"Es ist egal, ob man sich cyberfeministisch nennt, postfeministisch, feministisch-aktivistisch oder sonstwie. Es geht immer zurück auf den Feminismus..."
Ein Interview mit Kathy Rae Huffman, von Cornelia Sollfrank 8.5.98, Osnabrück @ European Media Art Festival, Grrl Power Possie
[Cornelia Sollfrank]
Ich möchte mit Dir gern über deine Netzaktivitäten sprechen, die sich größenteils auf Frauen im Netz konzentrieren, insbesondere auf Netzkunst von Frauen. Wie bist du zu dieser Thematik gekommen?
[Kathy Rae Huffman]
Es hat an verschiedenen Punkten gleichzeitig angefangen, sich zu entwickeln. Die erste Arbeit, die sich speziell mit dem Thema "Frauen und Netz" auseinandersetzte war der Vortrag "Cyberintimacy" , den ich 1995 beim Vilem Flusser Symposion in München vorstellte und für Interfiction II in Kassel erweiterete. Ich habe dafür viel Material zusammengetragen, auch Online-Erfahrungen von Frauen und beispielhaft Arbeiten vorgestellt. Danach habe ich für die "Telepolis"-Ausstellung in Luxemburg "CyberSpaces" kuratiert, in der es um virtuelle Räume, Internet und interaktives Fernsehen ging.
Kurz danach, Anfang 1996, stellte ich für das Ars Electronica Center in Linz eine neue Show zusammen, DAR˜links, die über ein ganzes Jahr ging. Ich zeigte nur Arbeiten von Frauen. Sie waren alle sehr unterschiedlich, entstanden vor verschiedenen kulturellen und sozialen Hintergründen und hatten ganz unterschiedliche Ansätze. Aber sie waren alle gut gemacht und inhaltlich spannend. Ich fand sowieso, daß Websiten von Frauen immer interessanter waren...
C.S.: Es waren alles Kunst-Projekte?
K.R.H.: Ja, es war eine Art Online-Galerie für Arbeiten von Frauen im Ars Electronica Center.
C. S.: Aber du bist nicht nur kuratorisch tätig, sondern verfolgst die Entwicklung der Kunst auch als Autorin.
K.R.H.: Ja, neben Veröffentlichungen in Büchern und Zeitschriften, liegen mir die pop˜TARTS <http://www.heise.de/tp/deutsch/pop/default.html> besonders am Herzen. Das ist eine Kolumne im Telepolis Online Magazin. Die Idee dazu ging direkt aus der Telepolis-Ausstellung hervor, und ich schreibe sie zusammen mit Margarete Jahrmann.
C.S.: Worum geht es denn bei den pop˜TARTS?
K.R.H.: Wir suchen nach überschneidungen zwischen Theorie und Praxis, und das im Hinblick auf Kommunikationsprojekte oder Webseiten, die entweder von Frauen gemacht sind, oder sich mit Geschlechterfragen auseinandersetzen. Aber das hat sich alles erst entwickelt. Wir hatten uns eigentlich gewünscht, andere Frauen als Autorinnen mehr miteinzubeziehen, als pop˜agents, aber das hat nie so richtig geklappt. Jetzt ist es geradliniger, bezieht sich häufig auf Events oder bestimmte Themen, die wir bearbeiten. Anfänglich gab es auch technische Probleme mit dem, was wir geplant hatten, und es war notwendig Abstriche zu machen.
C.S.: Eines der bekanntesten Projekte, das du initiiert hast, ist sicherlich FACE SEETINGS, ein Kommunikationsprojekt für Frauen, das offline und online Kommunikation miteinander in Verbindung bringt.
K.R.H.: Ja, ich realisierte es zusammen mit Eva Wohlgemuth. Wir kennen uns schon ziemlich lange und haben bereits vorher ein Internet-Projekt zusammen verwirklicht: SIBERIAN DEAL. <http://www.icf.de/siberian_deal>
C.S.: Für SIBERIAN DEAL seid ihr nach Sibirien gereist und habt ein online-Tagebuch geführt. Wie ist die Idee dazu entstanden?
K.R.H.: 1994 reiste ich durch Rußland und habe dort Leute kennengelernt, die einen Internet Provider betreiben (Relcom). Wir haben dann bei ihnen im Keller, in Moskau, mit dem damals neuen, grafischen Interface "Mosaic" experimentiert. Ich hatte zwar etwas Erfahrung mit E-mail, aber noch nicht einmal einen eigenen Account. Ich verbinde meine Initiation ins Internet immer mit Rußland.
C.S.: Oh, das ist sicher sehr ungewöhnlich für eine Amerikanerin!
K.R.H.: Kurze Zeit später zeigte ich im Landesmuseum in Linz politische Filme und Videos aus Ost und West. Dazu kamen auch einige russische und amerikanische Filmund Fernsehmacher nach Linz (u.a. Marty Lucas von Paper Tiger TV und Tatjana Tedenko, eine Produzentin des russischen Fernsehens). Aus den vielen Gesprächen, die dort geführt wurden, kristallisierte sich das Thema "Sibirien" heraus. Viele Vorurteile unsererseits - viel Schwärmerei von seiten der Russen. Daraus entstand die Idee, zusammen mit Eva Wohlgemuth, Sibirien zu bereisen.
C.S.: Und diese Erfahrungen waren dann Grundlage für FACE SETTINGS?
K.R.H.: Wir haben uns überlegt, was wir immer am liebsten zusammen gemacht hatten - und das war kochen. Wir hatten oft höchst interessante Begegnungen und Gespräche bei Essen. Und bei unserer Sibirienreise fanden wir, daß Frauen die interessanteren Gesprächspartner waren. Das verbanden wir. Wir wollten reisen, kochen, Frauen zusammenbringen, und die Gruppen, die wir getroffen hatten, wiederum miteinander in Verbindung bringen - und dafür eine physische Grundlage schaffen.
C.S.: Ihr habt ein Konzept entwickelt, dem Kind einen Namen gegeben, ein Logo entworfen, eine Website gebaut und dann angefangen Treffen zu organisieren. Wie sah das Konzept genau aus?
K.R.H.: Wir haben Abendessen veranstaltet, mit Frauen, die mit Neuen Medein arbeiten, in verschiedenen Städten, verschiedenen Ländern, für das Essen bestimmte Themenschwerpunkt für die Konversation vorgeben, und alles dann wieder auf der Website dokumentiert, um eine breitere Auseinandersetzung zu ermöglichen. Das erste Essen fand beim D.E.A.F (Dutch Electronic Art Festival) 1996 in Rotterdam statt.
C.S.: Das wirklich Neue an FACE SETTINGS ist doch, daß ihr nicht nur ein reales Essen organisiert, sondern daß ihr Essen (dinner) als Metapher benutzt, und sie für ein Kommunikations-Projekt ins Web bringt.
K.R.H.: Dazu kommt, daß Dinner in der feministischen Tradition schon immer sehr wichtig waren. Seit Judy Chicagos Dinner Party gab es immer wieder Projekte, die mit kochen und essen zu tun hatten.
C.S.: Glaubst du, daß die Metapher im Internet funktioniert?
K.R.H.: Ja, das glaube ich schon. Und es macht Spaß, Gemüse einzuscannen und Links zwischen Gemüse und Theorie herzustellen... Wir sitzen zusammen und gehen die Unterhaltungen nochmal durch, erinnern uns an die Leute, denken über die Diskussionen nach und versuchen sie per e-mail weiterzuführen. Aber es kostet auch sehr viel Zeit.
C. S.: Was habt ihr weiterhin geplant mit FACE SETTINGS?
K.R.H.: Eva Ursprung hat uns für den Sommer nach Graz eingeladen. Wir haben die Gelegenheit, im Forum Stadtpark, ein FACE SETTINGS Treffen zu veranstalten, begleitet von einer Ausstellung. Eva ist die Kuratorin. Es werden Frauen aus Schottland, Spanien, Rußland, Deutschland und Jugoslawien zusammenkommen. Es wäre schön, die fünf Gruppen der fünf FACE SETTINGS Dinner zusammenzubringen. Aber es wird auch, mangels Finanzierung, vorläufig unser letztes Treffen sein. Wir können künftig leider nichts mehr in das Projekt investieren, nur noch die Website pflegen und sehen, ob sich vielleicht in Graz etwas Neues ergibt.
C. S.: Aus FACES SETTINGS ist ja noch etwas anderes entstanden, nämlich die Mailingliste FACES.
K.R.H.: Ja, die Idee ist bei einem der Abendessen entstanden. Die Frauen äußersten den Wunsch, über E-mail in Verbindung zu bleiben.
C.S.: Es gibt also zwei Arten von Communities: Einmal die durch soziale Interaktion (face2face) im Real Life entstandene, und die virtuelle, die durch die Mailingliste und die Webseite entsteht. Ich würde gern noch mehr über FACES erfahren.
K.R.H.: Sie wurde im April 1997 in Liverpool angekündigt. Und natürlich wollten wir eine weibliche Webmistress - glücklicherweise haben wir dann Vali Djordjevic von der Internationalen Stadt Berlin gefunden. Sie hat uns online gebracht. Ich moderiere sie zusammen mit Diana McCarty, und wir haben sie anfangs klein gehalten, um erst einmal Erfahrungen zu sammeln.
C.S.: Wie ist denn die Basisgruppe zusammengekommen?
K.R.H.: Wir haben aus jedem Land, in dem wir ein Dinner veranstaltet hatten, jemanden ausgesucht. Wir haben dann, was die Organisation anbelangt, schnell Fortschritte gemacht und bemerkt, daß wir mit einer kleinen Gruppe keine guten Diskussionen in Gang bringen: so haben wir uns geöffnet. Anfangs sollte die Liste auch wirklich nur dazu da sein, um die verschiedenen Gruppen in Verbindung zu halten. Aber viele Frauen waren interessiert und fragten uns, warum wir nicht öffentlich seien. Aber es war nie unsere Absicht, eine große Liste für alle Frauen aus der Medien-Kunst-Welt zu machen.
C.S.: Wie sieht es denn jetzt aus, nach einem Jahr?
K.R.H.: Wir haben 150 Mitglieder. Und wir wollen als Moderatoren die Liste nicht zu stark bestimmen. Dafür bekommen wir aber häufig Kritik. Es wird von uns verlangt, Themen vorzugeben, Diskussionen anzuregen.
C.S.: Würdest du wirklich sagen, Frauen erwarten erstmal etwas, wenn sie die Liste abonnieren und haben gar nicht den Wunsch, selbst etwas beizutragen?
K.R.H.: Ja, sie schauen erstmal, was sie kriegen können. Wahrscheinlich ist das normal, erstmal Informationen bekommen zu wollen, und erst später, wenn man sich mehr zugehörig fühlt, auch selbst etwas beizusteuern. Außerdem müssen die meisten Frauen erst lernen, sich öffentlich zu äußern.
C.S.: Das hat doch sicher auch damit zu tun, wie vertraut man mit dem Medium überhaupt ist.
K.R.H.: Für mich ist es am spannendsten zu sehen, welche Diskussionen sich zwischen den Generationen entwickeln. Es scheint, als seien unterschiedliche Erfahrungen ein größeres Hindernis als soziale oder kulturelle Unterschiede. Es ist wichtig, wo die Frauen im Leben stehen. Junge Frauen haben komplett andere Vorstellungen und Ideen als ältere.
C.S.: Aber wie weiß man überhaupt auf einer Mailingliste, wie alt jemand ist?
K.R.H.: Ich kenne sie alle persönlich.
C.S.: Die FACES Mailingliste hat also mit dem Konzept von Anonymität und subjektfreiem Raum im Internet wenig zu tun?
K.R.H.: Es ist sicher nicht anonym bei FACES. Wir haben auch alle Neuen gebeten, sich vorzustellen, sobald sie auf der Liste sind. Es war uns wichtig, einen Ort zu schaffen, an dem man sich wohlfühlt und weiß, mit wem man es zu tun hat.
C.S.: Was war Grund dafür, im Netz einen Raum nur für Frauen zu schaffen?
K.R.H.: Die meisten IRCs (Inter Relay Chats), Mailinglisten und Kommunikationsorte irritieren mich sehr, weil sie vollkommen männlich dominiert sind.
C.S.: Es wird viel geredet über den geschlechtslosen Cyberspace, auch von weiblichen Theoretikerinnen. Ist es nicht eine Art Widerspruch, Räume nur für Frauen, zu fordern? Das impliziert, daß der Cyberspace nicht geschlechtslos ist, sondern daß es männliche und weibliche Identifikation gibt.
K.R.H.: Man kann es selbst bestimmen, ob man sich in einem anonymen oder in einen identifizierbaren Raum begeben will. FACES soll ein Ort sein, an dem Frauen mit Frauen diskutieren. Frauen sollten einen Ort haben, an dem sie unter sich sein können. Obwohl es auch unter Frauen nicht immer harmonisch und unterstützend zugeht.
C.S.: Es ist heute nicht mehr möglich weibliche Solidarität zu fordern. Es gibt zu viele unterschiedliche Ansätze in den Feminismen.
K.R.H.: Für mich ist es immer noch ein Ziel Solidarität unter Frauen anzustreben. Was haben diese unterschiedlichen Ansätze überhaupt zu bedeuten? Wozu sollen sie gut sein, wenn nicht dazu, für alle Fraeun bessere Bedingugen zu schaffen? Ansonsten ist es nur ein anderes Mittel, Erfolg und Karriere anzustreben. Meine politische Strategie ist es, andere zu unterstützen. Das ist auch der Sinn der Mailingliste. Es ist ein freier und zwangloser Ort zum Diskutieren.
C.S.: Verbindungen herzustellen ist also Teil deiner Arbeit, aber du identifizierst dich nicht ausschließlich darüber.
K.R.H.: Ich bin einfach eine Frau. Und es gefällt mir, andere Frauen zu repräsentieren. Vor allem in Europa gibt es immer noch einen großen Nachholbedarf dafür.
C.S.: Findest du, daß es einen großen Unterschied diesbezüglich zwischen den USA und Europa gibt?
K.R.H.: Allerdings. Bevor ich hierher kam lebte ich in Boston und da gibt es ein ganz anderes Verständnis von Frauen-Organisationen. z.B. war ich Mitglied von "Women in Film and Video". Wir organisierten des Jahr eine große Konferenz. Es gab viel Informationsaustausch und Networking, und es war ganz selbstverständlich. Hier gibt es ganz wenige Frauen-Zusammenhänge, vor allem in der Kunstwelt.
C.S.: Was glaubst du, woran das liegt?
K.R.H.: Ich weiß nicht genau, aber es ändert sich auch langsam. Obwohl viele ein Problem damit haben, Feministinnen zu sein. Zumindest wollen sie nicht so genannt werden. Ich weiß gar nicht, was daran so schlimm sein soll.
C.S.: Eine letzte Frage: Du wirst gelegentlich als Cyberfeministin bezeichnet. Glaubst, daß es sinnvoll ist, diesen neuen Terminus einzuführen?
K.R.H.: Für mich hat Cyberfeminismus mit dem ganz eindeutigen Statement der australischen Künstlerinnegruppe VNS Matrix zu tun. Vielleicht bedeutet Cyberfeminismus nicht Aktivismus, sondern Sexualität im Internet auf radikale Weise zu benutzen. Schließlich ist es egal, ob man sich cyberfeministisch nennt, postfeministisch, feministsich-aktivistisch oder sonstwie. Es geht immer zurück auf den Feminismus.
C.S.: Vielen Dank für das Gespräch.
Veröffentlicht in:
Telepolis - Online Magazin für Netzkultur, 7.9.1998
Musen Mythen Mode, Jahrbuch VII, Hochschule der Künste Berlin, 1999. Hrsg. Sigrid Schade;
Kathy Rae Huffman ist Kuratorin, Autorin, Künstlerin, Aktivistin und seit August 1998 Professorin für Elektronische Kunst am Rensselaer Polytechnic Institute (RPI) in Troy, New York. Seit Mitte der 70er Jahre befaßt sie sich mit Neuen Medien und erweiterte ihren Tätigkeitsbereich immer entlang technischer Innovationen. Nachdem sie sich anfangs schwerpunktmäßig mit Video- und Fernsehkunst beschäftigt hatte, gelangte sie über interaktives Fernsehen (einer Kollaboration mit Van Gogh TV) schließlich zum Internet als künstlerischen Medium. Ihr besonders Interesse gilt dabei Frauen- Zusammenhängen. Dieses Interview konzentriert sich auf ihre Arbeit seit 1995, die in Zusammenhang mit dem Internet steht. Sie kuratierte Netzkunst-Ausstellungen, entwickelte, in Zusammenarbeit mit Eva Wohlgemuth eigene Web-Projekte, ist Koautorin der pop~Tarts, ko-moderiert die Frauen-Mailingliste FACES und ist Kuratorin für das Van Gogh TV Virtual Museum System. Kathy Rae Huffman ist Amerikanerin und lebte von 1991 bis Sommer 1998 in Österreich.