Die Zukunft ist femail. Die Cyberfeministin Cornelia Sollfrank
Susanne Weingarten und Marianne Wellershoff, in:Die widerspenstigen Töchter. Für eine neue Frauenbewegung, 1999
Was ist ein „Old Boys’ Network“? Ein Netzwerk von Absolventen einer Eliteuniversität, die sich gegenseitig protegieren. Richtig. Und falsch. Seit 1997 gibt es ein Old Boys‘ Network im Internet, an dem kein britischer Anwalt oder Wirtschaftsboss beteiligt ist. Zum virtuellen „OBN“ haben sich Cyberfeministinnen aus Europa, Australien und den Vereinigten Staaten zusammen geschlossen. Sie haben das gleiche Ziel wie die alten Kerle: Sie wollen sich gegenseitig Jobs verschaffen, zu Konferenzen einladen, Ideen austauschen und sich nehmen, was ihnen gehört. Denn das Netz, so behauptet die britische Theoretikerin Sadie Plant, ist weiblich.
Immerhin ist der Anfang gemacht: Websites für Frauen sind schon lange und zahlreich in der virtuellen Welt ohne Grenzen installiert. Cybergrrls, Webgrrls, Ceiberweiber, Cyberpunks, Techbabes stellen sich auf eigenen Seiten vor und bieten Essays, Unterhaltung, Informationen, Jobs, Kontakte, Foren oder auch Sexspielzeuge zum Bestellen an.
„Das Anliegen von OBN ist es, Räume zu schaffen, in denen Cyberfeministinnen forschen, experimentieren, kommunizieren und handeln können“, so formuliert Cornelia Sollfrank das Selbstverständnis des virtuellen Netzwerks, das die Internetadresse www.obn.org hat. Die virtuellen Old-Boys-Girls arbeiten – im Gegensatz zu ihren weltlichen Vorbildern – nicht im Verborgenen: Jeder mit Internet-Anschluss kann sich in die Homepage einloggen, dort Informationen abrufen und Nachrichten schicken.
Sollfrank ist eine der fünf Gründerinnen von OBN. Ausserdem ist sie Künstlerin und Feministin. „Ich wollte schon immer eine Gruppe „Old Boys‘ Network nennen“ sagt sie, „aber ich hatte nie die passende Idee.“ Die kam ihr erst einige Jahre, nachdem sie das Internet entdeckt hatte.
Begonnen hatte ihr Vorstoß in die Cyberwelt Anfang der neunziger Jahre mit dem Versenden von E-Mails – weil die schneller und billiger waren als Briefe und deshalb auch praktisch. Dann stieß sie auf das Wort Cyberfeminismus, das 1992 unabhängig von einander Sadie Plant und die australische Künstlerinnengruppe VNS Matrix erfunden hatten. Sofort war Sollfrank fasziniert, denn der Begriff klang neuartig und zukunftsorientiert. Außerdem fand sie nach ihren Lila-Latzhosen-Jahren, es sei Zeit für einen neuen Feminismus, in einem neuen Medium. Damals war der Begriff weitgehend inhaltsleer und nur ein anspruchsvoll klingendes Versprechen auf eine neue Frauenbewegung.
Inzwischen hat es zahlreiche Versuche gegeben, „Cyberfeminismus“ zu definieren und mit frauen-, gesellschafts- und sonstigen politischen Zielen anzureichern. Zum Beispiel: „Cyberfeminismus ist eine vielversprechende neue Welle (post)feministischen Denkens und Handelns“ (Faith Wilding und das Critical Art Ensemble). Oder: „Cyberfeminismus ist eine ideologische Spekulation, die uns als Medium dient, um aktuelle kulturelle Veränderungen und historisches Erbe zu betrachten und einzuordnen (Alla Mitrofanova). Oder: “Es gibt nicht länger nur einen Cyberfeminismus, sondern es gibt jetzt viele Cyberfeminismen, weil er wächst und mutiert und von einer steigenden Zahl digitaler Gruppen adaptiert wird“ (Julienne Pierce, VNS Matrix).
Sollfrank gefällt dieser Schwebezustand. „Die Leute sollen das Wort benutzen, sich fragen, was Cyberfeminismus ist, und den Begriff selbst mit Inhalt füllen“, sagt sie. „Cyberfemnismus ist nichts außer dem, was man daraus macht“. Ein abstrakter, postmodern klingender Begriff, dessen Inhalt genauso wenig materiell greifbar ist wie die Internetwelt und der trotz aller Definitionsversuche und Einordnungen so weiß und jungfräulich erscheint wie bei seiner Erfindung – genau das ist der Stoff, aus dem Sollfrank Kunst produziert. Die Imitation und ironische Variation von Formaten wie Werbung und Katalog ist immer ihr Lieblingsthema gewesen. Die Form, die Oberfläche ist alles, der Inhalt ist austauschbar schon deswegen, weil die Welt sich so schnell verändert, dass es sich kaum noch lohnen würde, sich auf irgend etwas festzulegen.
So hat Sollfrank auf die OBN-Webpage eine fiktive Umfrage der Künstlerin Helene von Oldenburg gestellt zum Thema „Was ist Cyberfeminismus?“ Die Antworten: „Sieben Prozent geben an, es jeden Morgen zu machen, vierzehn Prozent glauben, es handele sich um eine Damenbinde, einundzwanzig Prozent denken, es ist eine Krankheit, die gemeinsam mit BSE übertragen wird. „Das ist wenig erhellend, aber die Statistik steht für ein wesentliches Merkmal von Sollfranks Ideen: Ihr geht es nicht nur um Cyberfeminisimus, als virtuelles Gesamtkunstwerk, das praktischerweise auch als globales Künstlerinnen-Netzwerk nutzbar ist, sondern um die gleichzeitige Zerlöcherung und Aushöhlung des Begriffs durch die subversive Kraft der Ironie.
Während ihres Studiums an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste gründete sie mit neun Kommilitoninnen das fiktive Institut „Frauen und Technik“, das die Künstlerinnen so offensiv vermarkteten, als wäre es real. Sie produzierten Promotion-Artikel wie Feuerzeuge und Kugelschreiber, und sie erregten mit ihrem inhaltslosen Institut so viel Aufsehen, dass sie sogar zum Kunstfernsehen der Documenta 1992 eingeladen wurden. Dort präsentierten sie „Penisneidspiele“ mit Live-Kamera und geteiltem Bildschirm, was damals technisch ziemlich vorneweg war. Zum Abschluss der Aktion annoncierten sie, der Name „Frauen und Technik“ stehe zum Verkauf. „Sie kennen den Preis der Technik, Sie wissen, dass Frauen teuer sind“, hieß es in der Anzeige. Zu teuer offenbar, denn niemand gab ein Angebot ab.
Die Gruppe brach auseinander: Sie war mit zehn Frauen zu groß und zu schwerfällig. Sollfrank schloss sich mit drei der Künstlerinnen zu den „-Innen“ zusammen. Sie entschieden von Anfang an: Zu feministischen Themen wird nie Stellung genommen, einfach deshalb nicht, weil die -Innen fürchteten, dann zu jedem Feminismus-und-Kunst-Anlass automatisch befragt zu werden. Bei ihren Performances traten die vier -Innen verwechselbar in identischen Kostümen und Perücken auf, schrieben sinnlose mathematische Formeln an die Tafel oder machten Fernsehsendungen mit dem Titel „Narzissmus in den Medien“.
Es war eine Parodie auf die Leere vieler Fernsehprogramme, auf das hochtrabende Nichts der Medientheorie. Die Aktionen waren witzig, aber nicht unbedingt politisch und schon gar nicht frauenpolitisch. Zur Cebit 1996 nahmen sie sich schließlich doch ein feministisches Thema vor: „Neue Medien – alte Rollen“. Zur Männer-Computermesse, hatten die -Innen aus informierten Kreisen gehört, würden zweitausend Prostituierte eingeflogen. Daraufhin verkleideten sich die Künstlerinnen als Messehostessen und verteilten Fragebögen auf Mauspads: „Hat Ihnen Ihr Computer jemals einen Orgasmus vorgespielt?“ hieß es darin, zum Beispiel. Amüsiert bis sauer hätten die Männer reagiert, sagt Sollfrank, einige wollten den Fragebogen sogar ausfüllen und zurückgeben. Die -Innen waren zufrieden: „Die Männer sollten nur fünfzehn Sekunden bis eine Minute über ihr Rollenverständnis nachdenken.“
Im Jahr zuvor war Sollfrank auf einer Medienkonferenz gewesen. Bis dahin hatte sie ihren Apple-Computer nur benutzt, um Texte zu schreiben und E-Mails zu verschicken. „Ich war drei Tage dort, und das hat mein Leben verändert“, erzählt Sollfrank. Sie hatte sich mit dem Cyber-Virus infiziert, auch wenn ihr noch nicht genau klar war, wie sie das neu entdeckte Medium künstlerisch nutzen sollte. Ab sofort begann sie, mit Bekannten aus aller Welt zu kommunizieren und im Netz zu surfen.
Mit Computern selbst kannte sie sich damals schon gut aus, denn ihren Lebensunterhalt verdiente sie damit, für „Philips Media“ Computerspiele und Lernprogramme zu testen und zu vermarkten. Die Ironie dieser Karriere sei gewesen, erklärt Sollfrank, dass sie nun im wirklichem Berufsleben genau das tat, was sie vorher in ihrem Kunstleben parodiert hatte: Promotion, Werbung, Verkaufsförderung.
Als Philips Media nach Frankfurt umzog, kündigte Sollfrank. Sie wollte zurück in die Kunst und vorwärts in den Cyberspace. Mit Hilfe eines DAAD-Stipendiums recherchierte und schrieb sie in New York eine Studie über Netzkunst in den USA. Zwar kehrte sie 1997 nach Deutschland zurück, aber seitdem ist sie dauernd unterwegs. Nicht nur virtuell im Netz, sondern ganz real reist sie von einer (Cyber-)konferenz zur nächsten: London, Ljubljana, Budapest, Amsterdam, Sydney, St. Petersburg... „Netzwerke aufzubauen, ist ein wesentlicher Bestandteil meiner Kunst“.
1997 gestaltete sie beim „Contemporary Media Laboratory“ der Documenta in Kassel im „Hybrid Workspace“ einen zehntägigen Block. Erst war sie nicht so begeistert gewesen, weil es kein Geld gab, dann aber „kam mir Cyberfeminismus in den Sinn, und ich dachte, das ist eine tolle Möglichkeit, die interessanten Frauen einzuladen und ihre Arbeit vorzustellen“. Jede der Künstlerinnen bekam die Aufgabe, den Begriff „Cyberfeminismus“ zu definieren. Zu der Aktion reiste sogar Julienne Pierce von VNS Matrix aus Australien an, auch Alla Mitrofanova aus Sankt Petersburg, die dort vor Jahren einen Cyberfeministinnen-Club gegründet hatte.
Global denken, global handeln: Das ist das Motto der Feministinnen im virtuellen Raum. Sollfrank geht es – wie den anderen Cyberfeministinnen – darum, dass Frauen sich weltweit an der Hand fassen, kommunizieren, ihre Arbeiten austauschen und sich unterstützen. Denn das Internet sei für Frauen der ideale Weg, sich unkompliziert zusammenzuschließen und sich zu unterstützen. „Die Frage ist heute“, sagt Sollfrank, „wie verändert die neue horizontale Struktur des Netzes die alte vertikale Machtstruktur?“ Ihre Antwort lautet: Die Zukunft ist femail.
Allerdings muss vorher noch das Problem gelöst werden, dass Frauen eine viel größere Scheu vor Computern haben, als Männer. Es gibt so gut wie keine weiblichen Hacker und die wenigsten Frauen sitzen freiwillig stundenlang vor dem Bildschirm, um ziellos im Internet herum zu surfen. Es war daher eine große Überraschung, als sich 1997 am „Extension“-Wettbewerb für Netzkunst der Hamburger Kunsthalle doppelt so viele Frauen wie Männer beteiligten. Ganz stolz waren die Veranstalter drauf. Erst kur vor der Pressekonferenz, bei der die Preisträger bekannt gegeben werden sollten, bekannte sich Cornelia Sollfrank dazu, einhundertsiebenundzwanzig Einsenderinnen erfunden zu haben. Deren Kunst bestand aus Datenschnipseln die html-Suchmaschinen im Internet zusammengesammelt hatten. Niemand in der Jury hatte Anstoß an diesen sinnlosen Werken genommen. Den Wettbewerb gewannen drei Männer, aber Sollfrank war trotzdem ganz zufrieden, eine offenbar inkompetente Jury und eine Institution vorgeführt zu haben, „die sich Netzkunst nur deshalb unter den Nagel reißen will, weil sie gerade so gehypt wird“. Das fröhliche Fälschen von Tatsachen und Dokumenten nennt sie seitdem „Female Extension“ (http://artwarez.org/projects/femext).
Sollfranks neuestes Werk ist eine Cyberfeminismus-Werbung. Drei Videoclips hat sie aus Science-fiction-Filmen, Werbespots und Musikvideos zusammengeschnitten. Es sind rasend schnelle (und vermutlich von Männern produzierte) Bilder, die sie mit Musik unterlegt hat. Am Anfang jedes Clips erscheint das Wort „Cyberfeminism“; mehr Text gibt es nicht.“ Indem ich diese bekannte Ästhetik zitiere, will ich die Leute dazu bewegen, sich mit einem Begriff auseinanderzusetzen, der ihnen fremd ist“, sagt Sollfrank.
Neulich hat eine Frau sich bei ihr dafür bedankt, dass sie den Cyberfeminismus erfunden habe, auch wenn die Frau immer noch nicht recht wusste, was das nun eigentlich sei. Aber egal: Zumindest für Sollfrank selbst ist die Arbeit im virtuellen Raum ein echter Promotion-Erfolg.
Susanne Weingarten und Marianne Wellershoff, in: Die widerspenstigen Töchter. Für eine neue Frauenbewegung, Köln, 1999. Seite 127 bis 132