Buchbesprechung: net.art generator

Cornelia Sollfrank, “net.art generator“, Verlag für moderne Kunst, Nürnberg (2004)

ISBN: 3936711305

 

http://artwarez.org/projects/nagBOOK/

 

Matthias Weiss

 

Wie man sich auch wendet, die Autorschaft wird man hierzulande so leicht nicht los.

 

Ist ein bestimmter geistiger Gehalt erreicht, gilt ein Produkt vor dem Gesetz als schützenswertes Werk, wobei es fast gleich ist, aus welcher Materie es hergestellt wurde. Warum aber sollte ein kreativer Mensch überhaupt versuchen, seine Autorschaft loszuwerden? Überdruss am Subjektiven? Vielleicht. Zusätzlich sind da aber die gewandelten technischen Möglichkeiten, welche beispielsweise in der Bildenden Kunst seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer Hinterfragung von Autorschaft geführt haben. Die Möglichkeit des Einsatzes von Maschinen oder Auto(r)matismen zur Kunstproduktion stellt Künstler wie Werkexegeten vor die Aufgabe der Einschätzung und Reflexion ihrer so veränderten Produktions-bedingungen. Denn was heißt es eigentlich, wenn ein Computer automatisch etwas herstellt? Welchen Status besitzt dieses Produkt? Gerichte haben die Frage längst beantwortet: Ein Industrieroboter oder ein Computer können keine Urheberrechte beanspruchen, baut der eine auch noch so schöne Werkteile, kreiert der andere auch noch so spannende Bilder. Denn diese künstlichen Schöpfer funktionieren nur dann, wenn sie ein Programm ausführen, das ganz nach determinierten Eindeutigkeits-kriterien in einer speziellen Anweisungslogik formuliert wurde – und diese schreiben meistens Menschen. Mag die Frage rechtlich noch so eindeutig sein, ist sie doch für den weniger abstrakten Lebens- und Erfahrungsraum nicht so einfach zu beant-worten. Eine ganze Branche von Autoren verfasst seit jeher Science Fiction über die Möglichkeit maschineller Identität. Denn die ist es letztlich, welche hinter der Verunsicherung durch künstlich-künstlerische Artefakte auf der Bühne steht. Wie groß ist der Anteil von Autorschaft, Identität und Subjektivität, wenn eine Maschine werkelt – dies ist ein Hauptmotiv derjenigen zeitgenössischen Kunst, welche bevorzugt mit Maschinen operiert.

 

Es gibt in diesem Zusammenhang eine ganze Reihe von Fragen, die sich Künstler und Ästhetiker seit geraumer Zeit stellen. Bekannt wurden die Auseinandersetzungen um sogenannte generative Künste in den 60er Jahren, beispielsweise durch Max Bense, Georg Nees oder Frieder Nake. Eine aktuelle Note erhielt das Schaffen durch die Netzkunst, insbesondere durch die Hamburger Künstlerin Cornelia Sollfrank. Ihr kommt der Verdienst zu, mit der konzeptuell klugen Hinterfragung der Autorschaft, diese männliche Domäne der Medienkunst von Grund auf durcheinander zu bringen. Ihr bahnbrechendes Werk ist der net.art generator. Immer noch eins der besten Kunstprojekte im Internet überhaupt, führte es in seiner Fassung female extension von 1997 den ersten in Deutschland von der Hamburger Kunsthalle ausge-schriebenen Netzkunstwettbewerb vor, gab ihn der Lächerlichkeit preis und ermöglichte ein nachhaltiges Reflektieren über die vermeintliche Kompetenz der Fachleute in Sachen Gegenwartskunst. Zudem deckte das Werk auf sinnlich und konzeptuell stimmige Weise die verdeckten Machtmechanismen öffentlicher Preise und der Jurierung von Kunst auf. Damals flutete eine Unzahl von maschinell generierten „Netzkünstlerinnen“ den Wettbewerb. Die Software programmierte mit ihren künstlichen Irrläuferinnen die Jury auf ein oberflächlich politisch korrektes Quotenbewusstsein. Der hohe „Frauenanteil“ am Wettbewerb wurde Marketingaspekt und führte gleichzeitig zu Fehlinterpretationen. Auf die Erzeugnisse dieser Vorspiegelungen schaute dann auch niemand mehr wirklich intensiv. Bis heute stellt das Werk im Sinne der Eingangsbeschreibung die Rezeptionsgewohnheiten auf die Probe.

 

Dem Verlag für moderne Kunst Nürnberg ist es nun zu verdanken, dass das Werk in einer erhellenden und über die Szene hinaus wichtigen Aufsatzsammlung unter dem Titel „net.art generator. Programmierte Verführung“, einer breiteren Öffentlichkeit auch über das Internet hinaus vorgestellt wird. Das zweisprachige Buch versammelt neben den einführenden Worten von Annette Schindler, sechs Essays. Zwei davon schrieb Sollfrank selbst – über ihre Arbeit und das Urheberrecht. Darüber hinaus konnten für das Projekt neben Florian Cramer, Literaturwissenschaftler und Experte in Sachen Code-Kunst, die englische Kuratorin Sarah Cook, die Kunstwissen-schaftlerinnen Ute Vorkoeper und Verena Kuni mit eigenen Textbeiträgen gewonnen werden. Und neben einem Interview, das Sollfrank mit dem Programmierer Richard Leopold, der einen der Generatoren entwickelte, melden sich unterschiedliche Autoren in einer Reihe von Kommentaren und Anmerkungen zu Wort, unter anderem auch das damalige Jurymitglied des Hamburger Preises, Dieter Daniels, oder die Kuratorin und Spezialistin für Computerkunst, Christiane Paul vom New Yorker Whitney Museum of American Art.

 

Das Buch umspielt wie eine Retrospektive das künstlerische Spannungsfeld zwischen Performance und Konzeptkunst, in das sich Cornelia Sollfrank verortet. Und es ist implizit eine Hommage an die Künstlerin, die 1960 geboren wurde und heute in Hamburg und Celle lebt und arbeitet. Das Themenfeld des Buches zirkuliert um die zentrale, bereits angerissene, aber immer noch nicht hinreichend beantwortete Frage nach der Relation zwischen Autorschaft und Urheberrecht sowie dem historischen Akt der female extension. Damals hatte es den Anschein, als könnte man mit einem Browser die subversive Seite ansteuern und durch das Ausfüllen von Eingabefeldern eine „Künstlerin“ produzieren. Hinter der Oberfläche lief ein Programm ab, dass vollständig automatisiert eine Unzahl von Pseudo-Künstlerinnen nach Maßgabe der Algorithmen erzeugte und an den Wettbewerb weiter leitete. Damit spielte das Werk damals wie heute in kaum zu übertreffender Weise mit den Mechanismen des Kunstsystems und stellte sie auf irritierende Weise bloß. Zugleich stand das Künstlerindividuum sowie der Begriff des Urhebers selbst zur Debatte, denn wie konnte ein Automat nicht der Urheber sein, wenn Fachleute den allerdings offen-sichtlich gleichförmigen Fake-Seiten bescheinigten, sie seien Werke von Netz-künstlerinnen? An dieser Stelle amalgieren Teile zweier Diskurse in einen paradoxen Zustand, der unauflöslich erscheint. Und mehr noch: Der Wunsch nach einer von Frauen dominierten, fröhlich-bunten Bildschirmkunst war Vater des Gedankens. Verständlich macht dies Ute Vorkoepers Aufsatz „Programmierte Verführung“, der die ironische Komplizenschaft aufdeckt, welcher der Rezipient nicht zu entkommen scheint. Zynischerweise wurden damals dennoch drei Männer gekürt.

 

Als 1997 die erste große Welle der Netzkunst in den Wahrnehmungshorizont der etablierten Institutionen geriet, grassierte bis auf wenige Ausnahmen eine Kunst des Expliziten. Darüber berichtet Sarah Cook in ihrem Text, der über die Frage reflek-tiert: „Was würde eine künstliche Intelligenz als schön empfinden?“ Frühe net.art, das waren meist Arbeiten, die sich gegen den materiell orientierten Kunstmarkt wendeten, im Browser oder durch eigens programmierte Darstellungs-programme die Grenzen des technisch Zeigbaren ausloteten oder per Telematik Blumen gossen und damit Faszination bei einer jungen, Technik-begeisterten Generation auszulösen verstand. Die Überwindung der guten alten Kunst mit einer Internet-Kunst, die viele gesellschaftliche und auch politische Phänomene wie zum Beispiel die Globalisierung anpackte, war damals das große Ziel der Szene. Es wurden Themen ausgearbeitet und viele Einfälle einer Welt verändernden Kunst, viele Präsentationsweisen und Narrationsstrukturen entwickelt. Was dabei häufig auf der Strecke blieb, war die Kunst. Auf der anderen Seite erlebte der traditionelle Kunstmarkt erneut Schübe einer Traditionalisierung qua Malerei und künstlerischer Fotografie bei gleichzeitiger Betonung dokumentarischer Positionen und metakünstlerischer Strategien sowie höchster Verehrung des „Alltäglichen?. Auf dem Humus dieses vielstimmigen, lebendig pluralistischen Durcheinanders bekam die Internet-Kunst nur eine Nischen-rolle zugewiesen, und darin gefällt sie sich bis heute. Daher ist es spannend zu lesen, dass die Philosophin Kirsten Hebel über die Rolle des Codes nachdenkt und zu einer treffsicheren Analyse zwischen der Kunstbehauptung von Code basierter Tätigkeit und klassischen Genres auf ontologischer Ebene kommt: Während die Kunst als ein seit Kant autonom im Sinne von durch Codes und Sprache uneinholbar Bestimmtes gilt, handele es sich beim Code selbst um Zeichenketten, die keine Unterbrechung dulden und diese Anweisungssprachen dummerweise „bis heute noch nicht in den Genuss [ihrer] eigenen existentiellen Infragestellung“ gekommen seien.

 

Vor dieser Folie wirkte die Arbeit von Sollfrank wie ein Schock und verursachte Ernüchterung. Denn im Unterschied zu vielen anderen Künstlern, die das Netz als explorierbare Infrastruktur erkundeten, um damit von den vermeintlichen Fesseln herkömmlicher Medialität loszukommen, verstand Sollfrank das Netz als eine „Extension“, nicht als einziges Mittel und Medium ihrer subtilen Praktiken. Das Buch zeigt, dass ihre Performances, Interventionen und Konzepte nicht ausschließlich auf der Basis der technischen Infrastrukrur des Internet zu verstehen sind. Nun könnte man meinen, dass es einen Widerspruch zu ihren Versuchen gebe, Autorschaft zu dekonstruieren. Doch das Netz als paradoxes Feld aus Hierarchie, Boom und freier, akademischer Gegenweltlichkeit, aus ephemerer Datenproduktion, labiler Verfüg-barkeit und Projektionsfläche verschiedener Verheißungen, eignet sich am besten zur Auseinandersetzung über die Relation zwischen Fiktion und Realität.

 

Der Anachronismus des Buchs als Publikations- und Reflexionsmedium für den net.art generator ist nur ein vermeintlicher, denn er ist kalkuliert und Teil des künstlerischen Konzepts der Grenzerkundungen. „Ich möchte die Hemmschschwellen des traditionellen Kunstpublikums abbauen“, erklärt die Künstlerin, „das Buch ist hierbei als vertrautes Format sehr geeignet.“ Denn erst durch die Öffnung der Netzkunst auf traditionelle Kunstdiskurse bleibt die Nachsilbe Kunst in Netzkunst nicht bloßes Lehnwort und Marketinglabel zur Mittelakquise. Ganz im Sinne einer konzeptuellen Kunst lässt sich das Buch, welches bereits auf dem Titel typografisch den Karneval der Identitäten feiert, wenn – wie Florian Cramer sinnigerweise herausfand – dieser über dem Autorinennamen und in vertauschter Schriftgröße erscheint, als archimedischer Punkt im Werk der Künstlerin begreifen. Das Buch liefert Pfade zum Werkverständnis. Es ist aber zudem das Ergebnis des künstlerischen Gestaltens angesichts der Ordnung der Texte zueinander. Metaphorisch könnte man es daher als systemische Plastik beschreiben. Sollfrank operiert in den erklärten Arbeiten und im Buch mit unterschiedlichen Diskursen. Das Rechtssystem wird strapaziert, in dem es sich Aussagen über künstlerische Qualität abringen lässt, um die Lage zu ordnen. Diese Aussagen sind aber aus der Perspektive der Kunstwissenschaft oder der Künstler oft merkwürdig unqualifiziert und gehen in der Beurteilung fehl. Das zeigt sich anhand der juristischen Ein-schätzungen jener Warhol-Flowers, die von der Software zu neuer Blüte gelangen und als Abbildungen beispielsweise den Titel zieren. Die Rechteinhaber werden auf die Probe gestellt, damit schreibt sie dem System jene Unwägbarkeiten um die Relation zwischen Original und Kopie in vielfacher Verschachtelung ein. Wie kann - so fragt man sich - Recht geltend gemacht werden, wenn eine smart machine die Arbeit übernimmt und bereits das Herstellerverfahren der „Originale“ selbst auf Multiplikation hin angelegt ist. Diese Absurdität der Fetischisierung qua Urheberrecht legt sich quer gegen den kunstwissenschaftlichen Diskurs, der wiederum mit dem rechtlichen nicht kongruent sein kann. Im Werk und im Buch von Sollfrank werden diese unauflöslichen Spannungen deutlich spürbar. Andererseits bedient sie sich souverän der Mechanismen des Kunstmarkts, indem sie beispielsweise auch deren Dokumentationswege (Katalog) und Marktmechanismen (Vervielfältigung der generierten Bilder) vorführt. Zudem wird ein Überhang in Fachdiskurse der Computer-Hacker deutlich, womit sich Cramer in seinem Beitrag auseinandersetzt. Mit Humor und einer gezielten Intervention platzierte sie im Jahr 2000 auf dem jährlichen Kongress des Chaos Computer Clubs ein Gerät zur Berechnung der frucht-baren Tage im Zyklus einer Frau. Es wurde als Fundstück auf der Webseite des Kongresses publiziert. Keiner, der ausschließlich männlichen Organisatoren, konnte sich einen Reim auf diese geheimnisvolle Maschine machen. „Die vermeintlichen Experten der Subversion von Systemen erwiesen sich blind gegenüber ihrem eigenen System“, schreibt folgerichtig Cramer in seinem erhellenden Artikel über den Begriff des Hackers aus der Perspektive von Sollfranks künstlerischer Arbeit. Allerdings geht der Autor in seiner Deutung der Absicht der Künstlerin fehl. Es scheint eher der Fall zu sein, dass ihr gerade an der Differenz zwischen dem System der Kunst, welchem die Möglichkeit der Fiktionalisierung des Alltags implizit ist, und den vor allem im Technischen angesiedelten Diskursen und Systemen gelegen ist, statt, wie Cramer meint, dass „ihr Ideal einer philosophisch radikalen Fusion von Kunst und Hackerkultur“ scheitere.

 

Durch die Lektüre des Buchs wird ersichtlich, wie souverän Sollfrank auf die blinden Flecke der jeweils verhandelten Systeme wie Recht, Technik und Kunst hinweist und diese zum „Material“ ihres Schaffens wählt. Daraus könnte der Eindruck entstehen, es gebe eine Meta-Autorschaft, die nicht mehr Dinge fetischisiert, sondern Diskurse in ihrer Objekthaftigkeit als formbare Masse nutzt. Über Autorschaft, Identität sowie den Status des Werks und seine Begrifflichkeit ist dennoch die Unsicherheit geblie-ben. Zudem wissen wir alle nicht genau, wann wir selbst zum Werkstoff der plastischen Arbeit von Sollfrank werden. Indem uns die Künstlerin ein Buch vorlegt, können wir durch die darin enthaltenen Gedanken der Autoren – welche sie anhand ihrer eigenen Kriterien versammelt hat – archäologisch über den Weg der Erfahrung einen Eindruck von den plastischen Qualitäten der blinden Flecke von Diskursen gewinnen. Aber so ganz eindeutig wird die Kontur nicht. Die blinden Flecke werden operationalisiert. Einholen kann man sie nicht. Sollfrank arbeitet in diesem Sinne an der Präzisierung von gestalteter Fragwürdigkeit systemischer Selbstverständlich-keiten. Diesem Vergnügen kann man als Leser nachgehen und erfährt plötzlich in all der Polyphonie künstlerischer Möglichkeiten das Zwingende des Künstlerischen auf einem Areal, das sich ansonsten der eher klassischen Begriffe von Kunst entledigt wissen will.

 

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