Ein Gespräch zwischen Cornelia Sollfrank und Nana Petzet
Anfang und Mitte der 90er Jahre war Cornelia Sollfrank Mitglied der Künstlerinnengruppen frauen-und-technik und -Innen; 1997 hat sie mit anderen Frauen zusammen das Old Boys Network (OBN) gegründet. Während die Künstlerinnengruppen geschlossene Organisationsformen darstellten, handelt es sich bei OBN weder ausschliesslich um Künstlerinnen (tatsächlich besteht OBN etwa zur Hälfte aus Künstlerinnen) noch um eine feste Gruppe. Viel mehr stellt OBN ein informelles Kommunikationsnetz dar, an dem sich theoretisch jede beteiligen (bzw. jeder, der sich als Frau versteht) und die Strukturen mitbestimmen kann.
1. Dezember 1998
[Nana Petzet]
Ihr benutzt den Namen "Old Boys Network" und bezieht euch damit auf die klassischen männlichen Seilschaften. Soll dann OBN auch in erster Linie die Funktion einer Lobby für Frauen im Netz übernehmen?
[Cornelia Sollfrank]
Das ist sicher eine wesentliche Motivation. Wir bilden einen Kontext, von dem die einzelnen profitieren. Dazu gehört auch, eine Infrastruktur aufzubauen: Mailingliste, Website, Publikationen und internationale Treffen.
N.P.: Und wer macht die Arbeit, zum Beispiel Organisationsarbeit für ein Treffen, in so einem offenen und flexiblen Netzwerk?
C.S.: Die Organisationsstruktur sieht so aus, daß es eine Kerngruppe von 4-6 Frauen gibt, die sich verantwortlich um die organisatorische Arbeit kümmern und auch, z.B. über die Website (www.obn.org), ansprechbar sind (boys at obn.org), und um diesen Kern herum baut sich das Netzwerk auf. Wir sprechen auch Leute oder Organisationen an, mit denen wir zusammenarbeiten möchten und jede/r kann auf uns zukommen.
N.P.: OBN hat ja vor einem Jahr auf der docuemnta x in Kassel die erste Cyberfeministische Internationale veranstaltet. Welchen Stellenwert hat der Cyberfeminismus für OBN?
C.S.: Ohne den gemeinsamen Nenner Cyberfeminismus wäre OBN nur ein Dienstleistungsbetrieb für Frauen. Es geht im Cyberfeminismus um die Frage, welche neuen sozialen Räume sich durch neue Technologien entwickeln, ob und wie Machtstrukturen zu verändern sind, ganz besonders im Hinblick auf Geschlechterfragen. Dabei entsteht eine sehr verwirrende Überschneidung zwischen gesellschaftlicher Realität im Hinblick auf geschlechtsspezifischen Umgang mit Technologien (Sozialisation und Prägung) auf der einen Seite und dem Denken von utopischen neuen Räumen auf der anderen Seite. Das sind zwei verschiedene Ebenen, sich der Thematik "Frauen und Technik/ Gender und neue Technologien" zu nähern, aber sie haben eins gemeinsam, nämlich die Frage: Wer hat Zugang? - Zugang zur Technik und Zugang zum Entwerfen utopischer Modelle. Und in welchem bzw. wessen Interesse funktionieren sie?
N.P.: Es ist auf jeden Fall ein Manko, daß Frauen immer noch eingeschränkten Zugang haben oder die Zugänge nutzen, und dadurch das Potential, das im Schaffen und Gestalten der neuen Räume liegt, verschenken. Den Begriff Cyberfeminismus genau an dieser Stelle, in dieser Lücke zu plazieren - ist das, was ihr macht eigentlich ein bewußtes Spiel mit der Realität oder hat der Begriff Cyberfeminismus eine Eigendynamik, ist er so etwas wie eine selffullfilling prophecy?
C.S.: Der Begriff Cyberfeminismus steht für etwas, das zwar erst noch hervorgebracht werden muß, aber durch den Begriff wird es bereits angekündigt, sein Kommen behauptet.
N.P.: Es gab doch vor OBN bereits wichtige Protagonistinnen des Cyberfeminismus.
C.S.: Ja, sicher, Sadie Plant, Donna Haraway und VNS Matrix; sie werden als die Ikonen des Cyberfeminismus gehandelt. Seit Anfang der 90er arbeiten sie mit dem Begriff, aber diese paar Namen genügen nicht, um dem gesamten Potential des Cyberfeminismus gerecht zu werden. Der Begriff steht für etwas sehr Komplexes, dem kein einzelner Ansatz gerecht werden kann, sondern nur ein großes Spektrum von vielen unterschiedlichen. Jede/r kann sich den Begriff aneignen und einen eigenen Ansatz formulieren.
Ich nenne mal ein paar Beispiele von der First Cyberfeminist International: Eine These der Hamburger Theoretikerin Claudia Reiche ist, daß Cyberfeminismus feministische Texte und Strategien umschreibt und neu interpretiert, und im Gegensatz zu Sadie Plant macht sie eine neue Lesart der Geschlechtsdifferenz am Beispiel von 0 und 1 auf. Alla Mitrofanova, eine russische Theoretikerin, bezeichnet den Cyberfeminismus als eine ideologische Spekulation, die uns als Browser dient, um aktuelle kulturelle Veränderungen sowie geschichtliche Zusammenhänge zu betrachten. Für sie ist Cyberfeminismus eine "simulierte ideologische Schnittstelle". Die Künstlerin Helene von Oldenburg sagt eine Zukunft voraus, die sich ohne Technophobie zum Netz bekennt und entwickelt in ihrem "Spiderfeminismus" verschiedene Spinn- und Vernetzungsstrategien. Faith Wilding aus den USA argumentiert dafür, daß Frauen Zugang zu Wissen und Werkzeugen bekommen, die immer noch von einer verabscheuungswürdigen "virtuellen Klasse" okkupiert werden...
Und da der Hybrid Workspace, in dem unser erstes Treffen stattgefunden hat, eine Schnittstelle war zwischen der interationalen Kunstwelt und einer weltweiten Szene von Medienaktivisten, konnten wir unsere Botschaften - aber auch Fragen - in beide Welten gleichzeitig einschleusen.
N.P.: An diesen, für die Multiplikation eurer Ideen wichtigen Ort, seid ihr wegen dem "cyber" im Cyberfeminismus eingeladen worden. Welche Rolle spielt denn der Feminismus im Cyberfeminismus?
C.S.: Es geht nicht um eine Neudefinition des alten, überlebten Feminismus, obwohl wir von seinem Erbe leben. Seine Institutionalisierung und Akademisierung macht den meisten Frauen den Zugang dazu heute sehr schwer. Außerdem hat sich die Massenbewegung, die er einmal war, unendlich aufgesplittert; es gibt unüberschaubar viele Varianten des Feminismus. Frausein allein reicht in seiner identitätsstiftenden Funktion nicht mehr aus, um schlagkräftige Verbindungen herzustellen.
N.P.: Habt ihr dann kein politisches Anliegen?
C.S.: Wie gesagt, geht es um Machtstrukturen und Geschlechterrollen und die Möglichkeiten, die die neuen Technologien zu deren Veränderung bieten. Das kann man durchaus als politisch bezeichnen. Aber es ist wichtig zu betonen, daß wir dafür auch auf der Suche nach neuen Methoden und Mitteln sind. Ich persönlich nenne das einen "paradoxen Politik- Begriff", einen der oppositionell ist, der den Mut hat utopisch zu sein, der gleichzeitig von verschiedenen Standpunkten aus argumentieren kann und trotzdem noch sinnvolles politisches Handeln ermöglicht, einen Politik-Begriff, der lediglich simuliert, politisch zu sein und gleichzeitig politisch wirksam ist: Eine Politik, die durch ihre Methoden auch Kunst ist.
N.P.: Welche Rolle spielst du selbst eigentlich in diesem Gebilde? Schon seit deiner ersten PR-Aktion "Ihr vertraut Augsburg" fällt auf, daß du nicht für ein Produkt Werbung machst oder eine Sache, sondern Formen aus der Werbung übernimmst und eine Art Eigenwerbung betreibst; Image-Werbung für Cornelia Sollfrank. Du setzt dich als Person künstlerisch ein, zunächst vor allem als dein eigenes Modell...
C.S.: Klar, das ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Ich benutze Marketing- und PRStrategien, Promotion, das Spiel mit Corporate Identity, Logo, Image Construction etc., um vorzuführen wie diese Mechanismen funktionieren. Dazu gehört auch, die ästhetik und Sprache von Werbung zu verwenden. Ein Bruch entsteht entweder dadurch, daß ich mich selbst, z.B. als "erfolgreiche Managerin", inszeniere oder daß es wirklich absurde Inhalte sind, die ich verkaufe. Ein Beispiel ist die Firma "information art" Eine weltweite Datenbank für Informationen über Kunst, die traditionelle Kunstvermittlung (Museen, Galerien, Kataloge etc.) überflüssig machen will. Ich entwickelte dafür eine komplette CI, inclusive Messestand und trat selbst als Agentin der Firma auf.
In bezug auf den Cyberfeminismus hat sich das etwas verändert. Ich verwende zwar weiterhin diese Strategien, um den Begriff zu promoten, z.B. in dem ich Werbeclips für den Cyberfeminismus mache. Aber gleichzeitig will ich tatsächlich, mit anderen zusammen, ein weltweites Netzwerk aufbauen, einen Kontext schaffen, in dem der Begriff mit Inhalten gefüllt wird. Und genau das machen wir im Old Boys Network. Meine Arbeit findet also nicht mehr nur an den Oberflächen statt, die ästhetiken und Strategien widerspiegeln, sondern ich arbeite auch am Aufbau neuer gesellschaftlicher Strukturen.
N.P.: Kann man das Spiel, das ihr da spielt richtig erfassen, wenn man nicht selbst beteiligt ist?
C.S.: Es ist sicher schwer OBN nur von außen zu "betrachten" - etwa als ein (Kunst-) Werk. Aber OBN zielt in mehrfacher Weise darauf, diejenigen zu beteiligen, die es entdecken und daran interessiert sind. Sobald jemand an dem Begriff Cyberfeminismus hängenbleibt und anfängt nachzuforschen, erschließt sich schnell sehr viel. Es bietet sich an, über Teilaspekte einzusteigen, durch eine künstlerische Arbeit oder einen Text. Zum Beispiel findet sich auf der Website von OBN eine Menge von Material. Und es gibt immer die Möglichkeit, sich selbst einzubringen, zum Beispiel auf der Mailingliste oder dem Forum unserer Website. Das Gebilde vergrößert sich auch durch jede, die dazukommt. Völlständig überblicken und analysieren kann ich es selbst nicht. Aber es funktioniert.
(Nana Petzet ist Freie Künstlerin, lebt in Hamburg)
Veröffentlicht im Katalog Hamburg Stipendien 1998, Cornelia Sollfrank