Ein Künstlerinterview mit Cornelia Sollfrank von Jesper Petzke.
Veröffentlicht in OPAK #6, August 2010
Frau Sollfrank, Sie sind sowohl Künstlerin, Kunstwissenschaftlerin als auch Aktivistin. In welcher dieser Funktionen möchten Sie zu dem Thema Aneignung befragt werden?
CS: Ich kann diese „Funktionen“ nicht von einander trennen; zu meinem Kunstbegriff gehört politisches Engagement ebenso wie theoretische Verortung, insofern habe ich kein Problem damit, mich (ausschließlich) als Künstlerin zu bezeichnen.
Wie beschreiben Sie selbst Ihre künstlerische Praxis?
CS: Ich sehe mich als denkende und forschende Künstlerin und habe den Anspruch, mit meiner Arbeit die Welt nicht nur zu interpretieren, sondern sie auch zu verändern – dazu gehört es, die Kunst zu verändern. Ein Teil meiner Arbeit, die innerhalb des Kunstbetriebs stattfindet, ist deshalb institutionskritisch und sucht nach künstlerischen Formen, die Institution Kunst auszuloten und aufzuzeigen, wie sie funktioniert und wo ihre Grenzen liegen. Beispiel dafür ist „Female Extension“ [http://www.artwarez.org/46.0.html] oder der „net.art generator“ [http://nag.iap.de], ein sehr leicht zu bedienendes Computerprogramm, das nach der Eingabe eines Titels online ein neues Kunstwerk generiert. Grundsätzlich kommen in diesem Arbeitsbereich künstlerische Verfahren wie Wiederholung, Aneignung und Reproduktion zur Anwendung, die die Frage nach dem Original obsolet werden lassen. In einem weiteren Arbeitsbereich geht es mir darum, der Kunst neue Formen und Wirkungsbereiche zu erschließen. Unter dem Motto „The mode is the message | the code is the collective“ können das z.B. Formen der Organisierung sein, die ich dann als ästhetische Form auffasse. Ein Beispiel dafür ist die Aktion „TammTamm – Künstler informieren Politiker“, bei der 121 Hamburger KünstlerInnen jeweils einen Abgeordneten der Bürgerschaft adoptiert haben, um mit ihm/r über das umstrittene Maritime Museum im Rahmen einer persönlichen Begegnung zu diskutieren. Bei dieser Art von Projekten mache ich einige Setzungen, aber der Raum, der dadurch eröffnet wird, entwickelt seinen Sinn erst durch die anderen Mitwirkenden.
Ihre Aktionen erscheinen oft wie Hacks und haben auch sonst bemerkenswert viele Querverbindungen zur Computerwelt. Warum eine Vermengung gerade dieser beiden Systeme?
CS: Das ist keine wirkliche Vermengung, sondern es ist die gleiche Methode, die einfach in unterschiedlichen Zusammenhängen zur Anwendung kommt. Grundlage ist das Denken in Systemen. Es ist eine Art, die Welt zu ordnen, Erkenntnis zu gewinnen. Und womöglich steckt die Annahme dahinter, dass das autonome Subjekt gar nicht so autonom ist, sondern Teil einer größeren Ordnung. Nur wenn ich diese Ordnung begreife, habe ich die Möglichkeit, ihr – bewusst – zu entrinnen oder ihr etwas entgegenzusetzen! Außerdem ist es immer eine Herausforderung, die Schwachstelle eines Systems zu finden, den Punkt, an dem man eindringen kann – was das System als solches erst sichtbar werden lässt.
In den letzten Jahren kreist Ihre Arbeit zunehmend um den Begriff des geistigen Eigentums.
CS: Ich beschäftige mich hauptsächlich mit Urheberrecht, was eine besondere Form des geistigen Eigentums ist – wenn man diesen irreführenden Begriff überhaupt benutzen will. Eigentlich geht es um Rechte an immateriellen Gütern, die mit „Eigentum“ nichts zu tun haben.
Wie sind sie auf dieses Thema gestoßen?
Durch eine Zensurerfahrung. 2004 wurde mir in der Schweiz von den Veranstaltern eine lange geplante Einzelausstellung abgesagt mit der Begründung, dass die Werke, die ich zeigen wollte, gegen das Urheberrecht verstoßen würden.
Wie sieht Ihre Beschäftigung mit dem UrhG konkret aus und wie hat sich Ihr Interesse daran über die Zeit gewandelt?
CS: Ich betreibe künstlerische Forschung – mit Anbindung an eine Universität –, die sowohl theoretische Studien als auch künstlerische Experimente umfasst. Ein Beispiel dafür ist die Werkreihe „This is not by me“, in der ich die berühmten Warhol Flowers für eine Fallstudie benutze, in der ich künstlerische und juristische Logik miteinander konfrontiere. Nach der Bearbeitung meiner ersten Fragestellung, nämlich, ob das UrhG tatsächlich künstlerische Produktion stimuliert oder diese nicht vielmehr behindert – wie in meinem Fall – wurde mir deutlich, dass die Einschränkungen, die die Kunst erfährt, einen Kollateralschaden darstellen. Das UrhG steht zusammen mit dem Marken- und Patentrecht im Zentrum der Knowledge Economy. Der Zweck dieser Rechte ist es, sicher zu stellen, dass immaterielle Güter als Waren global vermarktet werden können. Gleichzeitig erlauben digitale Distributionstechnologien das massenweise Kopieren von Dateien ohne Berücksichtigung des Urheberschutzes, d.h. das Urheberrecht unterliegt einem Durchsetzungs- und Kontrolldefizit wie nie zuvor. Und hier kommen die Künstler ins Spiel, denn sie müssen herhalten, um eine Verschärfung der Gesetze und deren striktere Handhabung zu rechtfertigen. Dabei ist es mehr als deutlich, dass es hierbei nicht um ihre Interessen geht, sondern um die der Verwerter, der Film- und Musikindustrie, der Softwareunternehmen und Verlage. KünstlerInnen werden in diesem Diskurs benutzt und missbraucht.
In Ihrer Promotion über UrhG und ästhetische Theorie beschreiben Sie das UrhG als zentrale Säule der Institution Kunst. In wie fern haben die beiden Konzepte sich gegenseitig beeinflusst und die Institution Kunst, wie wir sie heute kennen, herausgebildet?
CS: Das UrhG, wie wir es heute kennen, hat seinen Ursprung im ausgehenden 18.Jahrhundert, der Zeit, in der auch die ästhetische Autonomie, also die – noch immer verbreiteten – Vorstellungen von Autorschaft und originalem Werk geprägt wurden. Die beiden Systeme entwickelten sich in gegenseitiger Abhängigkeit. Erste Konflikte tauchten auf, als sich die Kunst im 20. Jahrhundert erweiterte und Verfahren der Aneignung wie Collage, Cut-up, Appropriation Art oder auch Konzeptkunst etc. einen Kunststatus beanspruchten ohne in das enge Raster von Original und Autorschaft zu passen. Jetzt, im 21. Jahrhundert, hat sich das UrhG weiter entwickelt und eine andere Funktion bekommen: Es regelt und schützt nicht mehr künstlerische Produktion, sondern einen globalen Markt und wird zunehmend eine Bedrohung für die Freiheit der Kunst.
Verfolgen Sie eine konkrete Zielsetzung?
Zugegebenermaßen faszinieren mich die zunehmend paradoxen Situationen, die aus dem Wechselverhältnis von UrhG und Kunst entstehen. Wenn ein Recht, das künstlerische Arbeit fördern soll, diese eigentlich mehr behindert, tun sich viele Fragen auf, die weit über die Kunst hinaus gehen. Aber es gibt auch Anlass, zu fragen, welche Rolle spielen wir, die KünstlerInnen, in diesen aktuellen Entwicklungen? Die Diskussion um das UrhG wird weit gehend von Juristen und Politikern dominiert; was fehlt sind aufgeklärte, emanzipatorische, künstlerisch-experimentelle Beiträge zu dem Diskurs – wenn wir nicht nur dumme Schafe sein wollen, über die nach Belieben verfügt wird.
Was glauben Sie, wie wird das UrhG sich in Zukunft entwickeln?
CS: Aufgrund des Drucks, das UrhG international anzupassen, wird es zu einem Bruch kommen mit der kontinental-europäischen Tradition, d.h. die Stellung des Künstlers wird geschwächt werden. Das UrhG wird wieder das ökonomische Regulativ, das es in seiner Anfangsphase im 16. Und 17. Jahrhundert war. Damals hatten nicht die Künstler Rechte an ihren Werken, sondern die Drucker, die die Werke vervielfältigen. Während ich zu Beginn meiner Auseinandersetzung mit Urheberrecht noch davon ausgegangen bin, dass es die KünstlerInnen sind, die das UrhG kritisieren und abschaffen wollen, halte ich es nun für wahrscheinlicher, dass das UrhG die KünstlerInnen abschaffen wird.
Wie reagiert die Institution Kunst, deren Kunstmarkt ja vom Geniebegriff lebt, auf Ihre Arbeit? Ist es vermessen, Ihre Hinwendung zur Theorie als künstlerische Strategie zu beschreiben, um den Mechanismen des Kunstmarkts zu entgehen?
CS: Der Kunstmarkt hat wenig Interesse an mir, weil ich mich weigere, Originale zu produzieren und das ist – auch noch in Zeiten unbegrenzter Reproduzierbarkeit – die Grundkondition des Kunstmarktes. Anders herum habe ich wenig Interesse am Kunstmarkt. Er misst Kunst einen Wert in Zahlen bei, der auch die allgemeine Wertschätzung von Werken beeinflusst. Da die meisten innovativen und wirklich interessanten Arbeiten aber nicht der Marktlogik entsprechen, geraten sie dadurch in einen Status des Außerhalb und geringerer Wertschätzung, während z.B. auf den Messen viel langweilige und irrelevante Kunst teuer angeboten und verkauft wird. So lange der Kunstmarkt von konservativen Kräften für ihre Kunstpolitik benutzt wird, d.h. dazu dient, einen antiquierten Kunstbegriff aufrecht zu erhalten, wird er für die KünstlerInnen, die mit zeitgenössischen Medien und Inhalten an einer Erweiterung des Kunstbegriffs arbeiten, eher hinderlich als nützlich sein. Trotzdem gibt es im Kunstbetrieb ausreichend Akteure – vor allem in kleineren Institutionen – die nicht nur an Warentausch, Objekten und Prestige interessiert sind, sondern auch Experimenten, Konzepten, Ideen etc. soviel Platz geben, dass die Entwicklung weiter gehen kann. Das sind die, mit denen ich gut und gerne zusammen arbeite. Mein zweites Standbein an der Universität ist mir auch wichtig, weil ich da gelernt habe, wissenschaftlich zu arbeiten und Kunst und Wissenschaft sich so optimal ergänzen können.
Ich habe Sie einleitend gefragt, in welcher Funktion Sie befragt werden möchten. Wenn wir mit unserem Gespräch im Hinterkopf das Künstlerinterview als Repräsentant des Geniebegriffs sehen: Wie haben Sie versucht, diesem Dilemma zu entgehen? Haben Sie es überhaupt versucht?
CS: Ein Künstler-Interview kann informativ sein und versuchen, einen Zugang herzustellen zur Arbeit, Hintergründe und Motivation erhellen, es kann aber auch von der Künstlerin dazu benutzt werden, sich selbst zu stilisieren oder zu verweigern... Außerdem ist immer Vorsicht geboten: Erstens wissen KünstlerInnen auch nicht alles über ihr Werk und wenn, benutzen sie sehr gern Interviews, um Falschinformationen zu verbreiten.
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