Yvonne Volkart befragt die Organisatorin Cornelia Sollfrank über die Ergebnisse einer experimentellen Arbeitsumgebung
3. Februar 2001, Nürnberg
[Yvonne Volkart]
Ziel vom LIQUID HACKING LABORATORY war es, HackerInnen und KünstlerInnen zum Erfahrungstausch zusammenzubringen. Mein Eindruck ist, dass es weniger HackerInnen waren als vielmehr ziemlich bekannte Leute aus der Netz- und Medienkunstszene. Wo waren die Hacker, und wie kam diese Auswahl zustande?
[Cornelia Sollfrank]
Es waren insgesamt vier HackerInnen, sechs KünstlerInnen, eine Theoretikerin und eine Programmiererin am Medialab beteiligt. Grundsätzlich ist es natürlich einfacher, KünstlerInnen dazu zu bewegen, an einer Veranstaltung in einem Kunstraum teilzunehmen als HackerInnen. Es herrscht vielfach Misstrauen und Unsicherheit, und die Leute sind eigentlich nur zu gewinnen, wenn bereits persönliche Kontakte bestehen. So kam auch die Auswahl zustande. Ich verkehre seit einigen Jahren in der Hackerszene und habe mit einzelnen Personen schon vorher zusammen gearbeitet.
Y.V.: Worin bestand der Erfahrungsausstausch?
C.S.: Wir sind so vorgegangen, dass jede/r zuerst vorstellte, was er/sie macht, woran er/sie arbeitet, was sie/ihn beschäftigt. Von da aus versuchten wir, Strategien zu extrahieren, um sie vergleichen zu können. Neben der Hoffnung Inspiration zu bekommen von der Arbeit der anderen ist für mich natürlich immer die zentrale Frage die nach einer möglichen Zusammenarbeit.
Der Erfahrungsaustausch bestand darin, dass es im Vorfeld des LHL einen gemeinsamen Pool gab. Alle Teilnehmer konnten per e-mail formulieren, was sie gerne lernen wollten (auch auf einer ganz pragmatischen, technischen Ebene) und gleichzeitig sollten sie etwas anbieten, was sie besonders gut können und anderen vermitteln wollten. Aus diesem Pool von Angeboten und Bedürfnissen sind die fünf Tage strukturiert worden. Es ist ein ganz buntes Programm zustande gekommen, das von Lockpicking (Schlösser öffnen) bis zur Idee reichte, bei rtmark einen neuen Fonds für feministische Projekte einzurichten.
Y.V.: Kannst du diese Zusammenarbeit noch etwas deutlicher machen? Was hast du gelernt, was du unverzichtbar findest?
C.S.: Die Details möchte ich hier lieber nicht ausbreiten. Allgemein ist es so, dass die enorme technische Kompetenz der HackerInnen riesige neue Handlungsfelder eröffnet, um künstlerische Ideen umzusetzen (und auf jeden Fall meinen Computeralltag enorm erleichtert :)
Y.V.: Und was hast du HackerInnen gelehrt, das wirklich ankam?
C.S.: Was von mir ankam, kann ich schlecht beurteilen, aber ich glaube, dass HackerInnen durchaus interessiert sind, ihr technisches Können mit einer künstlerischen Idee zu paaren. Ich glaube, dass das für sie selbst auch neue Horizonte öffnet - und eine Öffentlichkeit. Ihre Fähigkeiten stehen nicht nur in einem ganz anderen Kontext, sondern werden dort auch anders wirksam.
Y.V.: Euch ging es um Widerstandspraktiken gegen kulturelle und ökonomische Hegemonien. Was für Strategien wurden diskutiert und angepeilt?
C.S.: Es gab ganz verschiedene Ansätze: Da viele weibliche Teilnehmer da waren, gab es mehrere Sessions zu feministischen Praktiken; von der Schaffung neuer Vorbilder - also Repräsentationsstrategien - bis hin zu einem speziellen Fond für feministische Sabotageakte. Ein anderes wichtiges Thema waren Finanzierungsmodelle für Projekte und eigene Strukturen, im konkreten Fall, die Idee, eine Stiftung zu gründen, die mit Geldern aus der Wirtschaft - New Economy - Kunst- und Aktivismusprojekte unterstützt. Die Diskussionen darum, ob es gutes Geld und schlechtes Geld, sprich akzeptable und inakzeptable Geldquellen gibt, wurde aber ergebnislos abgebrochen.
Hinsichtlich der Widerstandspraktiken gegen ökonomische Hegemonie ist im Bereich der Computer/-netze natürlich die Free Software ein wichtiges Thema. Aber bis alle Software vom Copyright befreit ist, muss man wissen, wo gecrackte Software zu finden ist. Und nicht zuletzt ist trotz gebremster Euphorie Vernetzung immer noch eine wichtige Strategie. Ganz wichtig, auch als Strategie, bei KünstlerInnen und HackerInnen: Humor und Vergnügen (pleasure). So wurde gemeinsam die Pille erfunden, die vergessene Passwörter wieder erinnern lässt. Ausserdem soll das Proejkt 'sex maniacs' in kürze im Web präsentiert werden: eine Website, die genau dokumentieren wird, wer mit wem auf welcher Konferenz Sex hatte!
Y.V.: Hat sich also Deine Annahme, dass es gemeinsame Interessen und eine gemeinsame Sprache geben könnte, bestätigt, oder findest du, dass es doch zu viele Differenzen gibt?
C.S.: Es hat sich gezeigt, dass nur eine kleine Gruppe von HackerInnen und eine kleine Gruppe von KünstlerInnen, überhaupt miteinander kommunizieren können und wollen. (Leider bestehen vonseiten der HackerInnen große Vorurteile gegenüber KünstlerInnen, was noch ausführlicher zu diskutieren ist.) Und die Gemeinsamkeiten reichen dann von konkreten Projekten, an denen man zusammen arbeitet bis hin zur gesellschaftlichen Funktion beider Bereiche.
Vielleicht gebe ich einfach mal eine Anekdote zum besten: Wir hatten für das Medialab u.a. von einem Computerhändler vier G4-Macs geliehen bekommen. Das schicke Design sieht vor, dass die Geräte einfach seitlich aufgeklappt werden können - das ist natürlich im Sinne des Forschergeistes, der eben mal schnell einen Blick auf die Innereien werfen möchte. Allerdings hat der Händler die Geräte nach abgeschlossener Installation mit lauter kleinen Vorhängeschlössern versehen (die passenden Vorrichtungen sind interessanterweise vom Design auch gleich mitgedacht worden). Das wiederum wurde allseits als Provokation empfunden. Man kann sich doch in einem Kunst-und-Hacking-Lab nicht einfach die Rechner vor der Nase abschliessen lassen. Kurz entschlossen ging eine der Hackerinnen ans Werk und öffnete mit ihrem Lockpicking Tools sämtliche Schlösser. Anstatt aber etwas herauszunehmen, was der Händler befürchtet hatte, haben wir etwas hinein getan und dann die Schlösser wieder angebracht. In jedem Rechner eine kleine Überraschung für den Händler... Das war zwar nur eine kleine, Lab-interne Geste, aber sie zeugte von einem gemeinsamen Spirit und sorgte für gute Stimmung.
Y.V.: Im Bericht schreibst du, dass ihr auch das Leben von Netzkünstlern nach dem Hype diskutiert habt. Was kam da raus? Was tun diese Künstler jetzt?
C.S.: Die Besetzung des LHL bot ja an, das auch zum Thema zu machen. Viele der Pioniere der Netzkunst waren vertreten, was eine Seltenheit geworden ist. 'net.art' als Kontext gibt es nicht mehr, was aber von den einzelnen Vertretern unterschiedlich bewertet wird. Nach Ansicht von Alexei Shulgin zum Beispiel sind die internationalen Netzwerke gescheitert, was ihn dazu veranlasst, sich wieder mehr auf lokale Bezüge zu besinnen; dazu gehört auch das Unterrichten an einer Kunsthochschule. Vuk Cosic befürchtet, dass er der ASCII-Kunst nicht mehr entkommen könnte, womöglich zum ASCII-Papst avancierte; neben der Angst davor, immer wieder ein bekanntes ästhetisches Programm abzuarbeiten, kommen private Gründe, die ihn dazu veranlassten, sich bis auf weiteres zurückzuziehen. Heath Bunting und Rachel Baker fassten kurz zusammen: "Wir beraten jetzt Aktivisten". Das bedeutet, 'irational.org' unterstützt politisch motivierte Gruppen, indem sie ihnen ästhetische Strategien und netzwerkspezifische Möglichkeiten des Widerstands vermitteln und dabei helfen, diese durchzuführen.
Y.V.: Das interessiert mich. Haben sich die beiden konkreter geäußert? Was für Aktivisten beraten sie? Womit beraten sie sie, wohl kaum mit konkreten Durchführungsideen?
C.S.: Ich weiss nicht genau, welche Gruppen; ich kann nur sagen, dass sie sich im Umfeld von AktivistInnen gegen genmanipulierte Lebensmittel bewegen.
Y.V.: Wurde die Annahme bejaht, dass es einen Hype um Netzkunst gab? Mein Eindruck ist weniger der eines Hypes, als dass eine bestimmte Szene Mythen kreierte, die einer Erneuerung und Ausdifferenzierung bedürften, dass dies aber angesichts der Heterogenität der Leute ziemlich schwierig ist und eher zur Divergenz führt.
C.S.: Offensichtlich trügt der Schein einer homogenen Gruppe. Aber man sollte auch nicht aus den Augen verlieren, dass diese Künstler bewusst damit gespielt haben, den Hype um 'net.art' selbst zu inszenieren und das Vorhandensein einer Gruppe, einer 'Bewegung' mit einem eingängigen Label zur Verkaufsförderung einsetzten. Dass es diese Gruppe nicht mehr gibt, heißt aber lange nicht, dass die subversive Kraft der Netzkunst erschöpft ist. Allein die Tatsache, dass kaum angemessene Präsentationsmodelle für den White Cube entwickelt werden konnten und dass der Verkauf von Daten, was Netzkunstwerke meist sind, den Kunstmarkt nach wie vor ratlos macht, beweist die Widerspenstigkeit, die in diesem Medium angelegt ist. Die Tatsache allein, dass einige große Arbeiten von Museen in Auftrag gegeben wurden und ernsthafte Versuche anlaufen, diese Kunst zu sammeln im Sinne von 'Bewahren' bedeuten längst nicht, dass Netzkunst integriert werden konnte in den Kunstbetrieb. Das war auch ein Grund, warum ich diese Leute versammelt habe; ich wollte, dass wir den Status Quo diskutieren.
Y.V.: Ich möchte zum Schluss noch eine Art Fazit von dir bekommen. Bestehen vielleicht strukturelle und inhaltliche ähnlichkeiten zwischen Kunst und Hacking, ohne dass generell ähnliche Interessen verfolgt werden? In der Kunst geht es wesentlich um ästhetische Fragestellungen, das heisst um die Frage, wie man eine Kritik/inhaltliche Auseinandersetzung in eine Form bringen kann. Interessiert denn die Hacker das? Und interessiert die Künstler die ganzen Techniksachen? C.S.: Natürlich ist die Ausrichtung eine andere. Ich sage nicht, HackerInnen und KünstlerInnen sind gleich. Aber gerade die unterschiedlichen Hintergründe ergänzen sich hervorragend. Deshalb ist mein Fazit ganz klar: Es sollte nicht nur mehr Austausch geben, sondern mehr Zusammenarbeit. Relevante Aussagen können doch längst nicht mehr von Einzelpersonen/- künstlern oder -disziplinen gemacht werden. Ich würde mir nur wünschen, dass das nächste Lab zur Abwechslung im Hacker-Kontext stattfindet.