Cornelia Sollfrank interviewed by Florian Cramer, December 28, 2001, during the annual congress of the Chaos Computer Club (German Hacker's Club) in Berlin.
[Florian Cramer]
Ich habe Fragen zu verschiedenen Themenkomplexen, die in Deiner Arbeit immer wieder aufeinander bezogen zu sein scheinen: Hacken und Kunst, computergenerierte bzw. generative Kunst, Cyberfeminismus, Fragen, die Deine neue Arbeit 'Improved Tele-vision' aufwirft, schliesslich der Komplex Plagiate und Appropriationen - sowie, vielleicht als Anhängsel daran, Kunst und Code, Codekunst und Codeästhetik...
[Cornelia Sollfrank]
Codekunst und Codeästhetik gehört ja eher zu Deinen Themen. Da stelle ich dann besser die Fragen ;-)
FC: ...nein, das bezieht sich sehr konkret auf Äusserungen von Dir, zum Beispiel auf Dein 'Telepolis'-Interview mit 0100101110111001.org, das ich sehr gut fand wegen seines skeptischen Untertons. - Wenn das eher mein Interesse ist, können wir es aber gerne ausklammern.
CS: Nein, nein, so war das nicht gemeint, ganz im Gegenteil. Aber das Interessante und Schwierige sind ja die Beziehungen zwischen diesen Komplexen, und damit hadere ich oft. Vieles scheint einfach parallel zu laufen, bzw. begibt man sich für bestimmte Zeit mehr in den einen Bereich, dann wieder in den anderen. Dabei im Blick zu behalten, wie die Aktivitäten zusammenhängen ist nicht einfach.
FC: Wenn ich Deine Arbeit betrachte, fällt mir auf, dass Du einerseits eine sehr wichtige Netzkünstlerin bist, andererseits - was aber eng damit verbunden zu sein scheint - auch als kritische Journalistin, unter anderem für 'Telepolis', arbeitest. Du hast viel geschrieben über Hackerkulturen, z.B. über einen italienischen Hackerkongress, und ein Interview mit dem Chaos-Computer-Club-Sprecher Andy Müller-Maguhn über die europäische 'Cybercrime Convention' geführt. Stimmt meine Annahme, dass Du immer, wenn Du über Hacking schreibst, auch ein Interesse, ein ästhetisches Interesse an Netzkunst verfolgst, und dass umgekehrt auch dann, wenn Du über Netzkunst schreibst, Dich interessiert, inwiefern sie in Richtung Computer-Hacking tendiert?
CS: Ich identifiziere mich zu allererst als Künstlerin, und das ist auch mein Ausgangspunkt für alles andere; auch dafür in andere Rollen zu schlüpfen. Das Journalistinsein ist eher ein Mittel zum Zweck, weil ich als Journalistin Informationen erhalte, die ich als Künstlerin nicht bekomme. Das heisst, ich instrumentalisiere diese Funktion, wie zum Beispiel auf der ars electronica 2001. Das Thema war 'Takeover', und ich war eingeladen worden, an dem Panel 'Female Takeover' mitzuwirken. Ein Interview, das ich für 'Telepolis' mit dem dem ars electronica-Leiter Gerfried Stocker führte, half mir, herausfinden, was er sich zu dem Thema dachte, wie das - etwas dürftige - Konzept zustande gekommen ist. Deshalb ist journalistisches Schreiben und Beobachten einfach integrativer Bestandteil meiner Kunst. Mein Produkt - ich weiss nicht, ob man es wirklich so nennen kann - ist letztendlich ein künstlerisches, oder, wie Du sagen würdest, ein ästhetisches.
FC: Im Schlusssatz Deiner Rezension der ars electronica schreibst Du: "Vielleicht braucht die Kunst auch die ars electronica nicht mehr", ein Satz, der mir übrigens sehr sympathisch ist. (Lachen.)
CS: Vielleicht ja doch. Es steht ja da: "vielleicht". (Lachen.)
FC: Das Motto der Veranstaltung implizierte ja nicht, dass die Künste die Technik appropriieren, sondern dass umgekehrt die Techniker die Kunst übernehmen und die Künstler überflüssig werden.
CS: Ich habe da noch ein anderes 'Takeover' gesehen. Stocker hat das verstanden als ein 'Takeover' von Leuten, die in der freien Wirtschaft arbeiten und quasi die Kunst übernehmen. Und zwar einfach deswegen, weil sie kreativer sind als die Künstler. Sein ganzer Kunstbegriff kreist nur um Kreativität; mehr scheint ihm zur Definition von Kunst nicht einzufallen. (Dabei ist Kreativität, wenn ich an dieser Stelle mal den Kollegen Merz zitieren darf, etwas für Friseure!) Gewiss war Stockers These auch gemeint als Provokation der Künstler, etwa nach dem Motto: Schaut Euch einmal an, was ihr für einen langweiligen Scheiss ihr macht im Gegensatz zu den jungen Super-Kids, die da in den Companies ganz lässig die geilen Sachen machen. Aber selbst das ist ja vielfältig interpretierbar. Man könnte ein ganzes Spektrum von 'Takeovers' aufmachen, so wie wir eben das 'Female Takeover' diskutiert und geprobt und haben. Ein Ergebnis unseres Panels war übrigens, der ars electronica das Konzept einer 'women only'-ars electronica zu unterbreiten, als ein Szenario.
FC: Um noch einmal auf das Problem der Abgrenzung der Kontexte - wie Kunst und Nicht- Kunst, Kunst und Hacking - zurückzukommen: In Deinem Bericht über das italienische Hackertreffen fiel mir die Formulierung auf, dass Kunstbetrieb und Hackerszene gewöhnlicherweise voneinander getrennt sind, wenn auch dort in Italien nicht so rigoros. Dies schien mir eine soziologische Beobachtung zu sein, nicht aber eine These, die Du grundsätzlich vertrittst und erhärten willst. Ist also für Dich Hacken auch Kunst und hat vielleicht auch umgekehrt Kunst etwas mit Hacken zu tun?
CS: Beides. Was die soziologischen Aussagen über Kunst und Hacking anbetrifft, so bin ich in den vier, fünf Jahren, seit denen ich mich mit Hacking beschäftige, immer mehr zu dem Ergebnis gekommen, dass Hackerkultur immer auch eine nationale... (lacht) Couleur zumindest hat. Deswegen ist es für mich interessant, in andere Länder zu gehen, und nach Italien besonders, weil es da anscheinend überhaupt keine Berührungsängste zwischen Künstlern, Aktivisiten, Philosophen etc. gibt. Sie koexistieren da sehr selbstverständlich, sprechen miteinander und finden dabei teilweise sogar eine Sprache, in der sie kommunizieren können (lacht), was ich aus Deutschland zum Beispiel nicht kenne. Als Künstlerin im Chaos Computer Club habe ich die schlimmsten Vorurteile, Beleidigungen und Beschimpfungen meines Lebens erlebt (leider).
FC: Du sagst: im Chaos Computer Club als 'Künstlerin'. Was ist da entscheidend? 'Künstler' oder '-in'?
CS: Beides. Hinsichtlich des Geschlechts gibt es eine prinzipielle Offenheit. Wenn man sich mit den gleichen Themen auf die gleiche Weise beschäftigt und dieselbe Sprache spricht, ist das kein Hindernis.(Lacht.) Da das aber selten der Fall ist, wird es doch zu einem. Das grössere Problem ist aber in der Tat die Kunst. Das hat mich total verblüfft. Ich habe ein nettes Gespräch auf irgendeiner Party des Chaos Computer Clubs, werde gefragt, was ich mache, und wenn ich sage, ich bin Künstlerin, kommt nur noch der Ausruf (mit kehliger Stimme:) "ICH HASSE KÜNSTLER!", und ich denke dann, oh, ist ja schade. Damit ist das Gespräch beendet, und es fällt mir ganz schwer, neue Anknüpfungspunkte zu suchen, dabeizubleiben und nachzufragen. Das hat sicher damit zu tun, dass Hacker von sich selbst denken, dass sie eigentlich Künstler seien - und zwar die einzig wahren - und dass die anderen nur Idioten sind und keine Ahnung haben (lacht). Zum anderen gibt es aus den Anfängen des Chaos Computer Club noch Verbindungen zur Kunst, zum Beispiel in Bielefeld, wo padeluun und Rena Tangens sich auch als Künstler und Galeristen verstehen - die aber nicht von allen im CCC gleichermass en geliebt und akzeptiert werden.
FC: ...Felix von Leitner zum Beispiel, einer der computertechnisch versiertesten CCCler, lässt gerne seine Breitseiten gegen padeluun los...
CS: Das hat im deutschen CCC auch mit der Person von padeluun zu tun, den viele einfach nicht ausstehen können. Er verkörpert für einige das, was sie an Kunst kennen, und damit ist das Thema abgehakt.
FC: Ist das vielleicht nicht auch ein Problem mit dem Kunstbegriff, dass wir nämlich seit Mitte des 18. Jahrhunderts, spätestens seit der Romantik einen Begriff von Kunst haben, der nicht mehr auf die 'ars' abzielt, also auf die Fertigkeit, sondern auf das Genie und die ästhetische Anschauung? Wenn man jedoch Hacking als Kunst ansieht, hat dies nicht sehr viel zu tun mit diesem älteren Begriff der 'ars'?
CS: Das kann aber auch mit einem neueren Kunstbegriff zu tun haben, wenn der vorhanden ist in den Köpfen der Leute. Für mich hat das weniger unmittelbar etwas mit Fertigkeiten zu tun, weil einer allein sowieso nicht die Fertigkeiten hat, um heutzutage etwas relevantes zu produzieren, sondern verschiedene Leute mit verschiedenen Fertigkeiten zusammenkommen müssen. In solch einen Verband würde ein klassischer Hacker gut hineinpassen. Es ist aber sehr schwierig, damit gerade in meiner deutschen Hackerkultur durchzudringen. Meine Arbeiten mit den women hackers kennst Du wahrscheinlich nicht?
FC: Ich kenne ein Interview, das Du 1999 mit einer Hackerin ebenfalls auf einem Chaos Computer-Kongress geführt hast...
CS: ...Clara S0pht...
FC: ...genau. Und offenbar arbeitest Du an einer umfassenderen Videodokumentation zu dem Thema.
CS: Ich mache eine 5teilige Serie. Auf Grund meiner Erfahrungen im CCC habe ich zielgerichtet recherchiert und versucht, Frauen zu finden, die sich selbst auch als Hackerinnen sehen. Neben Postings auf zahlreichen Mailinglisten und Newsgroups, hatte ich alle möglichen Experten befragt, wie Bruce Sterling, der sich mit seinem Sachbuch 'Hacker Crackdown' als Kenner der us-amerikanischen Szene einen Namen gemacht hat, oder eine usamerikanische Hacker-Jägerin, Gail Thackeray, die Mitbegründerin der Computer Crime Unit der USA ist. Es gibt richtige Spezialisten, die die Szene sehr gut kennen, und alle haben mir bestätigt, dass es keine - technisch versierten - Frauen gibt. Dieses Ergebnis fand ich sehr deprimierend. In meiner Vorstellung gab es diese wilden Frauen, totale Nerds, exotisch, anarchistisch und gefährlich, mutig alle Grenzen und Normen zu überschreiten, psychopathisch, kriminell veranlagt, politisch motiviert, künstlerisch und so weiter; doch es gab sie einfach nicht. Da habe ich vom Journalisten-Recherche-Modus umgeschaltet auf den Künstler-Modus und gesagt, dass ich diese langweilige Realität etwas manipulieren muss. Und so habe ich zum Beispiel dieses Interview gemacht mit Clara S0pht, die es ja gar nicht gibt. (Lacht.) Ich habe eben angefangen, Hackerinnen zu erfinden.
FC: Ach so! (Lacht.) Toll!
CS: Die so entstandenen Videos habe ich zwar auch in der Kunstszene gezeigt, in der sie auch sehr beliebt sind, obwohl manchmal besonders findige Leute fragen, was sie eigentlich noch mit Kunst zu tun haben. Je nach Situation gebe ich dann preis, dass die Hackerinnen nicht existieren oder NOCH nicht. Noch lieber aber habe ich sie im Hacker-Kontext gezeigt. Zum Beispiel habe ich auf dem CCC-Kongress einen Vortrag über women hackers gehalten und das Interview mit Clara S0pht gezeigt. Es war relativ gut besucht, auch viele Männer waren da, die sich alles angesehen und mich dann beschimpft haben, weil ich die Privatsphäre von Clara S0pht nicht ordentlich geschützt hätte, wo sie doch ausdrücklich Angaben über ihre Person nicht veröffentlicht haben wollte. Am Ende der Veranstaltung erwähnte ich dann nebenbei, dass es die Frau nicht gibt, dass ich sie erfunden habe. Da sind schon einige Kiefer heruntergeklappt. Ganz unerwartet hatten sie Kunst erfahren, eine Kunst, die zu ihnen gekommen war, auf ihren Kongress und ihre Sprache spricht. Mich hat das sehr amüsiert. Mit so kleinen Dosen von 'Pädagogik' kann man eine Menge auslösen und sicher auch dem CCC zu einer Weiterentwicklung verhelfen.
FC: Da wirst Du ja selbst auch zu einer Hackerin, nur in einem anderen System als dem der Computercodes. Du machst einen 'social hack'.
CS: Sicher - Mein Lieblingshack im CCC betraf sogar die Website des Hackerclubs, die 'Lost & Found'-Seite, die ich nach jedem Kongress immer gerne studiere, weil ich es interessant finde, welche Sachen Hacker haben und vergessen. Ich habe das dann umgedreht. Als ich am Thema 'women hackers' gearbeitet habe, liess ich Sachen bewusst plaziert auf dem CCCKongress liegen, damit sie auf die 'Lost & Found'-Seite kommen, um dort eine Bewegung oder Umwälzung auszulösen. Und zwar habe ich Sachen, die nur Frauen normalerweise besitzen, da zurückgelassen. Das Hauptobjekt war ein kleines elektronisches Gerät mit einem Display und zwei Leuchten, mit dem Frauen ihre fruchtbaren Tage errechnen können. Das habe ich abgegeben bei 'Lost & Found' und behauptet, ich hätte es auf der Damentoilette gefunden. Fünf Hacker standen dann um dieses Gerät herum und haben es untersucht..., [Lachen] um herauszufinden, was es ist. Dieses ominöse Gerät wurde auch noch heftig diskutiert, bevor es schliesslich doch ganz gross auf der 'Lost & Found'-Seite abgebildet wurde. Das sind so meine kleinen Hacks im CCC - damals im Zuge des Spurenlegens von Hackerinnen und von Figuren, die es nicht gibt.
FC: In den frühen Neunziger Jahren hat der Kunstkritiker Thomas Wulffen die Metapher vom 'Betriebssystem Kunst' geprägt. Kannst Du damit etwas anfangen? Oder findest Du das problematisch? Deine künstlerischen Hacks, über die wir gesprochen haben, setzen ja gar nicht unmittelbar auf der Betriebssystemebene der Kunst auf.
CS: Ich kann sogar sehr viel damit anfangen, weil das, was mich am meisten interessiert an der Kunst, das Betriebssystem ist, die Parameter, die in ihm herrschen, wie sie sich verändern können und durch die Möglichkeiten neuer Medien auch verändern. Zum Betriebssystem Kunst gehört auch das Künsterbild, die Vorstellung eines künstlerischen Programmes, der Werkbegriff, bis hin zu den Interfaces - wer und was wird ausgestellt, und wer sieht sich das an. Dieses System ist eigentlich das, was mich an der Kunst am meisten interessiert. Und um intervenieren und damit spielen zu können, muss ich wissen, wie es funktioniert.
FC: Aber ist es dann nicht schwierig, auch Netzkünstlerin zu sein? In meiner Wahrnehmung von Netzkunst hat mich am meisten verblüfft, wie sich ausgerechnet an ihr gezeigt hat, wie spiessig, reaktionär und ausschlussfreudig der zeitgenössische Kunstbetrieb tatsächlich ist, von dem man immer dachte, er sei der ästhetisch permissivste überhaupt. Am Beispiel Netzkunst hat man genau gesehen, wie in dem Moment, in dem keine Objekte mehr produziert wurden, die man hätte sinnvoll ausstellen können, sie durchs Raster fiel und nicht anerkannt wurde im Betriebssystem. Ich finde es immer noch erstaunlich, wie sehr Netzkunst damit zu kämpfen hat, in diesem Betrieb überhaupt ernstgenommen zu werden. Ist es dann nicht schwierig für Dich, als Künstlerin das Betriebssystem Kunst hacken zu wollen, dies aber als Netzkünstlerin zu tun?
CS: Zunächst würde ich mich nicht ausschliesslich als Netzkünstlerin bezeichenen, sondern lieber als eine Art Konzeptkünstlerin. Ich finde das Netz zwar sehr interessant, und darin zu agieren, kommt mir sehr entgegen, aber, wie gesagt, arbeite ich auch mit Video, Text, Performance und was auch immer für ein bestimmtes Projekt adäquat ist. Dass Netzkunst nicht anerkannt wird im Kunstsystem und da Probleme hat, liegt meines Erachtens hauptsächlich daran, dass es keine Werke (/Objekte) gibt, die auf sinnvolle Weise den Besitzer wechseln können. Eine Kunst, die nicht marktkompatibel ist, ist kaum von Interesse, da letztendlich der Markt die treibende Kraft im Betreibssystem Kunst ist. Eine weitere Schwierigkeit ist die Ausstellbarkeit. Was rechtfertigt es, Netzkunst im 'white cube' zu zeigen? So müssen sich alle Ausstellungsmacher fragen: Wieso sollen wir Netzkunst eigentlich hier, in unserem Museum zeigen? Einige Netzkünstler haben auch sehr schnell begriffen, dass sie mit ihrer produktlosen, schlecht repräsentierbaren Netzkunst nicht weit kommen (im System), und sind dazu übergegangen, in Richtung Rauminstallation zu arbeiten. Das funktioniert prima und war in der Videokunst auch nicht anders. Es ist also kein neues Phänomen ist mit der Netzkunst. Auch vor ihr gab es ephemere Kunst, Fluxus und Performancekunst zum Beispiel, oder technisch verlustfrei reproduzierbare Kunst wie Video oder Fotografie. All diese Kunstformen hatten enorme Probleme zu Beginn, und dann gab es doch Möglichkeiten für den Markt, und einzelne Vermittler haben sich dafür stark gemacht und es durchgesetzt. Und wenn es alles zuviel wird, läutet man mal wieder eine Dekade der neuen Malerei ein - zur Erholung (des Marktes).
Bei der Netzkunst glaube ich schon an ein Interesse im Kunstbetrieb. Eine Zeit lang wurde sie sehr gehypt, und im Moment sehe ich da eher eine Art Konsolidierung. Schliesslich gibt einige grosse Institutionen wie das Guggenheim, die Tate Gallery oder das Walker Art Center, die sich aktiv für die Produktion von Netzkunst einsetzen, indem sie Commissions vergeben. Was tatsächlich schiefging in der Netzkunst war, dass die Künstler - ich spreche da von der Gruppe net.art und Umfeld - nicht gemeinsam Strategien entwickelt hatten, wie sie mit dem Betriebssystem Kunst umgehen sollten, was z.B. eine grosse Stärke der Fluxus- Künstler ausmachte. Es fehlte die Bereitschaft, da überhaupt ein Problem zu sehen. Eine entsprechend verheerende Wirkung hatte auch das Zusammentreffen. Meiner Einschätzung nach kommt man mit der Haltung: "Ich gehe stelle zwar meine Arbeit auf der documenta oder im Whitney Museum aus, aber es bedeutet nichts" nicht sehr weit. Das ist unpolitisch und schwächt jeden einzelnen in seiner Position.
Ähnlich verhielt sich auch Vuc Cosic auf der Biennale 2001 in Venedig. Egal durch welche verqueren Umstände er schliesslich im slowenischen Pavillion landete, es war ein Erfolg für die Netzkunst und für ihn persönlich, und es war ein interessanter Pavillion gesamt gesehen. Und anstatt es als solches zu feiern - was ehrlich gewesen wäre - versuchte er durch sein Verhalten zu vermitteln, dass es völlig belanglos sei. Das fanden einige Leute sehr unangenehm und es entstand ganz spontan, vorort, die Idee, die Situation zu markieren. Das Ergebnis war die viel umstrittene 'flower action'. Im Namen des Old Boys Network überreichten ihm drei Cyberfeministinnen bei der Eröffnung des Pavillons einen übertrieben grossen Blumenstrauss, um ihm zu seinem Erfolg zu gratulieren und seine Verdienste für die Netzkunst zu würdigen.
Ich mag die Aktion, weil sie auf unterschiedlichen Ebenen funktionierte: die slowenische Presse war stolz auf ihren Künstler, und die Insider konnten sich noch gut an die Vuks Geste erinnern, anlässlich der Eröffnung von net.condition am zkm einen Blumenstrauus niederzulegen, der den Tod der Netzkunst symbolisieren sollte durch die Institutionalisierung. Eine schöne Referenz, wie ich finde. Ich glaube auch, es hat ein bisschen weh getan.
Wie gesagt, war das Fehlen einer gemeinsamen Strategie der Netzkünstler das grosse Problem. Ein weiteres Symptom stellte für mich der Netzkunst-Wettbewerb der Hamburger Kunsthalle 1997 dar. Ebenso wie der Einzug von Netzkunst auf der documenta x waren die Künstler sehr verunsichert und wussten nicht, wie sie mit den unsinnigen und unverständigen Bedinungen umgehen sollten. Und sie machten dann halbherzig mit. Dabei wäre es an dieser Stelle ein leichtes gewesen, das Betriebssystem Kunst wirklich zu hacken. Eine vertane Chance auf jeden Fall.
FC: Du bezeichnest Dich selbst als Konzeptkünstlerin, und auf Deiner Homepage heisst es analog dazu: "A smart artist makes a machine do the work". Soll das auch heissen, dass die Konzeptkunst erst mit den Maschinen, die die Konzepte umsetzen, richtige Konzeptkunst geworden ist?
CS: Nein, so radikal bzw. eindimensional würde ich das nicht formulieren (lacht). Schliesslich könnte man anstatt der Maschinen ja auch Sklaven nehmen, die die Kunst produzieren (lacht).
FC: À la Andy Warhol Factory...
CS: So ähnlich. Oder einfach Handwerker, oder willige Kunststudenten, die die Ideen des Meisters ausführen...
FC: ...Jeff Koons...
CS: Ja, Jeff Koons, bestes Beispiel. Ich glaube nicht, dass man eine Maschine braucht, um dieses Konzept von Kunst umzusetzen. Wenn das ästhetische Programm entwickelt ist, mit dem ein Künstler sich labelt, ist es egal, wer das Programm variiert und produziert. Der Künstler ist eine reine Repräsentationsfigur... Er muss einfach nur das Parameter 'Künstlerbild' gut füllen.
FC: Da möchte ich einhaken. Vorgestern habe ich auf der von Adrian Ward mitbegründeten Mailingliste 'eu-gene' für generative Kunst die für mich erste einleuchtende Definition generativer Kunst gelesen. Sie stammt von Philip Galanter, einem Professor an der New York University, und knüpft unmittelbar an das an, was Du eben gesagt hast:
"Generative art refers to any art practice where the artist creates a process, such as a set of natural language rules, a computer program, a machine, or other mechanism, which is then set into motion with some degree of autonomy contributing to or resulting in a completed work of art."
Ich finde das eine interessante Definition, weil sie nicht nur Computerkunst reflektiert, sondern sehr viel mehr fasst.
CS: Ja, das finde ich auch. Eine gute Definition.
FC: Würdest Du sagen, dass, was Du machst, generative Kunst ist?
CS: Nicht alles, was ich mache. Die Arbeit mit dem Netzkunstgenerator natürlich auf jeden Fall. Ob dieses Regelwerk, von dem er spricht, für meine gesamte Arbeit vorhanden ist ... Das müsste ich mir wirklich noch genauer überlegen. Was dafür spricht, ist, dass ich grundsätzlich davon ausgehe, dass ich nicht kreativ bin in dem Sinne, dass ich 'neue' Bilder oder eine 'neue' ästhetik schaffe, sondern dass ich nur mit Material arbeite, das schon vorhanden ist. Dieses Material wird dann unter bestimmten Vorgaben neu kombiniert oder sonstwie verarbeitet. Aber DAS grosse Programm könnte ich jetzt nicht benennen (lacht)...
FC: Ich frage mich aber, ob für Dich zum Beispiel in 'Female Extension' - als Du für den Netzkunst-Wettbewerb der Hamburger Kunsthalle mehrere hundert Websites unter weiblichen Künstlernamen eingereicht hast, die in Wirklichkeit von einem Computerprogramm generiert wurden - das Generative bloss ein Vehikel ist, ein Mittel zum Zweck. Auch 'Female Extension' war ein 'social hack', nämlich ein cyberfeministischer Hack des Netzkunstwettbewerbs. Wie Deine Generatoren programmiert sind, war dabei doch relativ egal.
CS: Im Prinzip ja. (lacht). Aber ich habe nach 'Female Extension' das Konzept des Netzkunstgenerators weiter ausgearbeitet.
FC: Wobei mir aufgefallen ist, dass in einem Deiner Netzkunstgeneratoren die 'Dada Engine' von Andrew Bulhak verwendet wird, die ja auch Grundlage seines sehr lustigen 'Postmodern Thesis Generators' ist...
CS: Das stimmt. Leider ist das auch der komplizierteste Generator, der oft Probleme macht.
FC: Die Netzkunstgeneratoren waren also nicht vom 'Postmodern Thesis Generator' inspiriert?
CS: Nein, das war anders. Als der Wettbewerb der Kunsthalle 1997 stattfand, war für mich ganz klar, das ist einer der crucial points: Museum will sich Netzkunst einverleiben. Ich wollte intervenieren und ein Zeichen setzen: Einerseits für die Künstler oder Netzkünstler, dass wir jetzt aufpassen müssen, wie wir damit umgehen, damit wir nicht das Potential der Netzkunst, das erworben und mit dem subversiv umgegangen wurde, verspielen, zu billig verspielen, und andererseits natürlich dem Museum eine Lehre erteilen. So entstand 'Female Extension'.
Zu Beginn hatte ich vor, alle Websites per Hand machen, mit Copy'n'Paste, weil ich nicht der Lage war, das zu programmieren. Die Programmierung hatte sich dann eher zufällig ergeben durch einen befreundeten Künstler. Ich war sehr erfreut über die Ergebnisse; die automatisch generierten Seitem sahen durchaus künstlerisch aus. Die Jury hat es jedenfalls geschluckt, obwohl keine meiner Künstlerinnen einen Preis bekommen hat. Durch 'Female Extension' und den social hack bin ich dann hängengeblieben bei der Idee, die Generatoren genauer zu konzipieren. Drei Versionen existieren seit einiger Zeit: einer, der nur mit Bildern arbeitet, einer, der Bilder und Text in Schichten anhäuft und einer, dem die 'Dada Engine' zugrundeliegt. Der letzte ist auf Texte spezialisiert und erfindet wunderbare Wortkombinationen, teilweise sogar mit Bestandteilen aus unterschiedlichen Sprachen. Zwei weitere sind in Planung für bestimmte Anwendungen.
FC: Es gibt ja eine ähnliche Simultaneität verschiedener, ästhetisch wahrnehmbarer Prozesse in Deiner neuen Arbeit 'Improved Tele-vision'. Da beziehst Du Dich auf Schönbergs Stück 'Verklärte Nacht', dessen Umcodierung durch Nam June Paik, der die Schallplattenaufnahme mit geviertelter Geschwindigkeit abspielte, und wiederum dessen Re-Codierung durch Dieter Roth, der Schönbergs Musik wiederherstellt, indem er Paiks Version vierfach beschleunigt. Dann stellst Du Dich auch noch in die Reihe, indem Du eine Plattform für die 'ultimative Intervention' im Internet baust, auf der die User, das Tempo des Stückes selbst bestimmen können. Das hat mich sofort an die Literaturtheorie von Harold Bloom erinnert, seine sogenannte Einflusstheorie nämlich, derzufolge die Literaturgeschichte eine Abfolge ist von grossen Schriftstellern, die jeweils einen Vorgänger als ödipales Über-Ich übernehmen... [Lachen] ...und sich dann von ihm freischwimmen.
CS: Ach ja? Der Untertitel von 'Improved Tele-vision' war ursprünglich 'Scheinbare ödipale Fixierung', den habe ich aber wieder verworfen habe. [Lacht.] Dabei war mir das 'scheinbar' besonders wichtig.
FC: Ich habe so etwas vermutet. Da gibt es diese, auch aus meiner Sicht, enormen Künstler, Schönberg, Paik und Roth, die sich gegenseitig vom Sockel holen, um sich dann selbst auf den Sockel zu heben...
CS: Genau. [Lacht.] Übrigens habe ich diese Theorie auch schon in der Kunstgeschichte gehört, namentlich von Isabelle Graw, die das in einem Vortrag über Cosima von Bonin auf Künstlerinnen anwendete...
FC: ...und damit spielt offensichtlich Deine Arbeit. Du schreibst selbst, Du gäbest als erste die Geschwindigkeit frei, mit der das Stück gehört werden kann ...
CS: Ja, mit Ausnahme der Originalgeschwindigkeit, die kann auf meiner Plattform nicht abgespielt werden.
FC: ...bis auf die Originalgeschwindigkeit. - Du schreibst trotzdem: "Die Entscheidung hierüber wird vom Betrachter/Hörer getroffen und nicht mehr vom Komponisten bzw. einem/einer intervenierenden Künstler/in." Aber Du gibst doch schon eine massive Entscheidung vor, zum Beispiel dadurch, dass die Eins-zu-Eins-Abspielung nicht mehr möglich ist.
CS: Wer das Original hören will, kann es sich ohne Probleme besorgen. Für mich interessant ist die Tatsache, dass die drei Künstler, die vor mir an dem Stück gearbeitet haben, die einzig wahre Geschwindigkeit festlegen wollten. Das ist eine Geste, die ich unterwandere, indem ich ein Tool anbiete, mit das Stück in beliebiger Geschwindigkeit gespielt werden kann.
FC: Ist nicht bereits die Kontextualisierung in den Zusammenhang von Schönberg, Paik, Roth schon eine Setzung? Und auch die Entscheidung, alle vier Interventionen in einen Raum zu packen, wie Du es im Fall der Rauminstalltion machst, die der zweite Teil der Arbeit ist?
CS: Ja, natürlich! Meine Rhetorik über die ultimative Intervention, die durch die Möglichkeiten des Internet gegeben sind, wie Partizipation, Interaktivität und Mitbestimmung etc. ist doch reine Ironie! [Lachen.]
FC: Ja, das war nämlich genau meine Frage, ob Du das wirklich ernst meinst! - Oder ob das nicht so ein ganz naiver Begriff von Interaktivität ist.
CS: Der ist nicht naiv, sondern ich mache mich darüber lustig. Und ich führe meine Behauptungen selbst ad absurdum durch die Rauminstallation. An den vier Wänden eines separaten Raumes hängt jeweils ein Portrait von uns vieren. (Sie erwecken den Eindruck von Malerei auf Leinwand - in Wirklichkeit handelt es sich um mit Photoshop manipulierte Fotos - die aber tatsächlich auf Leinwand gedruckt und auf Keilrahmen gespannt sind). Daneben ist jeweils ein Künstlertext plaziert, der sich auf die 'Verklärte Nacht' bezieht.
Zu hören ist ein Stück, das ich komponiert habe, auf dessen vier Tonspuren das Original von Schönberg liegen, die Version von Paik und die von Roth, die fast wieder original ist, aber nicht wirklich wegen ihrer Vinylgeräusche und weil sie mit ihrer nicht ganz, sondern nur annährend zurückgeführten Geschwindigkeit auch nicht synchron ist. Auf der vierten Spur spiele ich Roths Version rückwärts, auch in Referenz zu Schönberg und seiner späteren Kompositionstheorie und der Zwölftonmusik, in der melodische Motive als Krebs und Krebsumgekehrung rückwärts gespielt werden. Es hat mich umgehauen, wie gut das Rückwärtsspielen schon mit der 'Verklärten Nacht' funktioniert. Diese vier Spuren mische ich zu einem neuen Stück. Sie sind nicht immer gleich laut, sondern mit einem Spannungsbogen komponiert. Diese Musik läuft in der Installation und hat mit dem Freigeben, der finalen Intervention nichts zu tun, sondern ist eine zusätzliche Variante der Setzung. Und die visuelle Umsetzung die Portraits fand ich auch wichtig; das macht nochmal deutlich, wie ich mich in die Reihe, die Genealogie einschreibe. Ich als Frau, als wesentlich jüngere Frau, bezichtige sie, eine Setzung zu machen während ich alles frei gebe, klage an, wie sie sich auf den Sockel setzen, und setze mich gelichzeitig selbst drauf.
FC: Eben. Aber ist es nicht überhaupt die Tragik jeder anti-ödipalen Intervention, dass sie sich zwangsläufig, ob sie es will oder nicht, doch wieder in die ödipale Logik einschreiben muss? Das sehe ich gerade in diesem Stück...
CS: Wenn es so ist, ist es sicher tragisch. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich es mir zum Thema gemacht habe. Amüsant finde ich auch die Reaktionen des Publikums, die teilweise sehr aggressiv waren. Ich bekomme Vorwürfe wie: "Du willst auch nichts anderes, als so zu sein wie die" [lacht]. Dabei geht es eigentlich darum, diese Prozesse zu zeigen, das Betriebssystem, wie es funktioniert. Dass ich aus ihm nicht herauskomme, wenn ich drin sein will, ist ja logisch. Und diese Entscheidung habe ich getroffen. Aber möchte wissen und darüber nachdenken, was die Bedingungen sind, bzw. mir genaus das zum Thema machen. Wenn es untragbar wird, habe ich immer noch die Wahl, mich daraus zurückzuziehen. Aber mir fehlt der Glaube daran, dass echte Alternativen möglich sind. Solange ich es schaffe, damit so umzugehen, wie ich jetzt damit umgehe, finde ich es in Ordnung. Es ist ein Zustand von gleichzeitigem Drin- und Draussensein.
Ein anderes Beispiel hierfür, das uns auch wieder zurückführt zur Marktkompatibilität von Netzkunst, ist die Einladung eines Fünfsterne-Hotels, ihre Räume teilauszustatten. Eigentlich war ich mir immer sicher, ich sei die letzte Künstlerin, die man zu so einer Aufgabe einlädt. Aber es hat mich interessiert, und ich habe angefangen, damit zu experimentieren. Glücklicherweise habe ich die Netzkunstgeneratoren, die für mich arbeiten können, und ich musste nur noch einen Weg finden, die entstehenden 'Produkte' zu materialisieren. Letztendlich drucke ich sie auf Leinwand oder auf Papier und rahme sie. Damit stelle ich Serien her, Bildserien, und es ist sehr erstaunlich, was da enststeht. Nur durch das Arrangieren kann ich Geschichten erzählen, was aber natürlich massive Eingriffe sind. Dabei finde ich die Idee von Rematerialisierung von Netzkunst interessant, sie wieder in gängige Formate zu packen und dann zu sehen, was mit ihr passiert. Ich bin davon ausgegangen, dass es eigentlich nicht gehen kann - das Ganze fand mit sehr viel Augenzwinkern statt - aber in meiner ersten Galerie-Ausstellung, die ich kürzlich in Malmö (Schweden) hatte, habe ich mit diese Idee weitergetrieben. Und es war überwältigend, was das für Bilder sind und wie sie aus dem Unterbewusstsein des Netzes an die Oberfläche gespült werden.
FC: Ist das dann immer noch Konzeptkunst?
CS: Ja, klar, für mich schon. - Dem Hotel habe ich jetzt angeboten, für sie Serien zu machen. Ich bestehe darauf, dass meine Bilder in endlosen Reihen im Flur hängen (für alle anderen Künstler eher ein uninteressanter Ort). Und natürlich hoffe ich, einen guten Deal zu machen: erstens ist das Geld interessant, darüber hinaus wird es sich aber um den ersten nennenswerten Verkauf von Netzkunst in der Geschichte handeln! [lacht].
FC: Das erinnert einen dann so ein bisschen an Manzoni und seine Strategien in den Fünfziger Jahren, Luft in Dosen zu verkaufen...
CS: Ja, wobei ich keine Luft verkaufe, sondern richtige Bilder. [Lacht.] Interessant ist aber, dass es keine Drucktechnik gibt, die gewährleistet, dass die Bilder bestehen bleiben. Sie verblassen vielleicht alle. Ich verkaufe sie als Produkte, und eventuell ist in einigen Jahren nur noch weisses Papier da, was ich auch eine tolle Vorstellung finde! [lacht]
FC: Und damit hast Du auch wieder die ödipale Referenz auf Dieter Roth, der mit seinen Schokoladenobjekten aus den 60er Jahren heute bereits spezialisierte Restauratoren in Arbeit hält...
CS: Ja, oder die Arbeiten mit Abfall und Schimmel. Das Ephemere ist ein wichtiger Aspekt. Und die Sache mit dem Hotel ist in doppelter Hinsicht ein gelungener Coup, weil ich einerseits Geld kriege, was immer wichtig ist, andererseits den Kollegen Netzkünstlern, die wirklich für billigstes Geld ihre Webseiten verleasen oder verkaufen, etwas vorführe.
FC: Ich versuche, von hier aus den Sprung zum Cyberfeminismus zu machen, und das ist schwer... Stichwort Strategie...
C.S: Ich kann dir erzählen, was für mich dieser Begriff bedeutet oder wie ich damit umgehe, und vielleicht kann man so eine Brücke bauen.
FC: Vielleicht fange ich so an: Was mich immer gestört hat am Begriff 'Cyberfeminismus' war weniger der 'Feminismus', als das Präfix 'Cyber-'. Musste das sein?
CS: [Lacht.] Das ist erstaunlich! Wenn Dich der Feminismus gestört hätte, fände ich das nachvollziehbarer. [Lachen.]
Aber Du scheinst p.c. zu sein... [Lachen.] Zum Thema 'Cyber': das ist "what it is all about". Ich habe zum ersten Mal von Cyberfeminismus aus dem Mund von Geert Lovink gehört und damals zu ihm gesagt: Was ist denn das für ein Quatsch? Das war in der Zeit, als alles plötzlich 'Cyber' wurde, 'Cyber-Money', 'Cyber-Body', etc.
FC: Ja eben.
CS: Ich habe es da eingeordnet und als Unsinn abgehakt, aber der Begriff hat sich in meinem Kopf festgesetzt, ohne dass ich wusste, was es ist. Dann habe ich bei Geert nochmal nachgefragt und ihn gebeten, mir ein paar Referenzen zu schicken.
FC: [Lacht.]
CS: Aber es gab kaum was 1995/96, und er hat mir als Referenz geschickt natürlich Sadie Plant und VNS Matrix - und 'Innen', das war eine Künstlerinnengruppe, in der ich damals selber war. Er hat quasi meinen eigenen Kontext mir als Referenz geschickt. Das war eine gelungene Überraschung. Und dass er es gemacht hat, war gewiss kein Zufall. Also dachte ich, okay, ich nehme jetzt einmal an, dass es so ist [lacht], er weiss schon, welche Referenzen er mir schickt. Das habe ich arbeiten lassen in meinem Kopf. Als nächstes kam die Einladung zum 'Hybrid Workspace' auf der documenta x, wieder von Geert, der wollte, dass ich eine Woche oder einen Block - nicht zu Cyberfeminismus, sondern irgendeinem Frauenthema - gestalte. Und diese Einladung war eigentlich der Auslöser für mich, mit dem Begriff 'Cyberfeminismus' zu arbeiten. Inzwischen hatte ich nämlich Gefallen daran gefunden und entdeckt, dass ein enormes Potential drin steckt, das von VNS Matrix oder Sadie Plant noch gar nicht ausgenutzt worden war. Die hatten nur kleine Bereiche bespielt.
Das Interessante am Cyberfeminismus ist, dass der Begriff eine klare Referenz zum Feminismus hat, also auch einen politischen Anspruch, zum anderen durch diesen unglückseligen Präfix, der zwar belastet und beladen ist, anzeigt, dass da etwas anderes ist, eine neue Dimension hinzukommt. Dass es dieses 'Cyber' ist, bedeutet gar nicht so viel, abgesehen davon, daß es eben in diesem Hype gut funktioniert hat. Ein Präfix zu nehmen, das in einem Hype dahergeschwommen kommt und von allen aufgenommen wird, und es mit etwas zusammenzubringen, von dem alle (ausser dir) sagen, Oh Gott - nämlich Feminismus - erzeugte eine Kraft. Es war das Potential, mit Feminismus zwar nicht neu anzufangen, aber einen neuen Ansatzpunkt zu finden und auch Leute zu motivieren, sich wieder mit dem Begriff auseinanderzusetzen. Theoretisch hätte man auch den Versuch starten können, den Feminismus umzudefinieren, aber die Geschichte ist einfach zu stark und das negative Image zu mächtig.
FC: Mein Problem rührt wahrscheinlich von einer akademischen Perspektive her. Wir diskutieren jetzt in einem Kontext von Netzkulturen, die Mailinglisten wie Nettime und andere Foren einschliesst, in dem man sich über die Lächerlichkeit von 'Cyber'-Vokabeln nicht mehr unterhalten muss. Das ist abgehakt, und wenn so etwas kommt, weiss man, dass es nicht ganz ernstgemeint ist. Wenn ich mich aber im akademischen Betrieb bewege, werde ich zum Beispiel auf dem Germanistentag dafür angefeindet, wenn ich diese 'cyber'/'hyper'/'virtuell'-Dispositive auseinandernehme, mit denen dort noch immer operiert wird, die dort eine Eigendynamik entwickelt und sich kanonisch noch mindestens für die nächsten zehn Jahre festgeschrieben haben. Und genau da passt 'Cyberfeminismus' ganz glatt und wunderbar hinein, eine Vokabel, die gar nicht so experimentell und ironisch klingt, wenn man sie zum Beispiel in den Kontext der cultural studies stellt.
CS: Ich verstehe nicht, was Dein Problem damit ist...
FC: Naja, das Problem, dass man damit einen Diskurs schafft, der im akademischen Betrieb eine Eigendynamik gewinnen kann und dann gar nicht mehr...
CS: ...ach so, ja. - Das unterschreibe ich Dir voll.
FC: Ein anderes Problem: Was immer sehr einleuchtet im Kontext von Feminismus, wenn man seine gesamte Geschichte betrachtet von den Sufragetten über de Beauvoir über den Differenzfeminismus der 70er Jahre bis hin zu den gender studies, dann gibt es ja eigentlich 'den' Feminismus überhaupt nicht.
CS: Nein. Klar.
FC: Es gibt eine amerikanische Anthologie feministischer Theorie, die sinnvollerweise den Titel 'Feminisms', im Plural, trägt. Müsste es nicht eigentlich auch 'Cyberfeminisms' heissen?
CS: Heisst es auch immer wieder. Zum Beispiel im Editorial zum zweiten Reader ist einmal von 'new cyberfeminism' und dann 'cyberfeminisms' die Rede. Oder, in einer Definition von Yvonne Volkart, "Cyberfeminismus ist ein Mythos, und bei einem Mythos liegt die Wahrheit oder das, worum es geht, zwischen den einzelnen Geschichten, im Unterschied." Ich finde, das sind ganz schöne Definitionen von Cyberfeminismus, die nicht nur Anti-Definitionen sind.
FC: Du hast das cyberfeministische 'Old Boys Network' gegründet, dessen Internet-Domain auf Dich registriert ist und die 'Cyberfeminist International' hat dank Deiner Organisation zum ersten Mal getagt während der documenta x. Stimmt mein Eindruck, dass es immer noch eine Gruppe ist oder ein Diskurs, der hauptsächlich geprägt ist von Frauen, die sich in künstlerischen Netzkulturen bewegen?
CS: Nein, das stimmt so nicht. Zwar hatten wir auf der documenta unser erstes grosses 'gathering', doch schon diese documenta hat in verschiedene Kontexte hineingewirkt, nicht nur in den Kunstbetrieb, sondern auch in die Medien- und Aktivismusszene zum Beispiel.
Im 'Old Boys Network' haben wir immer wieder verschiedene Organisationsformen ausprobiert. Die ideale gibt es nicht. Man muss ein Netzwerk irgendwie organisieren, weil es nicht von selbst da ist. Letztlich funktioniert aber keine Form richtig gut, so dass wir uns immer wieder neue Formen ausdenken. Eine zeitlang hatten wir zum Beispiel eine identifizierbare 'core group' von fünf bis sieben Namen. Von denen waren weniger als die Hälfte Künstlerinnen. Es gab eigentlich immer ein Übergewicht irgendwie gearteter Theorie, von Literaturwissenschaftlerinnen und Kunsthistorikerinnen ...
FC: Das heisst aber, von Theorie, die sich im Kontext der Künste bewegt. Das hat doch nach wie vor den Netzkunst-Stallgeruch...
CS: Für mich persönlich stimmt das, aber viele Leute in OBN würden sich weigern, das so zu sehen. Unser Ziel war immer schon Vielfalt, denn die Hauptidee war nicht, inhaltlich ein politisches Ziel zu formulieren, sondern wir haben gesagt, dass unsere Organisationsstruktur genauso wichtig ist wie die Inhalte. Cyberfeministin zu sein, erfordert auch, an der Struktur mitzuarbeiten, nicht bloss auf eine Konferenz zu gehen und ein Paper vorzulesen, sondern es bedeutet auch, sich um Geld zu kümmern, mal eine Website, eine Publikation oder Veranstaltung zu machen, also strukturbildend mitzuarbeiten. 'Politics of dissent' ist ein wichtiger Begriff. Es geht darum, verschiedenste Ansätze nebeneinander zu stellen, eine Form dafür zu finden, dass sie koexistieren können und durch diese Reibung etwas in Gang zu setzen. So haben wir uns auch bemüht, Frauen aus dem CCC - also Hackerinnen - und auch Informatikerinnen einzubeziehen. Vor vierzehn Tagen, bei der dritten 'Cyberfeminist International', waren zum ersten Mal mehrere Frauen aus Asien, und zum anderen Frauen von 'Indymedia' [dem globalisierungskritischen Nachrichtennetzwerk]. Es ist wichtig, den Zusammenhang immer wieder zu erweitern.
FC: Ich finde es interessant, dass Du sehr viel von Strukturen sprichst, wenn ich Dich auf den Begriff des Cyberfeminismus anspreche. Ist er also eine weitere Plattform, ein weiteres System, das Du generativ programmiert hast, um dann experimentell zu sehen, was damit passiert?
CS: Ist zwar gewagt, aber man könnte es so sagen. Wenn ich gefragt wurde, wie ich Cyberfeminismus definiere, war für mich immer wesentlich, Strukturen zu bauen wie das Old Boys Network und der Aspekt durch Marketingstrategien diesen Begriff zu verbreiten.
FC: 1997 hatte Dich Josephine Bosma in einem Interview gefragt, "Do you think there are any specific issues for women online?" - und Du hast geantwortet: "No, I don't think so really".
CS: [Lacht.] Das glaube ich immer noch.
FC: Ja? - Das war meine Frage.
CS: Nach viereinhalb Jahren Cyberfeminismus und Kontexten wie 'Frauen und neue Medien', in denen ich inzwischen herumgereicht werde, ist meine Beobachtung, dass man das Thema in zwei Bereiche teilen kann. Das eine ist der Bereich des 'access', also, ob Frauen gleichen Zugang zu Wissen und Technik haben, was ein soziales Problem ist. Darum kreisen viele Bemühungen. Das zweite ist, wenn der Zugang existiert, die Fähigkeiten da sind, was passiert dann auf dem Netz oder mit dem Medium? Worin unterscheidet es sich, WAS gemacht wird? Dazu gibt es wenig Überzeugendes. Das meiste ist mühsam herbeidefinierter essentialistischer Quatsch, mit dem ich nichts zu tun haben will und der bestehende ungute Verhältnisse eher festschreibt als tatsächlich etwas aufbricht. Feministische Medientheorie, die darüber hinausgeht ist eine grosse Marktlücke.
FC: Stichwort 'essentialistischer Quatsch': Stimmt meine Annahme, dass einerseits Dein Focus auf Systemen und auf Spielregeln bzw. Spielen, die Du in Gang setzst, um zu beobachten, was passiert - ob das nun Cyberfeminismus ist oder Netzkunstgeneratoren, deren Output in einen Wettbewerb eingereicht wird, - dass dies alles eine anti-essentialistische Strategie ist, und auch Deine Appropriationen, das Plagiieren und Nehmen vorgefunder Materialien so zu verstehen ist?
CS: Es gibt ja nicht wenige Künstlerinnen, die davon ausgehen, dass Frauen eine eigene Ästhetik entwickeln müssen, mit der sie herrschenden Verhältnissen entgegenwirken. Damit hatte ich immer Probleme und wußte nicht, was das sein könnte, ohne sich selber wieder festzuschreiben in Rollen oder Definitionen, die dann ganz leicht wieder gegen einen, gegen die Frauen oder die Frau gewendet werden können. Das ist ja das Problem von Essentialismus. Die Differenz, auch wenn ich sie selber beschreibe, kann dann ja auch ganz leicht wieder umgedreht werden. Ich glaube, das führt nicht weit und ist eine Falle. Ausserdem war eine der Miseren der Identitätspolitik, dass von bestimmten Gemeinsschaften und Gruppen entwickelte Identitäten einfach nahtlos integriert wurden, zum Beispiel durch Werbung - eine völlige Umkehrung der eigentlichen Intention eingetreten ist.
FC: Das würde dann Kunst betreffen wie die in der zweibändigen Suhrkamp-Anthologie 'Frauen in der Kunst' von Gislind Nabakowski, Helke Sander und Peter Gorsen...
CS: Die kenne ich gar nicht [lacht]...
FC: ...oder Kunst wie die von Kiki Smith, die ich als Antithese zu Deiner Kunst sehe.
CS: Mag sein. Mein Problem im Moment ist trotzdem, dass das Thema Cyberfeminismus mich etwas in eine Ecke abgedrängt hat, in die 'Frauenecke'. Was aber eine grössere Klammer wäre, ein grösseres Interesse meiner Kunst, wird kaum noch wahrgenommen. Deswegen bin ich entschlossen, wieder andere Themen aufzugreifen. Die Arbeit mit Schönberg war ein erster Schritt, das Spektrum zu erweitern - obwohl ich mich nach wie vor gern mit vielen tollen Frauen umgebe [lacht]...
FC: Wenn Du sagst, dass Du aus der cyberfeministischen Ecke herausmöchtest, frage ich mich, ob - wie in der Schönberg-Installation - Deine anti-essentialistischen Strategien des Konstruierens und Produzierens von Systemen und Situationen einerseits und des Plagiierens andererseits nicht dennoch eine feministische Komponente haben?
CS: Die hat es sowieso immer, weil ich ein feministisches Bewusstsein habe und damit an das Betriebssystem Kunst herangehe, egal was ich mache. Das war bei 'Female Extension' so und ist immer implizit.
FC: Mir fällt auf, dass gerade in der code-experimentellen Netzkunst Frauen sehr stark vertreten sind.
CS: Ja?
FC: Aus meiner Sicht, ja. Jodi z.B. sind ein männlich-weibliches Paar, ebenso 0100101110111001.org. Dann denke ich mez/Mary Anne Breeze oder auch antiorp/Netochka Nezvanova, von der man mittlerweile weiss, dass eine Neuseeländerin ihren Kern bildet...
CS: Ach nee!!!
FC: Doch!
CS: Weisst Du das sicher?
FC: Ja!
CS: Ich arbeite nämlich gerade an einem Interview mit Netochka Nezvanova...
FC: ...toll!
CS: Ja, sie erzählt mir alles! Was sie denkt über die Welt - und den Kunstbetrieb... [lacht]
FC: Das ist also jemand, der Dich auch fasziniert...
CS: Ich finde es als Phänomen natürlich äusserst interessant und frage 'sie' Dinge, wie z.B. welche Rolle die Tatsache, dass sie eine Frau ist für ihren Erfolg spielt... Schliesslich stecken mehrere Personen dahinter.
FC: Aber der Kern ist eine Frau.
CS: Super! Eine neue Theorie zu N.N. Ich habe so viele Leute befragt zu ihr, und jeder hat andere, ganz widersprüchliche Informationen. Die letzte Theorie, die mir unterbreitet wurde hat zu dem Medientheoretiker Lev Manovich geführt.
FC: [lacht.] Es ist ein gutes Konzept, auch ein social hack und ein System, das in Gang gesetzt wurde... Und etwas, das sich dematerialisiert.
CS: Deswegen finalisiere ich auch dieses Konzept. Ich will sie killen, indem ich ein Interview mache, in dem sie ihre ganzen Strategien preisgibt, was sie natürlich nie selbst machen würde. Das ist meine Idee...
FC: In Deinem Interview mit 0100101110111001.org bist Du ziemlich hart mit den beiden ins Gericht gegangen - gut, wie ich übrigens fand - in der Diskussion des 'biennale.py'- Computervirus. Du hast davon gesprochen, dass es eine ästhetische Code-Attitüde produziert, die aber nicht wirklich aufklärerisch sei, weil niemand diesen Code lesen könne. Würdest Du trotzdem nicht auch dieser Intervention zugestehen, dass sie eine Form des 'social hacking' ist?
CS: Ja, klar. Das ist sie, aus meiner Sicht, sogar in allererster Linie. Die Art und Wiese, wie da der Code ästhetisiert wurde, war ein Nebenaspekt, etwas, das, wie ich glaube, den beiden gar nicht so bewusst war, weil sie sich wenig mit dem Kunstsystem oder mit solchen Problemen beschäftigen. Das war eine Falle, in die sie versehentlich getreten sind. Natürlich war der Virus ein social hack. Dass es Virus hiess, hat eigentlich schon genügt. Der Code hätte auch gar nicht funktionieren oder irgendein Unsinn sein können, ohne dass es der Sache Abbruch getan hätte.
FC: Braucht man dann, Deiner Meinung nach, überhaupt solche Labels wie 'Netzkunst', wenn es doch eigentlich nicht auf das Medium ankommt?
CS: Ich denke, solche Labels sind in der Anfangszeit sinnvoll, wenn ein Medium relativ neu ist, neu vor allem in der Massenverbreitung, und sich damit auch gesellschaftliche Veränderungen ergeben; in der Phase, in der experimentiert wird mit einem neuen Medium, das eigentliche Potential ausgelotet wird, wie es in der Netzkunst jodi zum Beispiel gemacht haben.
Man kann es ja mal mit Videokunst vergleichen, die in diesem Sinne Vorgänger der Netzkunst war. Da würde ich heute sagen, dass die Bezeichnung 'Videokunst' auch nicht mehr sinnvoll ist. Die Formen, wie mit Video umgegagen wird, haben sich etabliert, und es ist aussagekräftiger inhaltliche Referezen herzustellen. Das ist übrigens das Problem mit der gesamten 'Medienkunst' ...
FC: Wenn ich mir jedoch Deine Arbeiten ansehe, entwickeln sie nicht, wie zum Beispiel die Netzkunstgeneratoren, ihre Konzepte, Systeme 'social hacks' aus Medien heraus?
CS: In diesem Fall schon, ja. Aber es muß nicht zwangsläufig so sein. Der Begriff Netzkunst war auch ein ganz guter Marketing-Gag und hat solange gut funktioniert, bis die Marketing- Strategie quasi erfolgreich war, und dann ist alles zusammengeklappt [lacht].
FC: Könntest Du in jedem beliebigen Kontext arbeiten? Wir treffen uns hier auf dem Jahreskongress des Chaos Computer Clubs. Könnten wir uns genauso gut auf einem Jahreskongreß von Briefmarkensammlern treffen, und dies wäre dann das soziale System, in das Du künstlerisch intervenieren würdest?
CS: Theoretisch ja [lacht]. Ich glaube, wenn man das einmal geschafft hat mit den Hackern, der Hackerkultur, dann schreckt einen nichts mehr - auch nicht Briefmarkensammler oder Kleingärtner ...
FC: ...oder Hotelflure.
CS: Nein, theoretisch ist zwar viel möglich, praktisch aber nicht. Mein Interesse ist ja nicht rein formal und rein auf das Betriebssystem ausgerichtet. Das ist zwar interessant, aber wenn nicht auch das, was in diesen Systemen verhandelt wird, oder die Leute darin von Interesse für mich sind, kann ich mir das kaum vorstellen.
FC: Das heisst, auf einem Hackerkongress ist Dein Bezug, dass da Leute mit Systemen spielen und kritisch über Systeme nachdenken.
CS: Und was ich auch interessant finde, ist, dass Hacker unabhängige Experten sind, also Programmierer, die an der Sache wirklich um ihr selbst willen interessiert sind und nicht im Dienste von Ökonomie oder Politik tätig sind. Das ist eigentlich das Wesentliche für mich. Und deshalb sind Hacker für mich auch eine wichtige Informationsquelle.
FC: Aber damit landen wir doch wieder beim klassischen Konzept des autonomen Künstlers, wie es im 18. Jahrhundert geprägt wurde, dem freischaffenden Genie, das kein angestellter Auftragskünstler mehr ist, sich selbst definiert und auch keinem Regelwerk mehr folgt.
CS: Ja, wahrscheinlich hat dieses Bild des Hackers sehr viel mit so einem Künstlerbild zu tun. Wenn ich überlege, wo ich die Kunst in der Gesellschaft ansiedele, ist es aber weniger der individuelle Künstler, sondern die Kunst selbst, die ich gerne als autonom sehen würde - und das alles unter der Vorgabe, dass ich den Autonomie-Bergiff an sich problematisch finde. Dass Kunst beobachtet, Stellung bezieht, kommentiert und versucht, andere Perspektiven aufzuzeigen, um das so allgemein zu formulieren. Und das, glaube ich, ist zur Zeit gefährdet. Das Widersprüchliche an der Autonomie ist, dass jemand da sein muss, der sie schützt/finanziert. Und es war erst einmal bequem, dass die öffentliche Hand das machte, wie es hierzulande in den letzten Jahrzehnten der Fall war, denn da bleibt in der Tat am meisten Freiraum. Und dass dies wichtig ist, sieht man ja, zum Beispiel an der Pop Art oder der Neuen Musik; in den 60er und 70er Jahren sind Künstler aus der ganzen Welt nach Deutschland gekommen, weil es hier einfach öffetnlich geförderte Möglichkeiten gab zu arbeiten, die nirgends sonst existierten. Und so sehe ich es schon als Aufgabe eines Staates an, Geld zur Verfügung zu stellen. Und die Entwicklung, die wir momentan erleben, finde ich katastrophal.
Vor kurzem hat mich jemand gefragt, wie ich die Zukunft der Kunst sähe, und nach einigem Nachdenken zeichnete sich mir das Bild eines Großraumbüros ab, mit lauter Künstlern, die alle gleich aussehen und von irgendeiner Firma bezahlt werden [lacht], einer Kunst, die von ökonomischen Interessen funktionalisiert wird. Das finde ich eine Katastrophe. Was nicht heisst, daß ich mich grundsätzlich nicht sponsern lasse von Firmen, aber das lasse ich eben nur punktuell zu.
FC: Spielen hier die elektronischen Künstler nicht die Vorreiterrolle, weil sie so extrem von Technologie abhängig sind?
CS: Das ist wirklich ein ganz, ganz grosses Problem. Vorreiterrolle...
FC: ...durchaus im negativen Sinne...
CS: ...im Prinzip, ja. Das ist ein ganz schwieriges Feld. Deshalb fände ich es interessant, wenn zum Beispiel die ars electronica, der es ja offensichtlich an echten Themen mangelt, einmal mit dem Schwerpunkt Freier Software stattfinden, auf die ganzen corporate sponsors verzichten und nur Kunstwerke auszeichnen würde, die mit Freier Software erstellt worden sind, um zu sehen, was man damit auf die Beine stellen kann. Das fände ich total spannend.
FC: Wobei die Freie Software ja auch abhängig ist von 'corporate sponsors'. Es gibt ja kaum ein großes Freie Software-Projekt, in dem nicht auch Firmen mitmischen und direkt oder indirekt auch deren Interessen einfließen.
CS: Beim Vertrieb dann spätestens...
FC: Ja, aber auch schon bei der Entwicklung. Der GNU C-Compiler zum Beispiel gehört Red Hat, IBM steckt momentan Milliarden in die Entwicklung von Linux, und das sind natürlich strategische Investitionen. Fast jeder prominente freie Entwickler steht auf der Gehaltsliste irgendeiner Firma.
CS: Also Du meinst, Freie Software ist letztlich doch eine Utopie...
FC: Nein, ich würde nicht sagen, dass es eine Utopie ist, die nicht eingelöst würde. Der Code bleibt immer frei, und auch die Entwickler können auch in der momentanen Rezession noch relativ selbstbestimmt arbeiten. - Aber ich glaube nicht, daß dies dem Typus des autonomen Künstlers entspricht.
CS: Wir vermischen jetzt einiges. Hackersein, zum Beispiel, ist ja kein Beruf. Ein Hacker ist vielleicht sogar in einer Firma angestellt, aber das Hacking findet ausserhalb davon statt. Und hier kann man einen Vergleich ziehen mit Kunst. Wie steht es mit dem Künstlersein: Ist es ein Beruf oder nicht? Wäre ich trotzdem Künstlerin, wenn ich auch mein Geld mit der Ausübung eines anderen Berufes verdiente? - Ich bin in der IG Medien als Künstlerin, interessiere mich dafür, wie man übergeordnete Interessen von Künstlern vertreten kann in dem Sinne, dass Künstlersein ein anerkannter Beruf sein muss, der gesichert und, wie von der Künstlersozialkasse, auch versichert ist. Doch dann kommt man sehr schnell wieder mit dem Autonomie-Begriff in die Bredouille. Da hadere ich selbst mit mir und bin mir nicht sicher. Zwar finde ich es grundsätzlich richtig, darauf zu pochen, dass Künstlersein auch ein Beruf ist und Künstler lernen müssen, auf ihre professionellen Rechte zu achten. Das erscheint allerdings wie ein Widerspruch zu diesem autonomen Kunstbegriff, dem ich auf irgendeine Art auch anhänge. Und vielfach wird genau diese Unsicherheit der Künstler ausgenutzt, um sie unprofessionell zu behandeln und schamlos auszubeuten.
FC: Vorhin sagtest Du, daß Du Gerfried Stocker widersprichst, wenn er Kunst mit Kreativität gleichsetzt. Wenn Künstlertum für Dich ein Beruf ist, ein definierbares und somit unterscheidbares Subsystem einer Gesellschaft, wäre dies ja auch eine Antithese zu einem 'erweiterten Kunstbegriff' à la Fluxus - oder von Beuys, für den "jeder Mensch ein Künstler" ist.
CS: Ich würde einfach hinzufügen 'potentiell'. Ich finde, es sollte keine Mechanismen oder Kriterien geben, die irgendjemanden per se ausschliessen sollten, aber ich glaube, dass nicht jeder ein Künstler ist, obwohl jeder es sein könnte, wenn er oder sie wollte. Die meisten, so glaube ich jedoch, wollen das gar nicht.
[Wir schalten das Tonbandgerät ab und unterhalten uns über die Notwendigkeit, Dinge einerseits zu tun und andererseits wieder über den Haufen zu schmeissen, kommen darüber auf Neoismus und seine inneren Querelen.]
CS: Solche Querelen können ja existentiell werden, einen sehr mitnehmen, reinziehen. Das kriegt dann plötzlich so etwas wahnsinnig Authentisches, wovon ich mich sonst versuche zu distanzieren.
FC: Aber das ist wichtig. Wenn ich Standardvorwürfe höre wie etwa den, dass die Beschäftigung mit Systemen und ihrer Aushebelung, mit Plagiaten, Fälschungen und Manipulationen von Zeichen langweiliges postmodernes Zeug sei ohne existentielle Härte, dann kann ich nur entgegnen, daß wer dies behauptet, so etwas noch nie radikal durchgezogen hat. Zumal dies, gerade auf persönlicher Ebene, ins Mark gehen kann. - Du hattest vorhin auch die 'Innen'-Gruppe angesprochen, in der Du offenbar vor Deiner Beschäftigung mit Netzkunst in den frühen 90er Jahren gearbeitet hast...
CS: Ja, '93-96.
FC: ...und das war, wenn ich es richtig verstehe, auch ein 'multiple identity'-Konzept.
CS: Ja, und obwohl wir sehr spielerisch und ironisch damit umgegangen sind, ist es plötzlich so bedrohlich geworden, dass wir es aufgeben mussten. Wir hatten das Eins-Sein zum Teil sehr extrem betrieben, indem wir ganz genau gleich aussahen, und auch das, was wir sprachen, völlig standardisiert hatten. Wir wollten nur noch in alle vier Himmelrichtungen auseinanderlaufen und uns nie mehr begegnen.
FC: Ist das der Punkt, an dem Kunst potentiell zur Religion oder zur Sekte wird?
CS: Wenn man es dann nicht aufgibt...
FC: ...wenn man es dann nicht aufgibt. Denkt man zum Beispiel an Otto Muehl und seine Kommune...
CS: Das genau ist der Punkt, an dem man sich loslösen muss ins Unbekannte, herausgehen aus dem Definierten und sich wieder neu erfinden, was schwierig ist. Diese Prozesse auch noch in einer Gruppe zu bewirken, ist, so glaube ich, unmöglich. Es gibt vielleicht Ehen, die das schaffen, einzelne Paare, die wirklich über die Jahre hinweg sich selbst immer wieder neu definieren und sich als immer wieder neue Menschen neu in Beziehung setzen, so dass es Sinn hat und vital ist.
FC: Sind auch Deine Projekte für Dich Ehen oder Sekten oder Gruppen?
CS: Es hat viel damit zu tun! Das ist ganz erstaunlich, ja! Schon mit der Verbindlichkeit, die da herrscht. Denn es funktioniert ja nicht, wenn es nicht eine gewisse Verbindlichkeit gibt, eine Verbindlichkeit auch der Dynamiken, wie Rollen vergeben werden oder man sie sich sucht.
FC: Also hat das Entwerfen von solchen Systemen auch immer etwas mit Kontrolle und Kontrollverlust zu tun? Am Anfang bist Du noch der Designer, und Du definierst die Spielregeln, doch dann wirst selbst zum Teil des Spiels, und es wird Zeit auszusteigen.
CS: Ich kann zwar meine Vorstellungen haben, aber die anderen haben gelegentlich andere Vorstellungen. Es geht dann nicht mehr, wenn die Auseinandersetzungen nicht mehr fruchtbar sind. Beim 'Old Boys Network' unternehmen wir gerade den Versuch, das Label freizugegeben. Das durchzudenken und uns vorzustellen, war aber auch ein schmerzlicher Prozeß. Man denkt: "Oh Gott, da macht jemand etwas ganz Schreckliches damit, das ist doch Scheiße". Aber wenn wir konsequent sein wollen, müssen wir eben damit leben. Dann kommt der Moment, in dem man auch sein eigenes Verhältnis zum eigenen Konstrukt verändern muss, was nicht ganz einfach ist.
FC: Wie war es denn bei 'Improved Tele-vision', wo das System schon vorgegeben war? Soweit ich es überblicken kann, war diese Arbeit doch Deine erste, in der Du nicht ein System entworfen, sondern Dich in einen Prozeß eingeklinkt hast, der schon lief.
CS: Das war auch einfach, ja [lacht]. Das war auch nicht so eine schwere Arbeit [lacht].
FC: Könntest Du Dir zum Beispiel vorstellen, bewusst aus dem 'Old Boys Network' auszusteigen...
CS: Inzwischen ja!
FC: ...und es bewusst, vielleicht drei Jahre oder länger, überhaupt nicht wahrzunehmen, nach dieser Periode aber wieder einzusteigen, allerdings mit einer künstlerisch beobachtenden Haltung wie in 'Improved Tele-vision'...
CS: Eine schöne Vorstellung, aber ich glaube, dass es nicht funktioniert wird. Denn ich habe die anmassende Befürchtung, dass es das 'Old Boys Network' drei Jahren nach meinem Ausscheiden nicht mehr geben würde. [Lachen].
FC: Dabei ist es doch ein generischer Name. 'Old Boys Networks' gibt es immer, nur sind sie in den seltensten Fällen feministisch. [Lachen].
CS: Problematisch ist, dass es Netzwerk heisst, aber eine Gruppe ist. Das war für uns selbst eine große Falle, denn wir haben uns jahrelang geweigert wahrzunehmen, dass wir kein Netzwerk, sondern eine Gruppe sind , auch wenn es ein Netzwerk gibt, das irgendwie um diese Gruppe assoziiert ist.
FC: Das ist aber, so scheint es mir, überhaupt eine Selbsttäuschung in vielen sogenannten Netzkulturen. Ich behaupte zum Beispiel, daß auch 'Nettime' und die 'Netzkultur', die es zu vertreten vorgab, eine Gruppe war, bis ungefähr 1998.
CS: Das geht auch nicht anders. Ein Netzwerk kann nicht anders entstehen. Es muß ja irgendwo Verdichtungen geben, eben auch von Verbindlichkeiten. Ein 'Netzwerk' würde ich nicht als sehr verbindlich bezeichnen.
FC: Wie hängen dann Deinem Verständnis nach Netzwerk und System zusammen?
CS: Ich denke, ein System ist klarer strukturiert und definiert, mit klaren Spielregeln und Spielern. Ein Netzwerk ist offener, loser. Oft weiß man gar nicht, dass man zu einem Netzwerk gehört und umgekehrt, wohingegen Teil eines Systems zu sein ganz klar bedeutet, dass man sich an dessen Regeln hält.
FC: Jetzt würde mich interessieren, ob für Dich sowohl Systeme, als auch Netzwerke notwendigerweise eine soziale Komponente haben. Man könnte ja behaupten, daß es rein technische Netzwerke und rein technische Systeme gibt. Deine Arbeiten intervenieren wahlweise in soziale oder technische Netzwerke, letztlich ist die Intervention aber immer ein soziale. Sind für Dich Systeme und Netzwerke, so wie Du sie eben definiert hast, überhaupt denkbar ohne soziale Partizipation?
CS: Nein. Gar nicht. Denn die Regeln werden ja von jemandem festgelegt. Auch ein Computerprogramm wird oft versehentlich als etwas Neutrales gesehen. Microsoft Word zum Beispiel. Jeder denkt, Word kann nur so sein, wie Word ist. Das ist aber nicht so, es könnte auch ganz anders sein...
FC: ...was ja Matthew Fuller in seinem Text "It looks like you're writing a letter: Microsoft Word" minutiös analysiert hat...
CS: Ja, da stecken ganz viele individuelle Entscheidungen drin, von einem Programmierer und von jemandem, der sagt, man muss die Benutzer so führen, dahin lenken oder dazu bringen, etwas Bestimmtes zu tun.
FC: In der Kunst gibt es ja auch ältere Versuche, selbststeuernde Systeme zu entwickeln. Hans Haacke hat in den 60er Jahren einen 'Condensation Cube' aus Glas gebaut, auf dessen Wänden sich je nachdem, wieviele Betrachter sich im Ausstellungsraum aufhalten, Wasser niederschlägt. So etwas wäre für Dich nicht interessant?
CS: Nein. Das glaube ich nicht. Bei generativer Kunst ist es ja auch oft der Fall, dass einfach ein System in ein anderes transformietr wird. Das finde ich total langweilig. Von einer Intervention sollte immer ein Impuls davon ausgehen, der eine Veränderung bewirkt-oder zumindest anstrebt.
Veröffentlicht auf deutsch und französisch in:
Schweizer Kunst, Ausgabe 1-02, Hrsg. Visarte, Zurich, CH