Im slowenischen Pavillion stellen auf der diesjährigen Biennale in Venedig die Künstlergruppen 0100101110101101.ORG und EpidemiC einen Computervirus aus. Sein Name ist biennale.py, und am Eröffnungstag kamen ganze Menschenmassen, um den als Netzkunstwerk angekündigten Virus zu sehen. Cornelia führte ein Gespräch mit Vertretern von 0100101110101101.ORG
7. Juni 2001
[Cornelia Sollfrank]
Würdet ihr bitte zuerst erklären, was ein Computervirus ist?
[01]
Computerviren sind selbstreplizierende Programme, die funktionale ähnlichkeiten mit dem modus operandi von biologischen Viren aufweisen: Sie greifen einen Organismus an, in diesem Fall einen Computer, meist indem sie sich in einem Programm einnisten und werden in dem Moment aktiv, in dem das Programm ausgeführt wird.
C.S.: Und was ist das Besondere an eurem Virus?
01: 'biennale.py' ist der erste Virus, der jemals in der Programmiersprache Python geschrieben wurde. Viele Entwickler glauben, dass Python DIE Sprache der Zukunft sein wird. Sie ist plattformübergreifend, aber nicht ganz einfach zu schreiben. 'biennale.py' besteht aus 47 Zeilen Code, die sich an alle Files und alle Software anhängen, die in Python geschrieben wurden, also die Endungen .py oder .pyw haben. Das bedeutet, sie können ausschliesslich in einer Python-Umgebung existieren.
C.S.: Gibt es noch andere Besonderheiten, ausser der Tatsache, dass es der erste Python- Virus ist?
01: Zum Beispiel, dass das gesamte Projekt vollkommen transparent ist. Wir haben vorher angekündigt, was wir vorhaben, und unsere Namen und Domainnamen sind im Code enthalten. Das macht einen erheblichen Unterschied zur traditionellen Cracker- Szene aus. Ausserdem haben wir den Code, bevor wir anfingen, ihn zu verbreiten, an alle Anti-Virus-Softwarehäuser geschickt, zusammen mit einer Erläuterung, wie er unschädlich gemacht werden kann.
Das Hauptziel unseres Virus ist, einfach zu überleben. Und er kann natürlich besser überleben, wenn er seinem Host keinen Schaden zufügt. Würde er seinen Wirt killen, müsste er selbst auch sterben. Also saugt er zwar Energie, versucht aber möglichst unsichtbar zu bleiben. Er ist nur so lange sicher, so lange ihn niemand entdeckt, deshalb is 'biennale.py' vollkommen unsichtbar. Er nistet sich einfach im Hintergrund ein.
C.S.: Du hast vorher erwähnt, dass Python nicht sehr weit verbreitet ist. Heisst das nicht auch, dass eurer Virus kaum lebensfähig und ausserdem sehr harmlos ist, weil es kaum potentielle Hosts gibt?
01: Natürlich entsteht immer ein gewisser Schaden, wenn ein neues Stück Software in eine bestehende einkopiert wird, aber das ist gar nicht unsere Absicht. Ausserdem ist Python nur sinnvoll für Server, die in der Regel von Profis betrieben werden, die sowieso genau wissen, wie man mit Viren umgeht.
C.S.: Das heisst für private Nutzer besteht grundsätzliche keine Gefahr?
01.: Höchstwahrscheinlich nicht, zumindest nicht mit dieser Version. Vielleicht später, wenn Python auch auf PCs benutzt wird. Wie bereits gesagt, ist es nicht unser Hauptanliegen, Computer zu beschädigen, sonst würden wir kaum hier öffentlich darüber sprechen.
C.S.: Grundsätzlich kann man also sagen 'biennale.py' ist ein sehr friedlicher Virus und damit genau das Gegenteil von dem, was in der Presseerklärung steht, wo von "einem grossen Übel" die Rede ist und davon, dass "Chaos ausgelöst" werden würde.
01.: Erstens haben wir die Presseerklärung nicht geschrieben, und ausserdem steht da "Ein Virus wird normalerweise als Übel betrachtet, Chaos ..." ohne Referenz zu 'biennale.py', sondern vielmehr zu der Hysterie, die normalerweise unter Computernutzern ausbricht, wenn von Viren die Rede ist. Nochmal: Wir sind nicht daran interessiert, Computer zu beschädigen, sondern vielmehr am Medieneffekt, den Viren generell haben. Es gibt so viele Virenwarnungen im Netz, die fast immer Falschmeldungen sind. Die Leute verbreiten diese Warnungen total hysterisch ohne dass mal einer auf die Idee kommt, so eine Meldung zu verfifizieren. Wir arbeiten ganz einfach mit der Hysterie, mit der Medienaufmerksamkeit, die Viren automatisch bekommen.***
Ausserdem liegt uns daran, die Aura, die Viren umgibt zu entmystifizieren. Indem wir den Code im Pavillion zeigen, ihn auf T-Shirts und auf Postkarten drucken, ermöglichen wir den Menschen, mal einen Virus aus der Nähe zu betrachten. Dann werden sie schnell feststellen, dass es einfach ganz normale Software ist und wie jede andere funktioniert.
C.S.: Ich glaube, es gehört unmittelbar zur Hysterie dazu, dass die meisten Menschen nicht wissen, wie Computer jenseits der grafischen Benutzeroberfläche funktionieren. Macht es denn wirklich Sinn einen Code auszustellen, wenn kaum jemand in der Lage ist, ihn wirklich zu lesen und zu interpretieren? Vielleicht koenntet ihr sogar einen beliebigen Code zeigen und nur behaupten, es sei ein Virus! Ich finde es trägt sogar zu einer Mystifizierung bei, wenn man Transparenz vorgibt, tatsächlich die Leute aber mit etwas konfrontiert, das sie nicht in der Lage sind, zu entziffern.
01.: Eigentlich sollten die Leute nur begreifen, wo Viren sitzen und operieren. Aber klar, sogar dieses Interview trägt zu einer Mystifizierung bei, und jeder, der den Code liest wird automatisch auch Teil der Mystifizierung - aber Mystifizierung ist immer noch besser als Didaktik.
C.S.: Ich hoffe sehr, dass unser Interview dazu beiträgt, eure Motivation, eure Strategien und Absichten herauszuarbeiten, anstatt nur dumpf einen Medienhype zu reproduzieren. Deshalb würde ich gern weiter über den Code sprechen. Lassen wir einfach die Frage, ob durch eure Arbeit Viren mystifiziert oder demystifiziert offen...
Der Code erscheint in drei unterschiedlichen Versionen im Pavillion: Er ist in grossen Lettern auf ein Transparent gedruckt (ca. 3 x 4m gross), man kann ihn auf einem Computermonitor ansehen (allerdings kann der Computer nicht bedient werden), und interessanterweise hängen an den Wänden zehn gerahmte goldene CD-ROMs, die ebenfalls den Code enthalten. Warum habt ihre diese Formen der ästhetisierung gewählt?
01.: Aus Gründen der Sichtbarmachung. Will man mehr Menschen erreichen, braucht man mehr Mittel: Websites, T-Shirts, Postkarten, Bilder, Artikel, Fernsehshows; jedes Mittel trägt dazu bei, unsere Ziele effektiver zu erreichen.
C.S.: In der Presseerklärung steht, dass der Virus extra für die Biennale geschaffen wurde. Handelt es sich dabei um eine Auftragsarbeit?
01.: Nicht direkt, aber wir haben einen Teil des Geldes, das wir von der Biennale bekomme haben, benutzt, um das Projekt zu realisieren. Übrigens ist die Biennale dieses Jahr von Microsoft gesponsored worden; daraus könnte man folgern, dass unser Virus indirekt auch von Microsoft gesponsored wurde.
Wir wollten ausloten, wir frei wir wirklich sein würden in der Wahl der Arbeit, die wir hier präsentieren. Einen Virus zu schreiben ist nicht verboten, aber ihn zu verbreiten ist illegal. Der Autor ist nicht dafür verantwortlich, was andere Leute damit machen. Wir haben unseren Virus der Biennale übergeben und baten sie, den Code auf ihrer Website zu veröffentlichen. Technisch gesehen, verbreiten sie den Virus genauso wie wir. Der Konflikt, der entsteht, wenn wir einer Institution, die uns eingeladen hat, eine Arbeit anbieten, die illegal ist, interessiert uns sehr. Sie sind gezwungen sie zu akzeptieren und müssen gleichzeitig die Verantwortung dafür übernehmen, was künftig damit passiert. Ausserdem wird der Virus auch von den Leuten weiterverbreitet, die die T-Shirts mit dem Code tragen. Theoretisch könnten die auch belangt werden, genauso wie die Zeitschriften, die den Code abdrucken (Domus, Mute, Wired).
C.S.: Das heisst, ihr bleibt lieber auf der sicheren Seite und lasst die anderen die Dreckarbeit für euch machen?
01.: Genau.
C.S.: Das stimmt aber auch nicht ganz, weil ihr im Grunde genommen, nur mit der Vorstellung von Kriminalität spielt. Sieht man genauer hin, stellt man fest, dass gar nichts Illegales im Spiel ist und damit keinerlei Risiko. Eigentlich lasst ihr nur andere Leute euren harmlosen Virus verbreiten. ___6-J_0e _i_+™™____Äõ_#__?_?_"=?i_'?T¤__!____3______D÷__Ò"ßrg_virus_dt.rtfi (In) | Of°_‡????__?¸?Úv@______hen Künstler Ulay auf. Er hatte in den 70er Jahren in einer Kunstzeitschrift angekündigt, dass er ein Gemälde aus einem Berliner Museum stehlen wird. Niemand nahm es ernst, bis tatsächlich ein wertvolles Gemälde aus dem 19.Jahrhundert aus der Neuen Nationalgalerie gestohlen worden war. Ulay hatte es gestohlen und nach Berlin Kreuzberg gebracht, wo es bei einer türkischen Familie an die Wand gehängt wurde. Im Sinne von Transparenz und Kriminalität gibt es da Parallelen zu eurer Arbeit, nur mit dem Unterschied, dass Ulay tatsächlich eine Straftat begangen hat und dass er persönlich für seinen 'künstlerischen Kunstdiebstahl' belangt wurde.
01: Obwohl wir diese Aktion von Ulay immer als eine der interessantesten erachtet haben, finden wir Erik Hobijns Diebstahl eines Keith Haring Gemäldes aus dem Stedilijk Museum 1983 noch besser: nicht nur, dass er nicht dafür ins Gefängnis musste, er bekam sogar noch Lösegeld.
C.S.: Was genau ist euer Ziel? Ihr macht nichts wirklich Kriminelles, und ihr macht es ausdrücklich als Künstler im Kunstkontext. Das heisst, niemand würde jemals auf die Idee kommen, euch zu belangen, und falls doch könntet ihr selbst das hervorragend für eure Propaganda ausnutzen. Darüber hinaus wird eure Aktion hier zukünftig keinerlei Einfluss haben auf die Kriminalisierung von Hackern und Crackern haben. Und ehrlich gesagt, glaubt ihr nicht, dass der Kunstbetrieb genau von der Produktion und dem Zelebrieren von Tabubrüchen lebt? Je radikaler Kunst aussieht, umso besser für eine Institution, zumindest so lange keine echten Probleme entstehen - wie im Falle eures Virus.
01: Das ist die gleiche alte Ausrede, die mittelmässige KünstlerInnen benutzen, um ihre geschmäcklerische Arbeit zu rechtfertigen. Unsere Arbeit könnte einen Präzedenzfall schaffen, so dass zukünftig Viren zu Kunstwerken erklärt werden können.
C.S.: Meint ihr damit, dass ProgrammiererInnen, die wirklich Schaden anrichten mit Viren, sich künftig auf euch berufen sollen, um nicht für das belangt zu wrden, was sie anrichten?
01: Ja.
C.S.: Tut mir leid, aber das klingt sehr naiv. Wer definiert denn, was ein Künstler/eine Künstlerin ist? Dahinter steht ein komplexer Prozess von Selbsterklärung, Handlung, Referenzen und die Akzeptanz des Kunstsystems. Ich bezweifle, dass ein Richter willens sein würde zu akzeptieren, dass ein gefährlicher Virenschreiber plötzlich Künstler geworden ist und sich damit auf euch berufen kann. Vielleicht wäre die einzige Möglichkeit, falls ihr das wirklich ernst meint, dass ihr künftige VirenprogrammierInnen, die für ihre kriminellen Handlungen belangt werden sollen, zu Mitgliedern eurer Gruppe erklärt, zum Beispiel den Typ, der kürzlich (war das in Bologna?) zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden ist. Da ihr bereits die Legitimierung des Kunstsystems besitzt, könnte es ein interessanter Fall werden, der die Grenzen des Konzeptes Kunst auslotet.
01: Danke, das heben wir uns für die nächste Biennale auf.
C.S.: Aber bevor das überhaupt stattfinden kann, müssten die Leute, in deren Interesse ihr vorgeblich arbeitet, erst einmal von eurer Aktion erfahren. Obwohl das in den einzelnen Ländern unterschiedlich ist, sind die Welten von Hackern, Künstlern und Aktivisten sehr getrennt. Es werden nicht nur unterschiedliche Interessen verfolgt, sondern auch fundamental verschiedene Strategien, die oft nicht gut zusammengehen. Politische Aktivisten verstehen Kunst oft als reine Illustration ihrer Ziele, oder sie befürchten sogar, dass ihre politische Kredibilität leiden könnte, wenn ihr Kampf mit Kunst in Verbindung gebracht wird.
01: Die meisten Menschen denken halt nicht sehr weit, aber die, die ihr Wissen und ihre Fähigkeiten mit anderen kombinieren, machen ohne Frage die interessanteste Arbeit, ich denke da z.B. an Mongrel, I/O/D/, Electronic Disturbance Theatre, Rtmark, Surveillance Camera Players, Negativland, um nur ein paar zu nennen. Arbeitet die Hacker-, Künstler- und Aktivistenszene zusammen, entsteht eine Bombe. Und Zusammenarbeit ist notwendig, um die unterschiedlichen Aufgabenbereiche aufteilen zu können; nicht nur technisches Know-How ist notwendig, sondern auch das Vermarkten und Verkaufen. Eines unserer Ziele auf der Biennale ist schliesslich, Geld mit dem Virus zu verdienen.
C.S.: Wieviel sollen denn die CD-ROMS kosten?
01.: 1.500 USD pro Stück.
C.S.: Habt ihr jetzt, zwei Wochen nach der Eröffnung schon welche verkauft?
01.: Wir haben bereits zwei an Privatsammler verkauft.
C.S: Euer Reden von der Bombe einige Sätze weiter oben endet jetzt darin, dass ihr ein Produkt verkauft. Ist es das, was ihr mit einer Bombe gemeint habt, ein Produkt zu schaffen, das Geld einbringt?
01: Eine perfektionierte schlechte Idee ist besser, als an einer guten Idee zu scheitern.
C.S.: Vielen Dank für das Gespräch. Ich freue mich auf eure nächsten 'Bombardements'.
Veröffentlicht in: Telepolis - Online Magazin für Netzkultur, 7.7.2001
*** Betrifft: Hilfe
Datum: Mittwoch, 13.Juni 2001, 11:07:43 +0200
Von: "Carolyn R. Miller"
An: biennale.py@0100101110101101.ORG
Ich glaube, dass ich mir den Virus biennale.py von der Website von 0100101110101101.ORG geholt habe. Ich habe die Presseerklärung gelesen, die über AIR-L verbreitet wurde und besuchte beide Websiten. Auf der 0100101110101101.ORG Seite bin ich in eine Bestätigungsschleife geraten, die mir scheinbar vermitteln wollte "jetzt sind wir in deinem Computer". Ich wusste NICHT, dass das passieren würde, als ich auf die Seite gegangen bin. Ausserdem habe ich nichts wissentlich heruntergeladen. Ungefähr 48 Stunden später fing ich an, erhebliche Probleme mit meinem Computer zu haben. Ich habe einen MacG3, OS 8.6. Ich kann keinerlei Informationen darüber finden, wie ich den Virus wieder loswerden kann. Hoffentlich könnt ihr mir weiterhelfen.
Vielen Dank,
Carolyn Miller
North Carolina State University
Raleigh, NC USA
quote from the hacker dictionary (jargon file):
virus /n./
[from the obvious analogy with biological viruses, via SF] A cracker program that searches out other programs and `infects' them by embedding a copy of itself in them, so that they become Trojan horses. When these programs are executed, the embedded virus is executed too, thus propagating the `infection'. This normally happens invisibly to the user. Unlike a worm, a virus cannot infect other computers without assistance. It is propagated by vectors such as humans trading programs with their friends (see SEX). The virus may do nothing but propagate itself and then allow the program to run normally. Usually, however, after propagating silently for a while, it starts doing things like writing cute messages on the terminal or playing strange tricks with the display (some viruses include nice display hacks). Many nasty viruses, written by particularly perversely minded crackers, do irreversible damage, like nuking all the user's files.
In the 1990s, viruses have become a serious problem, especially among IBM PC and Macintosh users (the lack of security on these machines enables viruses to spread easily, even infecting the operating system). The production of special anti-virus software has become an industry, and a number of exaggerated media reports have caused outbreaks of near hysteria among users; many lusers tend to blame everything that doesn't work as they had expected on virus attacks.
Accordingly, this sense of `virus' has passed not only into techspeak but into also popular usage (where it is often incorrectly used to denote a worm or even a Trojan horse). See phage; compare back door; see also Unix conspiracy.