Der Urhber, das Netz und die Künstlerin
Künstler mit dem Spezialgebiet Computer und Internet bewegen sich auf einem grossenteils ungesicherten Terrain, wo die Fragen bedeutend zahlreicher als die Antworten sind. Cornelia Sollfrank erforscht die Themenbereiche Identität, Kopie und Copyright. Villoe Huszai in Neue Zürcher Zeitung, 12. März 2004
Künstler mit dem Spezialgebiet Computer und Internet bewegen sich auf einem grossenteils ungesicherten Terrain, wo die Fragen bedeutend zahlreicher als die Antworten sind. Cornelia Sollfrank erforscht die Themenbereiche Identität, Kopie und Copyright.
In Zeiten des verschärften Kampfs gegen Urheberrechtsverletzungen ist das eine regelrechte Provokation: dass die Künstlerin Cornelia Sollfrank ihre Internetadresse artwarez.org nennt. Denn “warez” - eine Anspielung auf Shareware und Ähnliches - ist der Jargonausdruck für kommerzielle Software oder Spiele, deren Kopierschutz geknackt wurde und die kostenlos und illegal via Internet heruntergeladen werden können. In ihrem Vortrag über Kunst als systematische Urheberrechtsverletzung (”Art = systematic copyright infringement”), den Sollfrank kürzlich in Zürich und Basel hielt, insistierte sie auf dem Prinzip des freien Datenaustauschs Adorno-Texte illegal im Internet.
Derzeit befindet sich auf Sollfranks Webadresse eine Protestnote der Site www.textz.com. Diese wird vom Berliner Künstler Sebastian Luetgert betrieben, der sich sehr offen gegen Verwertungsrechte ausspricht. Luetgert müsste dem Tabakfirma-Erben Philip Reemtsma schon seit zwei Wochen eine gerichtlich verhängte Busse von über 3000 Euro bezahlen oder aber eine entsprechende Haftstrafe absitzen - sofern Reemtsma nicht doch noch Gnade vor Recht walten lässt. Denn Reemtsma besitzt die Verwertungsrechte an zwei Adorno-Texten, die illegalerweise auf www.textz.com veröffentlicht wurden. Sebastian Luetgert war zwar von Reemtsma verwarnt worden, hatte aber aus Versehen die Dateien zu spät vom Netz genommen.
Allerdings macht sich Sollfrank nicht einfach Luetgert zu eigen. Die für die erste Netzkunst- Generation charakteristische Lust auf Rebellion erkennt man zwar auch bei Sollfrank, aber in erster Linie ist sie ein wissensdurstiger Freigeist: Sie wird dieser Tage ein Interview mit dem Anwalt von Reemtsma führen und damit die Perspektive wechseln. Falls sie das Gespräch auf ihrer Site veröffentlicht, werden die Besucherinnen und Besucher ihrer Website über die Position der Gegenseite unterrichtet. Sollfrank betont: “Ich habe keine eindeutige Botschaft. In Urheberrechtsfragen überschneiden sich Kunst, Recht und Ökonomie in komplexer Weise. Man nähert sich dem Problem am besten experimentell.”
Ihre künstlerische Arbeit beruht wesentlich auf dem “Copy & Paste”-Verfahren (kopieren und anderswo einfügen). Bei der Aktion “Female Extension”, mit der sie über Nacht zur international beachteten Netzkünstlerin avancierte, zeigte sich das exemplarisch: Die Hamburger Kunsthalle hatte 1997 einen Netzkunst-Wettbewerb ausgeschrieben, um den Neuling unter den Künsten ins Haus zu holen. Sollfrank faszinierte die Ahnungslosigkeit der etablierten Institution gegenüber dem neuen Medium, ebenso aber auch die Dominanz der Männer in der Netzkunst. Sie erfand rund 120 Wettbewerbsteilnehmerinnen, deren Dossiers sie zuerst noch gleichsam mit Schere und Leim zusammenkleben wollte. Aber ein Freund schrieb ihr ein Programm, das das Material aus dem Netz kopierte und neu zusammenstellte. Die Kunsthalle freute sich über die vielen Eingaben von Frauen. Vom Coup erfuhr die Institution erst zusammen mit der Öffentlichkeit, als Sollfrank an der Presseerklärung zur Preisverleihung auf einem Flugblatt über ihre Aktion informierte.
Das Verfahren, sich mittels erfundener Figuren in reales Geschehen einzuklinken, ist älter als Sollfranks Auseinandersetzung mit den neuen Medien. Nachdem sie nach drei Jahren klassischen Studiums der bildenden Künste ihr Malatelier leer geräumt hatte, wurde das Spiel mit vorgefundenen oder erfundenen Identitäten Teil ihres Kunstschaffens. Das Netz mit seinen Formen anonymer Kommunikation unterstützte diese künstlerische Praxis, in der sich Kühnheit und Witz paaren. Die neuen Medien erwiesen sich als unerschöpfliches und herausforderndes Material für Sollfrank. Mehr als nur Material: Sollfrank führt mit Phänomenen der Computerwelt, seien es Netzkultur, Hackertum oder eben Ideen von Open Source und Informationsfreiheit, einen ständigen Austausch. Sie betont dabei, dass ihr künstlerisches Werk im Kern aus Gesprächen besteht und daraus hervorgeht. Darum gibt Sollfrank ohne Scheu zu, dass sie ihre Programme nicht selber schreibt, sondern mit Programmierern und Hackern kooperiert.
Zum Beispiel beim Netzkunst-Generator, einer Arbeit, die Sollfrank aus dem “Copy & Paste”-Programm von “Female Extensions” weiterentwickelte. Dabei handelt es sich um ein Programm, das Sollfrank auf ihrer Site aufschaltete und das es jedem Benutzer ermöglicht, durch Eingabe eines Stichworts sein eigenes Netzkunstwerk zu schaffen. Das Programm sammelt bestehendes Material aus dem Netz und kombiniert es neu. Den Generator gibt es unterdessen in fünf verschiedenen Varianten. Abgesehen vom Generator 2 sind die Maschinen in Betrieb und bieten zumindest guten Zeitvertreib, ist es doch ein ganz eigenes Vergnügen, die individuellen Assoziationen zu einem Stichwort mit den technisch erzeugten Assoziationen im Netz zu konfrontieren. Ist das Kunst?
Die ungnädige Frage allenfalls, was daran denn Kunst sein solle, ist dabei gerade der Anfang einer vertieften Auseinandersetzung. Solche grundsätzlichen Fragen beschäftigen auch Sollfrank. Ihnen geht sie derzeit in Form von Recherchen zu Autorschaft und Urheberrechtsfragen nach. Das Bild des Künstlergenies ist ihr, die stets in Kollektiven oder eben im Dialog arbeitet, suspekt. Hinzu kommt die Sonderrolle, die sie als Frau im Kunstbetrieb, aber mehr noch in der von Männern dominierten Computerwelt einnimmt.
Als Sollfrank Ende der neunziger Jahre sich für die Hacker-Kultur zu interessieren begann, suchte sie weibliche Hacker. Selbst eine intensive Recherche verlief erfolglos. So erfand Sollfrank fünf weibliche Hackerinnen und drehte sogar ein Video über diese. Es sei eines der grossen Potenziale der Kunst, “mit ihr Dinge behaupten zu können und durch die Behauptung in Existenz zu versetzen”. Dass mittlerweile weibliche Hacker aufgetaucht sind, freut Sollfrank. - Mit einem Bild von Marshall McLuhan ausgedrückt: Die Kunst von Cornelia Sollfrank ist kein heisses Medium, dessen Dichte an Information den Betrachter zu einem selbstvergessenen, zur Salzsäule erstarrten Betrachter machen soll. Das Engagement für den bedrängten “Studenten” Luetgert ist ein Mosaiksteinchen dieser vielfältigen künstlerischen Praxis. Auf artwarez.org kann man den von Sollfrank geführten Dialog mit der Welt von Ferne mitverfolgen.