Wenn Juristen über das Wesen von Kunst Auskunft geben
«A smart artist makes the machine do the work», proklamiert Cornelia Sollfrank. Die neusten Erzeugnisse ihrer Kunstmaschine, des «Netzkunstgenerators», kann sie in ihrer aktuellen Ausstellung «Legal Perspective» im [plug.in] allerdings nicht zeigen – aus rechtlichen Gründen. Raffael Dörig, im Kunstmagazin Regioartline, 9.11.2004
Der «Netzkunstgenerator» ist eine Software, die eine Art von Collagen aus im Netz veröffentlichtem Material herstellt. Die Materialauswahl basiert dabei auf den Wörtern, die die UserInnen als Titel des zu erzeugenden Werks eingeben. Ein Vorläufer des «Netzkunstgenerators» hatte als Tool für die Aktion «Female Extension» gedient, mit der Sollfrank 1997 Aufsehen erregte. Damals hatte die Künstlerin für einen Netzkunst-Wettbewerb der Hamburger Kunsthalle mittels dieser Software rund 200 Websites generiert und sie als Arbeiten von erfundenen Netzkünstlerinnen eingereicht. Die Kunsthalle gab darauf erfreut die grosse Zahl von Bewerbungen und den hohen Anteil weiblicher Künstlerinnen bekannt. Die Preise allerdings gingen ausnahmslos an männliche Teilnehmer. Erst kurz vor der Preisverleihung deckte Sollfrank in einer Presseerklärung die Intervention auf. Zwischen 1999 und 2003 entstanden in Zusammenarbeit mit verschiedenen ProgrammiererInnen fünf Versionen des «Netzkunstgenerators», die im Netz zugänglich gemacht wurden. UserInnen können damit Bilder zusammenstellen lassen, die in einem Online-Archiv gesammelt werden.
In der aktuellen Ausstellung im [plug.in] sollten nun durch den «Netzkunstgenerator» erzeugte Bearbeitungen von Andy Warhols Blumenbildern zu sehen sein. Juristen hatten der Künstlerin aber abgeraten, diese auszustellen, da mit der Arbeit Urheberrechte verletzt würden. Stattdessen zeigt Sollfrank vier Videointerviews, welche sie mit Rechtsanwälten geführt hat, die auf Urheberrechtsfragen spezialisiert sind. Die nicht realisierte Warhol-Bearbeitung steht dabei als Gegenstand einer juristischen Analyse als grosse Abwesende im Zentrum. Die Anwälte geben Auskunft darüber, wie ein allfälliger Rechtsstreit vor sich gehen könnte, bei dem die Meinungs- und Kunstfreiheit gegen die finanziellen Ansprüche eines Rechteinhabers abgewogen werden müssten. Letztlich würde dabei ein Gericht entscheiden, ob der Bearbeitung Kunstcharakter zuzusprechen sei. Entscheidende Kriterien sind «Schöpfungshöhe, Individualität, Originalität und Abgrenzbarkeit».
Sollfranks softwaregenerierte Arbeiten fordern diesen juristischen Kunstbegriff heraus. Wer verletzt hier überhaupt das Urheberrecht? Wer macht die Kunst? Ist es die Maschine, die das Bild berechnet, die UserInnen, die das Programm bedienen, Sollfrank, die die Idee zur Software hatte oder die ProgrammiererInnen? Und wie ist mit dem Problem umzugehen, dass Warhols «Flowers» selbst unter Verwendung einer urheberrechtlich geschützten Fotografie von Patricia Caulfield entstanden? Und was ist, wenn die Software unter dem Stichwort «Warhol Flowers» im Netz Bilder zutage fördert, die bereits Urheberrechtsverletzungen darstellen? Wie die Anwälte in ihrer Paragraphensprache vor dem Hintergrund dieser Probleme über das Wesen von Kunst diskutieren, ist höchst spannend.
Elaine Sturtevant, die durch ihre Wiederholung berühmter Vorlagen bekannt gewordene Konzeptkünstlerin, hatte für ihre Versionen der «Flowers» 1965 noch die Originalsiebe von Warhol geliehen bekommen. Solche Grosszügigkeit ist von den Vertretern der Urheberrechtsindustrie kaum zu erwarten:Sie reagieren zur Zeit eher panisch auf die Umwälzungen der Bedingungen von Copyrights durch das Internet. Sollfrank antwortet auf diese verschärfte Aufmerksamkeit mit einer juristischen Knobelaufgabe, an der sie die Probleme, die sich stellen, exemplarisch vorführt. Sie leistet damit nicht nur einen spannenden Beitrag zur aktuellen Copyright-Debatte, sondern fragt grundlegend nach dem Wesen und den Bedingungen von Kunst.