Cornelia Sollfrank im Gespräch mit Tilman Baumgärtel
10. Septemer 1998
Störungen und Proteste hat es bei Kunstausstellungen schon häufig gegeben. Aber der Netzkunst-Wettbewerb "Extension" der Hamburger Kunsthalle war wahrscheinlich die erste Veranstaltung in der Kunstgeschichte, die gehackt wurde. Die Hamburger Künstlerin Cornelia Sollfrank hatte mit einem Computerprogramm beliebige Seiten aus dem WorldWideWeb gesammelt, diese bis zur völligen Unverständlichkeit bearbeitet und den Datenschrott von über 100 verschiedenen Email-Adressen unter Frauennamen an die Jury des Wettbewerbs geschickt. Dort wunderte man sich zwar über die miserablen und sinnlosen Einsendungen, gab aber trotzdem eine Pressemitteilung heraus, in der man hervorhob: "Zwei Drittel der Teilnehmenden an 'Extension' sind Frauen." Erst bei der Preisverleihung erfuhr die verdutzte Jury, daß sie einer künstlerischen Intervention zum Opfer gefallen war.
Sollfrank arbeitete schon vor dem Internet mit Telekommunikationsmedien. Mit der Künstlerinnengruppe "frauen-und-technik" nahm sie 1992 an dem Fernsehprojekt "Piazza Virtuale" während der documenta IX teil, mit der Performancegruppe "-Innen" produzierte sie eine Gameshow für den Hamburger Offenen Kanal und führte bei der Computermesse CeBIT in Hannover Aktionen durch. 1997 gründete sie das "Old Boys Network", das bei der documenta X im Medienlabor "HybridWorkspace" die "Erste Cyberfeministische Internationale", ein internationales Treffen von Medienkünstlerinnen und -theoretikerinnen, organisierte.
[Tilman Baumgärtel]
"Female Extension", deine Intervention bei dem Netzkunstwettbewerb "Extension" der Hamburger Galerie für Gegenwartskunst, hat große Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Was war die Ausgangsidee von "Female Extension"?
[Cornelia Sollfrank]
Eigentlich wollte ich den Wettbewerb crashen. Ich wollte ihn dermaßen stören, daß er nicht plangemäß durchgezogen werden konnte.
T.B.: Und wieso?
Sollfrank: Weil ich es doof fand, daß ein Museum einen Netzkunst-Wettbewerb macht. Netzkunst hatte für mich nichts mit Galerien und Museumsbetrieb, mit Jurierung und Preisen zu tun, weil das der Natur des Netzes widerspricht. Netzkunst ist einfach im Netz, und dazu ist kein Museum und kein Juror erforderlich, der entscheidet, was die beste Netzkunst ist.
T.B.: Findest du das ein Jahr danach immer noch?
Sollfrank: Grundsätzlich ja. Aber ich befürchte, daß man die Entwicklung nicht aufhalten kann. Netzkunst ist bereits dabei, sich vollständig zu verändern. Sie findet zwar noch im Netz statt, aber das Bedürfnis nach abgeschlossenen Werken, die verkaufbar sind, die einen bestimmten Wert haben, nach identifizierbaren Autoren und der Etablierung von bewertenden und mit der Netzkunst Handel treibenden Instanzen wird man nicht ignorieren können. Netzkunst wird sich in diese Richtung entwickeln, weg von dem, was sie zu Anfang war.
T.B.: Woher kommt der aggressive Impuls, den Wettbewerb kaputtzumachen?
Sollfrank: Ich bin halt so zerstörerisch. Ich hatte das Gefühl, die wissen nicht, was sie da tun. Sie wollen nur von dem Hype um Netzkunst profitieren, ohne wirklich zu investieren. Das wollte ich stören und sie durch diese Störung darauf aufmerksam machen, daß das nicht so einfach ist. Netzkunst besteht nicht nur aus blankpolierten Webseiten, sondern auch aus fiesen, systemimmanenten Stör-Aktionen.
T.B.: "Die Woche" hat dich wegen dieser Aktion zur "Hackerin der Woche" gekürt. Siehst du dich selbst als eine Hackerin oder als eine Häckse?
Sollfrank: Nein, ich bin Künstlerin. Wenn man sich aber genauer ansieht, was der Begriff "hacken" bedeutet, findet man sehr schnell heraus, daß Hacken eine künstlerische Methode ist, mit dem Computer umzugehen. Es ist also eher so, daß die Hacker Künstler sind und manche Künstler eben auch Hacker. Ein wichtige Parallele zwischen Hacken und Kunst ist für mich, daß beides ein spielerischer, zweckfreier Umgang mit einer Materie ist. Es geht nicht um zielgerichtete Anwendung, sondern um das Ausprobieren und Herumspielen - ohne daß ein nützliches Ergebnis dabei herauskommt.
T.B.: Bei vielen spektakulären Hacks sind Computer zerstört oder zum Absturz gebracht worden. Gibt es da bei deinem Impuls zu zerstören auch eine Parallele zum Hacken?
Sollfrank: Hacken heißt nicht in erster Linie zerstören. Die Computer-Hacker legen inzwischen ja allergrößten Wert darauf, daß sie nur brave Buben sind, die gerne rumspielen und die Schwachstellen von Systemen aufzeigen, ohne etwas kaputtmachen zu wollen. Dabei könnten Hacker unvorstellbare Schäden anrichten. Aber im Moment geht es eher um den sportlichen Ehrgeiz, großen Software-Firmen zu beweisen, wie schlecht ihre Programme eigentlich sind. Auch bei meiner Aktion ging es weniger um Zerstörung, eher um Störung. Ich konnte "Extension" oder das Museum für Gegenwartskunst nicht zerstören, aber immerhin habe ich es geschafft, es zu stören. Es ist nicht alles zusammengebrochen, aber immerhin mußten sich einige Leute einige Zeit mit ziemlich viel Müll beschäftigen. Den reibungslosen Ablauf des Wettbewerbs habe ich auf jeden Fall gestört.
T.B.: Ein anderer Aspekt vom Hacken ist, daß es sich bei Hackern um Leute handelt, die Spaß an der intellektuellen Herausforderung haben, kreativ Beschränkungen zu umgehen.
Sollfrank: Ja, es geht beim Hacking um Beschränkungen, aber mehr noch um Normen. Das ist eine andere Parallele zur Kunst. Das einzige, was Kunst macht, ist doch, Wahrnehmungsmuster und -gewohnheiten aufzubrechen. Kunst soll Kategorie- und Systembildung, die wir brauchen, um einen möglichst geraden Weg durch das Leben zu finden, aufsprengen. Diese Muster und Systeme haben alle Menschen im Kopf. Da setzt die Kunst an: Gewohntes wird gestört, wir sind überrascht. Neue und ungewöhnliche Wahrnehmungsmuster bieten die gleichen Dinge in einem ganz neuen Zusammenhang an. Damit werden Denksysteme in Frage gestellt. Und nur Leute, die das suchen, interessieren sich überhaupt für Kunst.
T.B.: Würdest du sagen, daß es bei einem Kunstwettbewerb genauso bestimmte Konventionen gibt wie bei einem Computer-Programm und daß diese Konventionen durch deine Aktion unterwandert worden sind?
Sollfrank: Ja. Bei "Female Extension" ist das Material, mit dem ich arbeite, weniger das Internet, sondern eher der traditionelle Kunstbetrieb: Das Museum, der Wettbewerb, die Jury, der Preis.
T.B.: Wenn es um die Störung des Wettbewerbs ging, warum hast du dann nicht den Server gehackt, auf dem die Netzkunst-Projekte abgelegt waren und alles gelöscht? Oder zum Beispiel die Preisverleihung gestört?
Sollfrank: Das ist "elektronischer ziviler Ungehorsam". Ich habe sozusagen im Netz demonstriert, weil ich da einen größeren Effekt hatte. Meine Aktion war nicht wirklich destruktiv. Ich habe nichts kaputt gemacht, im Gegenteil, eigentlich war ich sogar sehr produktiv. Anstatt Daten und Informationen zu löschen, habe ich durch die automatisierte Produktion von noch mehr Daten dafür gesorgt, die eingesendeten Arbeiten schwer auffindbar zu machen.
T.B.: Eine Sache, die viele Hacker immer wieder betonen ist, daß es ihnen auch um den Zugang zu sensiblen Informationen geht. Trifft das für dich auch zu?
Sollfrank: Es geht weniger um die Information selbst, sondern vielmehr darum, wie offen Systeme sind. Die Informationen selbst verändern sich ja ständig. Es gibt ständig neue Inhalte. Viel wichtiger sind Hierarchien von Systemen. Hierarchien werden durch Passwörter und Codes etabliert. Diese müssen durch Hacken immer wieder aufgebrochen werden. Und dadurch werden die Hierarchien immer wieder abgebaut, und vertikal strukturierte Systeme werden in horizontal strukturierte umgebaut. Das ist auch der entscheidende Widerspruch zwischen Kunstbetrieb und Netzkunst. Der Kunstbetrieb ist ein hierarchisches System, also vertikal strukturiert. Ich kann nicht einfach mein Kunstwerk ins Museum hängen. Aber ich kann ins Netz gehen und da zum Beispiel meine Webseite reinhängen.
T.B.: Das ist natürlich genau das, was am Anfang viele Künstler am Internet als Medium so interessant fanden. Aber mittlerweile ist es so, daß selbst Leute, die sich professionell damit beschäftigen, gar nicht mehr überschauen können, was alles im Bereich Netzkunst passiert, weil es so unglaublich viel ist. Es ist eine paradoxe Situation entstanden: Gerade weil im Internet "jeder Mensch ein Künstler" sein kann, ist es besonders wichtig, daß sich Netzkünstler in irgendeiner Weise mit Kunstinstitutionen in Verbindung bringen, um sich zu nobilitieren und zur Kenntnis genommen zu werden...
Sollfrank: Die einzige Funktion, die ich im Netz akzeptieren kann, ist die Kontextbildung. Das heißt, ich liege mit meiner Webseite nicht irgendwo, wo mich nie jemand findet, sondern ich situiere mich in einem Kontext, zum Beispiel bei einem Artserver. Vorausgesetzt, es handelt sich überhaupt um eine Webseite, denn es gibt neben dem WorldWideWeb noch viele andere Dienste und Ebenen im Netz, auf denen Kunst stattfinden kann. Aber der Artserver sollte keine Institution mit einem Kurator sein.
T.B.: Ein Artserver ist quasi das Internet-Gegenstück zu einer Produzenten-Galerie. Es gibt also die Künstler, die selbst einen Server betreiben und den mit ihrem eigenen Oeuvre vollpacken. Das ist schön für die Künstler, aber das muß doch noch lange nicht von allgemeinem Interesse sein. Und dafür sind doch gerade Kuratoren da: um als "Gatekeeper" nur den Teil der Netzkunstwerke durchlassen, die von einem gewissen Wert für das Publikum sind und nicht nur für die Künstler, die sie gemacht haben. Diese Filterfunktion ist für das Kunstpublikum meiner Ansicht nach sogar äußerst wichtig...
Sollfrank: Natürlich gibt es Leute, die diese Filterfunktion brauchen, weil sie keine Zeit oder keine Lust haben, sich selbst umzusehen. Aber bei "Extension" war zum Beispiel nichts dabei, was für mich von Interesse war. Man sollten sich immer darüber im klaren sein, wie elitär und zweifelhaft die Auswahl in einem Museum ist.
T.B.: Es gibt die historischen Erfahrung mit Video, wo Prozesse der Kanonisierung und Musealisierung stattgefunden haben, wie sie jetzt wahrscheinlich bei der Netzkunst bevorstehen. Was ist eigentlich so schlimm daran, daß ein Museum sich mit Netzkunst beschäftigt und versucht, verschiedene Arbeiten zu bewerten? Es ist schließlich die Aufgabe eines Kunstmuseums, zur Kontextbildung und zur Formulierung eines Kanons beizutragen.
Sollfrank: Das Motto von Museen ist: Sammeln, Bewahren, Forschen. Ein Museum, das sich ernsthaft mit Netzkunst auseinandersetzen will, müßte Netzkunst sammeln und sich mit allen Konsequenzen überlegen, wie man diese Kunstform konservieren und erforschen kann.
T.B.: Widersprichst du dir da nicht selbst? Einerseits sagst du, daß die Netzkunst nur im Netz stattfindet und da auch bleiben soll und daß die Museen die Finger davon lassen sollen. Andererseits sagst du, die Museen sollen Netzkunst sammeln...
Sollfrank: Wenn ein Museum sich ernsthaft der Herausforderung stellen würde, Netzkunst zu sammeln, könnte ich das akzeptieren. Ich unterstelle ihnen aber, daß sie es nicht ernsthaft vorhaben. Das hat man bei der Galerie der Gegenwart gesehen. Sie wollten einfach auf diesem net.art-Hype mitschwimmen. Aber daß ihnen überhaupt nicht bewußt war, was es tatsächlich bedeuten würde, sich auf so eine Aufgabe einzulassen, sieht man daran, daß seit dem Wettbewerb keine Bemühungen mehr in diese Richtung unternommen werden. Die Website wurde seit der Preisverleihung im September 1997 nicht mehr verändert.
Wenn allerdings kompetente Leute mit einem potenten Museum zusammen die Idee des Sammelns von Netzkunst ernsthaft in Angriff nehmen würden, fände ich das gut. Es wäre eine ungeheure Herausforderung, weil nicht nur das Einsammeln der Werke und die begleitende Theoriebildung dazugehört, sondern auch ein riesiger Fundus an Hard- und Software, die nötig ist, um die Daten bei den in kürzester Zeit veralteten technischen Standards überhaupt noch lesen zu können. Und dazu bedarf es Technikspezialisten, die die anfallenden Reparaturen und Wartung übernehmen können. Aber auf diese gigantische Aufgabe reagieren die Museen eher zögerlich und zurückhaltend. So eine Sammlung müßte sehr breit angelegt sein und möglichst viel Material beherbergen - was nicht zwangsläufig bedeutet, daß eine Wertung und Hierarchisierung der einzelnen Arbeiten erfolgen müßte.
Veröffentlicht in:
netz.kunst, Jahrbuch 98-99, Institut für moderne Kunst, Nürnberg, 1999
[net.art] - Materialien zur Netzkunst, Tilman Baumgärtel, Verlag für moderne Kunst, 1999
"Netzkunst besteht nicht nur aus blankpolierten Webseiten, sondern auch aus fiesen Stör-Aktionen"
"Hacker sind Künstler und manche Künstler eben auch Hacker"
"Es ist nicht alles zusammengebrochen, aber immerhin mußten sich einige Leute einige Zeit mit ziemlich viel Müll beschäftigen"