preisverleihung, wobei ihr aufgefallen ist, dass es etwas Vergleichbares in Deutschland nicht gab. Daraufhin hat sie sich mit uns in Verbindung gesetzt und uns vorgeschlagen, diesen Award für Deutschland zu organisieren, was wir gerne aufgegriffen haben.
Allerdings fanden wir die Metapher Big Brother nicht unproblematisch. Sie entstammt Orwells '1984', und der Satz "Big Brother is watching you", ist zweifellos auch vielen bekannt, die das Buch nie gelesen haben. Er ist die Metapher für einen allmächtigen Überwachungsstaat geworden. Uns geht es aber nicht nur um die Gefahren, die von einem totalitären Staat ausgehen, sondern auch um solche, die von Firmen ausgehen und die oft sehr subtil und nicht auf den ersten Blick zu erkennen sind.
Wir haben versucht das mit der Skulptur, die den Award darstellt, zu verdeutlichen. Es ist eine Tonfigur ohne Rückgrat, an den Füssen gefesselt und von einer Glasscheibe durchtrennt. Auf dem Glas sind Zeichen aufgedruckt, eine Codierung nicht für einen Text, wie naheliegen würde, aus '1984', sondern aus Huxleys 'Brave New World':"Ich bin ja so froh, dass ich ein Beta bin. Alphas müssen immer soviel arbeiten und nachdenken, Deltas sind blöd, und Epsilons müssen khaki tragen. Khaki gefällt mir nicht. Ich bin ja so froh, dass ich ein Beta bin."
C.S.: Warum habt ihr diese Passage ausgesucht? Wofür steht sie Eurer Meinung nach?
R.T.: Wir dachten uns, dass diese Passage die Art von Kooperation sehr gut widergibt, die Leute zeigen; wie sie ihr Einverständnis zu vielen Dingen geben, in dem Sinn:"Ist doch toll, wenn ich Werbung bekomme, die mich interessiert" und dabei nicht merken, wie sie manipuliert werden. Es ist eine andere Perspektive, die wir wichtig finden im Zusammenhang von Privatsphäre.
C.S.: Nach welchen Kriterien wird die Auszeichnung vergeben und wer entscheidet darüber?
R.T.: Ausser Mitgliedern von FoeBud e.V. sind z.B.Vertreter von FIfF (Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung), FITUG (Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft), CCC (Chaos Computer Club) und DVD (Deutsche Vereinigung für Datenschutz) in der unabhängigen Jury, die über die Vergabe entscheidet. Es geht uns darum, nicht nur einen konkret nachweisbaren Missbrauch auszuzeichnen, sondern auch aufzuzeigen, welche neuen Möglichkeiten sich durch technische Entwicklungen auftun. Wir wollen nicht nur anprangern, sondern tatsächlich etwas erreichen, etwas verändern. Das sollte auf vielen Ebenen passieren, z.B. auch durch Anpassung der Gesetze an neue Möglichkeiten. Weitere Auswahlkriterien sind die Verbreitung und die Vermittelbarkeit.
C.S.: Gibt es technisch gesehen einen Bereich, mit dem ihr Euch vorwiegend befasst?
R.T.: Nein, die Kategorisierung erfolgt nicht nach Medien, sondern nach inhaltlichen Aspekten. Es gibt einen Big Brother Award für die Bereiche Politik, Behörden und Verwaltung, Business und Finanzen, Kommunikation, den Life-Time-Award für das Lebenswerk von Leuten, die unverbesserlich und fortgesetzt Missbrauch betreiben und den Szene-Award, für Techies und Insider sowie einen Regional-Award.
C.S.: Vielleicht sollten wir jetzt die Preisträger vorstellen, um deutlich zu machen, worauf ihr genau abzielt.
R.T.: In der Kategorie Kommunikation hat die Firma GMX die Auszeichnung bekommen. GMX ist ein grosser Freemailer, bietet aber auch bezahlte Accounts an. GMX hatte ein grosses Problem mit der Sicherheit seiner Postfächer. Bei einer Systemumstellung waren die Passwörter von Tausenden von Leuten einsehbar und damit die Post nicht mehr gesichert. Ein weiterer Grund überhaupt einen Freemailer zu nominieren, war dass grundsätzlich suggeriert wird, man bekäme etwas gratis. Tatsächlich bezahlt man einfach in einer anderen Währung, nämlich der Währung Privatspäre oder mit Lebenszeit, in der man sich Werbung ansehen muss. Ausserdem hat GMX sogar mit der Tatsache, dass sie Kundendaten sammeln und auswerten in einer Anzeige Werbung gemacht: "Kennen Sie auch den Lieblingssport, Schulabschluss und die Reisepläne Ihrer Zielgruppe? Nein? Wir schon!" Danach wird stolz erläutert, dass GMX ohne weiteres dazu in der Lage ist, eine genau definierte Zielgruppe, z.B. den 35jährigen Kinofan, der am Wochenende Ski fährt, herauszufiltern. Vor der Preisverleihung hat GMX zugesichert, sie würden diese Daten nicht weitergeben, sondern nur Werbung zuspielen, so lange die Leute in ihrem System seien; mittlerweile hat sich gezeigt, dass die Daten auch verkauft werden, d.h. die Firma könnte dieses Jahr mit grösserer Berechtigung wieder nominiert werden.
In der Kategorie Behörden und Verwaltung haben wir die Bahn AG nominiert für ihr 3SKonzept: Service, Sicherheit und Sauberkeit. Der Service besteht darin, dass man eine Fahrplanansage bekommt, die Sauberkeit, dass die Mülleimer regelmässig geleert werden - und dazu braucht man eine Videoüberwachung, um zu sehen, dass ein Mülleimer voll ist - abgesehen davon, kann man auch andere Dinge mit den Überwachungskameras sehen. Sicherheit?
Die Bahn AG ist deshalb nominiert worden, weil für die Passanten im Bahnhof vollkommen unklar bleibt, wer eigentlich vor den Monitoren sitzt und überwacht. Es gibt zum einen die Bediensteten der Bahn selbst, es gibt einen bahneigenen Sicherheitsdienst, BSG, und es gibt den BGS, Bundesgrenzschutz, der sich gerade als Polizei des Bundes versucht aufzuspielen, obwohl das verfassungswidrig ist. Die Verquickung von staatlicher und privater/firmeneigener Macht ist vollkommen untrennbar geworden.
C.S.: Das heisst, unter dem Vorwand die Papierkörbe kontrollieren zu wollen, wurden in den Bahnhöfen Überwachungskameras angebracht?
R.T.: Ja, aber es geht unseres Erachtens darum, Leute, die weder eilige Reisende noch Konsumenten sind, schnellstmöglich entfernen zu können. In Anbetracht dessen, bekommt das 'Sauberkeits'-Konzept einen recht zynischen Zug... Dazu kommt die neue Ausrüstung des Sicherheitsdienstes, den Mehrzweckrettungsstock, ein besonders harter und langer Schlagstock. Für diese 3S-Konzept wurde Herr Mehdorn, Chef der Deutschen Bahn AG nominiert.
C.S.: Wer hat den Regional-Award gewonnen?
R.T.: Der Regionalpreis tanzt etwas aus der Reihe. Alle haben erwartet, dass wir das neue Pilotprojekt einer Videoüberwachung im Park nominiert hätten, aber tatsächlich sind es die Stadtwerke Bielefeld geworden. Sie haben eine Buslinie laufen, in der Radio Bielefeld läuft. Anfangs konnte man noch wählen, ob man seine Kopfhörer einstöpseln wollte, mittlerweile wird man per Lautsprecher beschallt. Radio Bielefeld ist ein kommerzieller Sender, auf dem viel Werbung läuft, der man nicht mehr entgehen kann, wenn man diese Buslinie benutzt. Es besteht ein Geschäft auf Gegenseitigkeit zwischen dem Radiosender und den Busbetreibern, der Sender macht für die Verkehrbetriebe Werbung und im Bus läuft der Sender. Mit dieser Nominierung wird der Aspekt von Big Brother beleuchetet, dass man ständig mit Parolen berieselt wird, was einen weiteren gedanklichen Freiraum einfach wegfrisst.
Der Lifetime Award, der an das Bundesverwaltungsamt in Köln ging für das Ausländerzentralregister. Seit den 50er Jahren werden dort die Daten aller in Deutschland lebenden Nichtdeutschen gespeichert. Wir denken, es handelt sich dabei um eine institutionelle Diskriminierung, die ausserordentlich gefährlich, weil anfällig für Missbrauch ist. Leider haben wir vom Bundesverwaltungsamt eine sehr zynische Antwort bekommen, in der es sinngemäss hiess, dass es im Sinne unserer ausländischen Mitbürger ist, wenn ihre Angelegenheiten schnell bearbeitet werden können.
Dann haben wir den ehemaligen Innensenator von Berlin, Werthebach, exemplarisch für die Telefonüberwachung in Deutschland ausgezeichnet. Berlin ist zwar nicht das Bundesland, das am meisten abhört, hat aber in seiner Anschaffungsliste für den Innensenat sogenannte IMSICatcher, also Geräte zum Abhören von Mobilfunk. IMSI-Catcher sind in Deutschland verboten, weil damit nicht gezielt abgehört werden kann, sondern man automatisch alle Gespräche in der Gegend erfassen kann. Es werden damit also völlig unbeteiligte Menschen abgehört. Die Angelegenheit hatte noch ein Nachspiel in der Berliner Zeitung, wodurch erst der Datenschutzbeauftragte des Landes Berlin aufmerksam geworden ist und den Fall überprüfen lässt. Das war der Bereich Politik.
Bei Business und Finanzen ist Payback, ein Bonuskarten-Rabattsystem Gewinner. Es lehnt sich vom Image her sehr an das gute alte Rabattmarkenheft an und scheint nur im neuen Gewand daherzukommen. Bei jedem Einkauf bekommt man 3% Rabatt, nicht mehr in Marken, sondern elektronisch gutgeschrieben. Dabei wird nicht nur aufgezeichent, wieviel Umsatz der Kunde gemacht hat, sondern auch die genaue Artikelliste. Payback ist mit 12 Mio Teilnehmern das grösste Rabattpunktesystem in Deutschland und hat Partnerunternehmen in allen Bereichen des täglichen Lebens: Supermarktkette, Kino, Tankstelle, Kaufhaus, Drogerie, Buchladen, Auktionshaus, Internetprovider, was ein unglaubliches Konsumprofil ergeben kann. Von dieser Nominierung sind sehr viele Menschen betroffen, was ein zusätzliches Kriterium für das Auswahl war.
C.S.: Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
R.T.: Anhand der Einkaufsliste wird versucht auf das Kaufverhalten Einfluss zu nehmen, z.B. werden Produkte im Laden so organisiert, dass zwischen denen, die jeder mitnimmt, möglichst lange Wege liegen, um die Kunden auf ihrem Weg zum Kauf von weiteren Dingen zu verleiten. Oder mit einem klaren Konsumer-Profil kann man Leute gezielt anschreiben oder -sprechen, von denen man weiss, dass sie diese oder jene Produkte verwenden, um ihnen vergleichbare oder andere Grössen anzubieten.
C.S.: Gibt es noch weitere Missbrauchsmöglichkeiten?
R.T.: Oft finden Verbraucher es nicht störend, dass jemand weiss, dass sie überhaupt oder welchen Orangensaft sie trinken. Aber diese Daten über fünf Jahre gesammelt, ergeben ein komplettes Konsumentenverhalten, aus dem viele Rückschlüsse möglich sind. Ein vorstellbares Szenario wäre, dass eine Krankenversicherung mit in die Partnerschaft geht, dann könnte diese ersehen, was jemand isst und wo er/sie einkauft. Minderwertige Lebensmittel oder der Konsum von Zigaretten könnten ein Grund sein für erhöhte Gebühren. Problem ist nur, man konsumiert nicht unbedingt das, was man einkauft. Eine Abkoppelung der Verbindung zwischen gekauften Produkten und der Person wird aber nicht mehr möglich sein. Es entsteht eine gigantische Bürokratie, die Individuen vereinnahmt und einen grossen Teil der Souveränität wegnimmt.
C.S.: Was wollt ihr mit dem Award erreichen?
R.T.: In erster Linie geht es uns darum, bei der Bevölkerung ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass es etwas ist, das jede/n betrifft.
C.S.: Ist das nicht äussert schwer?
R.T.: Natürlich, aber die Wahl der richtigen Mittel kann erheblich dazu beitragen. Ausserdem steigt das Bewusstsein langsam wieder. 1981 hat es in Deutschland eine sehr grosse Bewegung gegen die Volkszählung gegeben, obwohl es sich um vergleichsweise harmlose Fragen handelte bei der Volkszählung. Viele Leute haben sich verweigert und mit allen möglichen Aktionen und Tricks versucht, die Zählung zu boykottieren. An diese Grundstimmung würden wir gern anknüpfen. Und immer mehr Menschen realisieren auch, dass etwas im Gang ist, dass sie total vereinnahmt, obwohl es nach wie vor sehr unsichtbar bleibt.
C.S.: Bei so einer Vermittlungsarbeit kommt oft der Satz: "Ich habe nichts dagegen überwacht zu werden, weil ich nichts zu verbergen habe." Wie geht ihr damit um?
R.T.: Die einzig richtige Antwort darauf kam von Stephan Kurz aus unserem Club, der sagte: "Ich will nicht überwacht werden, weil ich nichts zu verbergen habe." Man muss einfach begreiflich machen, dass mit einer dauerhaften Überwachung, Aufnahme, Auswertung und Nutzung von persönlichen Daten man seine Souveränität verliert. Meist helfen die richtigen Beispiele sehr viel weiter. Gerade das Beispiel mit der Krankenkasse bringt viele zum Nachdenken. Oder, um ein konkretes Beispiel zu bringen, wurde nach einem Betrug mit einer gestohlenen ec-Karte, aus Versehen ein falsches Fahndungsfoto eines Mannes, der kurz vor dem Betrüger Geld mit seiner eigenen Karte abgehoben hatte, an die Presse gegeben, was das Leben des unschuldigen Mannes ruiniert hat. Ein beschädigter Ruf ist schwer wieder herzustellen. Und fälschlich bezichtigt zu werden, kann allen passieren.
Wir wollen, dass er ernst genommen wird, Er soll wirklich gefürchtet werden und dem/njenigen de/die ihn bekommt wirklich schaden.
C.S.: Wir haben in Deutschland ein relativ gutes Datenschutzgesetz. Wie verhalten sich die von Euch ans Licht beförderten Aktivitäten dazu. Sie verstossen doch nicht in jedem Fall gegen das Gesetz?
R.T.: Das Gesetz ist gut, aber wir müssen jetzt schon wieder überlegen, wie eine Neufassung in 3-4 Jahren aussehen müsste, weil es permanent den neuen technischen Möglichkeiten angepasst werden muss. Was den Verstoss dagegen anbelangt, sind wir nicht diejenigen, die das zu überprüfen haben; das ist Arbeit der Datenschutzbeauftragten. Ausserdem gibt es eine Grauzone. Wir können durchaus jemanden nominieren, der sich an die Buchstaben des Gesetzes hält, dessen Praktiken wir aber für nicht in Ordnung halten. Ein Beispiel dafür ist Payback. Bei Payback unterschreibt man mit den Teilnahmebedingungen drei verschiedene Dinge: "Meine Angaben entsprechen der Wahrheit", "Ich stimme den Teilnahmebedingungen zu" und "Ich bin einverstanden, dass meine Daten zu Werbe-, Marktforschungs- und Marketingmassnahmen benutzt werden". Mit meiner persönlichen Erlaubnis entbinde ich die Firma von der Einhaltung des Datenschutzgesetzes. Würde man dem nicht zustimmen, könnte man an dem Payback-System nicht teilnehmen. Inzwischen hat Payback auch einen Prozess gegen den Berliner Verbraucherschutzbund verloren, und sie mussten ihre Teilnahmebedingungen ändern. Aber offensichtlich brauchten sie einen Schuss vor den Bug, bevor sie etwas änderten.
C.S.: Gibt es denn keine Möglichkeit, durch Angaben falscher Daten zu mogeln oder sich zu verbergen?
R.T.: Man kann die Karten entweder im Internet bestellen oder holt sie direkt im Laden ab. In jedem Fall wird ein Antrag ausgefüllt und die Teilnahmebedingungen unterschrieben. Um die Punkte gutgeschrieben zu bekommen, muss man seine Kontonummer angegeben, ganz einfach. Untersuchungen haben ergeben, dass die Tendenz, falsche Daten anzugeben, viel zu gross ist, wenn der Rabatt direkt gegeben werden würde.
C.S.: Von welcher Ebene aus handelt ihr? Und wo seht ihr in diesem komplexen, undurchsichtigen Bereich Handlungsmöglichkeiten?
R.T.: Wir beschäftigen uns als Künstler mit Computern und Netzen, und das seit 1985. Es tat sich damit eine neue Welt auf, und wir gingen davon aus, dass hier sehr viel möglich ist, auch Einfluss zu nehmen auf die Gestaltung. Diese neue Welt war noch nicht fertig und wir wollten daran mitbauen. Auch ohne ein Baulöwe zu sein, kann man doch Markierungen hinterlassen, die etwas bewirken. Dazu ist unser Verein, der FoeBud, gegründet worden. Unsere Arbeit setzt an unterschiedlichen Stellen an. Wir haben Netze aufgebaut, die frei waren und den Leuten gehören, die sie nutzen. Wir haben an Software gearbeitet, die für diese Netze verwendet wurde, nämlich Zerberus, und haben dafür gesorgt, dass verschlüsselt wurde und die Nutzer möglichst grosse Freiheiten hatten und nicht von den Techies beherrscht werden können. Das sollte bereits in der Software verankert sein, dass der Sysadmin nicht die Macht über alles hat, und auch nicht mitlesen kann. Von Zerberus war der logische nächste Schritt zu PGP, denn eine Verschlüsselung, die auf einem Server-System stattfindet, ist nicht wirklich sicher, denn bis dahin ist der Klartext bereits über eine Leitung gegangen, deshalb war End-zu-End-Verschlüsselung notwendig. Wir haben die deutsche Übersetzung von PGP gemacht. Das Buch dazu ist immer weiter gewachsen und hat auch noch viele zusätzliche Informationen bekommen, über Gesetzgebung, Datenverschlüsselung auf der Festplatte etc.
C.S.: Wie finanziert ihr Eure Arbeit? Woher kommen z.B. die Mittel für den Award?
R.T.: Für die erste Vergabe wurde vom Foebud komplett selbst finanziert: Aussendung, Website, Pressearbeit, Recherche, Dokumentationen, aber inzwischen haben wir Anträge auf öffentliche Förderung bei verschiedenen Stellen gestellt. Wir versuchen staatlichen Stellen zu vermitteln, dass es auch Aufgabe der Demokratie ist, sich an dieser Stelle für ihre Erhaltung zu kümmern. Die Privatsphäre, oder was im Volkszählungsurteil 'informationelle Selbstbestimmung' genannt wurde, ist eine wichtige Voraussetzung für den Fortbestand der Demokratie ist.