Cyberfeminist Ways of Getting Organized

Cornelia Sollfrank

 

Vortrag in der Rahmen der Reihe ‚FEMINIST STORIES – Strategien der Wiederaneignung’ kuratiert von Felicitas Reuschling, Vierte Welt, Adalberstr. 96, Berlin, 24.11.2015.

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In meinem Vortrag heute wird es um ein Projekt gehen, an dem ich maßgeblich beteiligt war, das Old Boys Network [1], die erste cyberfeministische Allianz. Dieses Netzwerk war von 1997 bis 2001 aktiv. Obwohl das Projekt in vielerlei Hinsicht als erfolgreich bezeichnet werden kann, kam es bei der Konferenz ‚very Cyberfeminist International’ (2001) in Hamburg zu unüberbrückbaren Kontroversen, die zum Ende der Zusammenarbeit führten. Als ich dann im Jahr 2013 – 12 Jahre später – von Prof. Judith Siegmund eine Einladung für die Frauenringvorlesung an der Universität der Künste (UdK) bekam, nahm ich diese zum Anlass, mit etwas Abstand über OBN nachzudenken. Ich möchte Judith Siegmund für diese Gelegenheit danken, mich rückblickend dem Old Boys Network anzunähern, um besser zu verstehen, was eigentlich geschehen war, aber auch mit dem Wunsch, diese Erfahrungen in einem größeren Zusammenhang verorten zu können. Dieser größere Zusammenhang ist die Frage der Selbstorganisation und insbesondere die Frage der Selbstorganisation im Kunstkontext –was sicherlich andere Dynamiken mit sich bringt als Selbstorganisation in rein aktivistischen Kontexten.

Der Udk-Vortrag von 2013 ist die Grundlage meines heutigen Vortrags. Wesentlich darin ist der Bezug auf einen Text von 1971, der inzwischen als Klassiker der Selbstorganisation gelten kann: ‚The Tyranny of Structurelessness’ von Jo Freeman. Diese Bezugnahme hat es mir ermöglicht, mich für den Rückblick auf meine eigene Geschichte auf die formalen Aspekte unserer Organisation zu beschränken. Was einerseits eine Einschränkung der Perspektive ist, brachte doch andererseits wesentliche Aspekte zu Tage, die mir bis dahin verborgen waren. Im Rahmen der heutigen Veranstaltung kann man diese Auseinandersetzung auch als „intergenerationelle Annäherung“ bezeichnen, in der mir klar wurde, dass wir als Vertreterinnen der jüngeren Generation ohne – oder mit zu wenig – Kenntnis der Vergangenheit und Geschichte zwangsläufig die Fehler unserer Vorgängerinnen wiederholen mussten.

Während ich in dieser Auseinandersetzung mit den Second Wave Feministinnen selbst der jüngeren Generation angehöre, ist es mir in der Zwischenzeit widerfahren, in der Begegnung mit jungen Künstlerinnen, selbst die Rolle der Vertreterin der älteren Generation einzunehmen. Ich befinde mich also in einer Art Mittelposition zwischen post 1968/ Second Wave und der Generation der jetzt um 30Jährigen, Third und Fourth Wave Feminism. Vielleicht können wir auf diesen Perspektivenwechsel in der gemeinsamen Diskussion später zusammen eingehen. An die Frage, welche Rolle für uns die feministischen Positionen der Second Wave Feministinnen spielte, müsste sich dann direkt die Frage anschließen, welche Rolle unsere Positionen für die nachfolgende Generation spielt. Gleichzeitig ist weder meine Auseinandersetzung mit dem 70er Jahre Feminismus noch die mit meiner eigenen Geschichte abgeschlossen; insofern freue ich mich auf die heutige Diskussion.

Das Old Boys Network war ein Netzwerk von Cyberfeministinnen, ein Projekt, in dem es um Kunst, Technologie und Gender ging. Dabei interessieren mich für das Reverse Engineering heute Abend im wesentlichen zwei Fragen: 1) Fragen der Struktur, der Organisation und der Organisierung und 2) die Frage, wie man OBN als Kunstprojekt verstehen kann. Die Antworten auf beide Fragen würde ich gerne zu einander in Beziehung setzen und mit Ihnen diskutieren.

 

1.              Eine kurze Beschreibung von OBN und seinen wichtigsten Aktivitäten

OBN steht für Old Boys Network und bezeichnete sich als erste internationale cyberfeministische Allianz. Gegründet wurde OBN 1997 in Berlin von Susanne Ackers, Cornelia Sollfrank, Ellen Nonnenmacher, Vali Djordjevic und Julianne Pierce. In den fünf Jahren seiner Existenz veränderte sich OBN personell immer wieder und entwickelte verschiedene Strukturen, die im Weiteren noch genauer dargestellt und diskutiert werden. Insgesamt waren etwa 180 Personen mit OBN assoziiert, zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlicher Intensität.

OBN wurde an einem realen Ort, hier ganz in der Nähe, im Medialab des Künstlerhaus Bethanien gegründet, von vier Frauen, die physisch anwesend waren und einer virtuell aus Australien zugeschalteten. Die virtuelle Kommunikation sollte eine wesentliche Rolle für OBN spielen, in Form einer Mailingliste und einer Website und gelegentlichen IRC chats, sowie das Zusammenwirken zwischen Treffen im Realraum und im Virtual Space. Deshalb nannte sich OBN auch eine ‚reale und eine virtuelle Koalition’ von Cyberfeministinnen (vgl. OBN website/FAQ). Das verbindende Moment der Koalition war der Begriff ‚Cyberfeminismus,’ zu dem ich gleich noch mehr ausführen werde. Das formulierte Anliegen von OBN war es, einen Beitrag zum kritischen Diskurs zu Neuen Medien zu leisten, unter besonderer Berücksichtigung von Genderaspekten. Auf der Website wird das Ziel von OBN wie folgt beschrieben: „Das Anliegen von OBN ist es, Räume zu schaffen, in denen Cyberfeministinnen forschen, experimentieren, kommunizieren und handeln können. Solche Räume sind z.B. ein cyberfeministischer Server, die <oldboys> Mailingliste und temporäre Treffen wie z.B. die internationalen Konferenzen. All diese Aktivitäten haben den Sinn, unterschiedlichen künstlerischen, theoretischen und politischen Ansätzen mit Bezug auf Cyberfeminismus eine kontextualisierte Präsenz zu verschaffen. Manchmal offensichtlich und manchmal eher mysteriös bestimmt OBN eine Agenda für Kommunikation, Intervention und Produktion.“ (Zitat FAQ der Website). Nochmals zur Verdeutlichung: das Datum dieser Äußerungen liegt nun 18 Jahre zurück, Frühsommer 1997! Obwohl OBN als Gruppe seit 2001 nicht mehr aktiv ist, gibt es immer noch die Website als eine Art Archiv. Hier taucht schon der erste strukturelle Aspekt auf: Wem gehört der Domainname? Wer kümmert sich um die Website und den Serverspace? Wer hat die Verantwortung dafür, die Daten zugänglich zu halten?

 

 

In den fünf Jahren, in denen OBN aktiv war, wurden in unterschiedlichen personellen Konstellationen drei internationale Konferenzen organisiert:

-       first Cyberfeminist International, documenta10, Hybrid Workspace (1997)

-       next Cyberfeminist International, Rotterdam, in Koordination mit n5m Amsterdam, Festival für taktische Medien (1999)

-       very Cyberfeminist International, Hamburg (2001) als Teil einer dreiteiligen von der EU geförderten Kollaboration zwischen dem Edith-Russ-Haus für Medienkunst in Oldenburg und dem Frauen.Kultur.Labor Thealit in Bremen, zu dem auch die Ausstellung Cyberfem Spirit (Helene von Oldenburg und Rosanne Altstadt) und das Symposium Technics of Cyberfeminism in Bremen (Claudia Reiche, Andrea Sick) gehörten.

 

Die Conference Proceedings mit den individuellen Beiträgen wurden in drei gedruckten Readern [2] publiziert. Zudem gab es zahlreiche Auftritte auf internationalen Festivals und Konferenzen sowie Beiträge von OBN zu Ausstellungen und Publikationen. (Wer genau an welchen Projekten beteiligt war, lässt sich durch die jeweiligen Dokumentationen auf der Website nachvollziehen). OBN-Beiträge meist in Form von Performances und Podiumsdiskussionen wurden realisiert bei dem International Performance Symposium Frankfurt, networking meeting (1999), auf dem Festival for Electronic Arts, Maribor (1999), next5minutes, dem Festival für tactical media Amsterdam (1999), der Ausstellung Mondo Immaginario, Shedhalle Zürich (1999), dem Symposium Dialoge und Debatten, einem internationalen Symposium zu feministischen Positionen in der zeitgenössischen Kunst auf dem Künstlerinnenhof Die Höge (2000), bei der internationalen Frauenuni, ifu (2000), in der Ausstellung net.condition im zkm Karlsruhe, oder der Informatica Feminale Bremen (2000). Diese Liste ist sicher nicht vollständig, aber sie gibt bereits einen Eindruck von den unterschiedlichen Feldern und Diskursen, an die sich OBN angeschlossen hat bzw. an die es angeschlossen werden konnte: Kunst (Medienkunst /Performance-Kunst), Medienaktivismus, feministische Wissenschaft, feministische Kunstkritik.

2.              Standortbestimmung der Sprecherin

 Was ich bisher über OBN gesagt habe, basiert auf Fakten, die als solche verifizierbar sind. Aber dabei soll es nicht bleiben; ich stelle mir bestimmte Fragen bzgl. OBN und um diese zu beantworten, muss ich beginnen zu analysieren und zu spekulieren. Dazu ist es notwendig, zu klären, wer da spricht. Obwohl ich das Projekt initiiert habe und an seinem gesamten Verlauf beteiligt war, erhebe ich keinen Anspruch darauf, dass es MEIN Projekt ist oder gar MEIN Kunstwerk. Ich bin mir im Klaren darüber, dass ohne die vielen Frauen, die das Projekt – in unterschiedlichen Phasen und mit unterschiedlich hohem Arbeitsaufwand und mit unterschiedlicher Verantwortung – mitgetragen haben, es OBN nicht gegeben hätte. Jede einzelne Mitwirkende hat mit dazu beigetragen, OBN zu dem zu machen, was es war. Was es allerdings war, darüber gehen die Einschätzungen weit auseinander, was nicht zuletzt die von OBN propagierte Vielstimmigkeit widerspiegelt und ebenso die disziplinären Folien vor denen das Projekt wahrgenommen wurde.

Handelt es sich dabei um eine politische Allianz oder doch eher um ein Kunstprojekt?

Nimmt man einmal an, dass es sich bei OBN um ein Kunstprojekt handelt, schieben sich zwei Fragen in den Vordergrund: 1) Wer hat OBN gemacht? Also die Frage nach der Autorschaft sowie 2) die Frage nach der ästhetischen Form. Mit der Autorschaftsfrage direkt verknüpft ist die Frage, wem das dadurch erwirtschaftete symbolische Kapital zugeschlagen werden kann/muss. Wie können Zuschreibungen stattfinden, die nicht verzerrend sind, wenn das Projekt selbst hybrid und schwer greifbar ist und selbst innerhalb des Projektes keine Einigkeit darüber bestand, wer welche Rolle spielt?

Wenn ich mir nun das Projekt im Nachhinein noch mal genauer ansehe, so tue ich das nicht, um es mir anzueignen, sondern vielmehr aus dem Bedürfnis heraus, bestimmte Dynamiken, die auch zum Ende von OBN geführt haben, besser zu verstehen. Dazu ist die Frage der Struktur von OBN wesentlich – sowie die unterschiedlichen Rollen, die die Organisationsform und deren Transparenz jeweils im Kontext von Politik oder Kunst spielen. Gleichzeitig wäre es naiv vorzugeben, dass die Rollenverteilung bei OBN offensichtlich, transparent oder gar formalisiert gewesen wäre. Diese genauer zu untersuchen, bedeutet auch, mir selbst und unseren blinden Flecken auf die Schliche zu kommen.

3.              Vorgeschichte und Bedingungen

Vorab auch noch einige rahmende Bedingungen, die meines Erachtens für das Entstehen von OBN eine wichtige Rolle gespielt haben. Nachdem Anfang der 1990er Jahre die technischen Bedingungen erlaubten, den Cyberspace, der bis dahin eine Science-fiction war in eine Alltagstechnologie zu überführen, häuften sich damit verbundene Dystopien aber auch Utopien, insbesondere mit Verweis auf die Ausbreitung nicht-linearer, dezentraler und unhierarchischer Organisationsstrukturen. Jeder sollte nun vom Empfänger zum Sender werden können. Die neue ‚Connectivity’ löste Phantasien in viele Richtungen aus und wurde insbesondere auch von Medienaktivisten für den Einsatz als taktisches Medium erprobt. Die Nähe zum Medienaktivismus brachte OBN die erste Einladung zum Hybrid Workspace ein [3], die OBN zum Anlass nahm, die first Cyberfeminist International in Kassel abzuhalten. Der Medienaktivismus-Szene, die stark von der männlich dominierten Hackerszene bestimmt war, begegnete OBN mit einem genderspezifischen feministischen Ansatz.

4.              Cyberfeminismus

Um es vorweg zu nehmen, eine, die eine Definition von Cyberfeminismus gab es 1997 nicht und es gibt sie auch heute nicht. Der Begriff hat eine Geschichte, in der er immer wieder in verschiedenen Kontexten für unterschiedliche Anliegen verwendet wurde. In einem Text von 1999 mit dem Titel „Die Wahrheit über Cyberfeminismus“ schrieb ich den Satz Create your own Cyberfeminism, and you will find out the truth about it.” (siehe www.obn.org).

Der Begriff Cyberfeminismus geht zurück auf die australische Künstlerinnengruppe VNS Matrix sowie die englische Kulturtheoretikerin Sadie Plant, die ihn unabhängig voneinander ca. 1992 zum ersten Mal verwendeten. Beide benutzen ihn unterschiedlich, letztendlich aber in einer ähnlichen Absicht, nämlich um eine enge Verbindung zu behaupten zwischen den damals neuen vernetzten Kommunikationstechnologien und Frauen. Damit warfen sie frühere technophobe feministische Techniktheorien über Bord und machten Technik für Frauen sexy. Diese frühe Nutzung des Begriffs löste ein weites Interesse aus und legte die Grundlage für alle weiteren darauf folgenden Aktivitäten in dem Bereich. Gleichzeitig ging mit diesem essentialistischen Verständnis sowohl vom Weiblichen als auch seiner möglichen Verbindung zur Technik eine Einschränkung des Potenzials einher.

Während Plant tatsächlich einen essentialistischen und technikdeterministischen Ansatz ausarbeitet, bei dem sich der Wandel in eine neue horizontal organisierte Gesellschaftsform quasi per Mausklick einstellt, kommen die poetischen Ergüsse aus und über den weiblichen Körper und seiner Verbindung zum Cyberspace bei VNS Matrix immer mit einem Augenzwinkern daher. Sie teilen mit Plant zwar die Beschwörung einer Feminisierung der digitalen Gesellschaft, doch genügte bereits ihr Versuch, die sterile Technik mit Blut, Schleim, Mösen und Wahnsinn zu kontaminieren, um mit seiner anarchischen Kraft den Mythos der toys for boys zu entweihen. Von beiden Ansätzen fühlten sich viele Frauen angesprochen, die endlich der Zuschreibung Mann=Technik und Frau=Natur entkommen wollten. Die Wirksamkeit des Begriffs besonders auch in seiner Frühphase kann deshalb gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Als ich meine Arbeit mit OBN und zu dem Begriff Cyberfeminismus begann, interessierten mich vor allem die Assoziationen, die er in der Lage war freizusetzen, weniger die konkreten bis dato entwickelten Ansätze. Zu der bereits bestehenden Ausdifferenzierung des Feminismus in wieder neue Feminismen gesellte sich der zusätzlich verwirrende Präfix ‚cyber’. Ich ging davon aus, dass er als Bezugspunkt dienen könne, um der Erneuerung des Feminismus neuen Schwung zu verleihen, vor allem bei jüngeren und anti-essentialistisch denkenden Frauen. Dabei fand ich den Politik-Begriff von Donna Haraway [4] höchst inspirierend, die den Begriff Cyberfeminismus selbst nie verwendete.

In Bezug auf Cyberfeminismus interessierte es mich weniger, einen neuen inhaltlichen Ansatz auszuarbeiten, als vielmehr, mit dem Begriff selbst und seiner Verwendung oder Anwendung zu experimentieren. Dazu bedurfte es eines größeren Kontexts. Ein Zitat von Joseph Beuys aus seinem Konzept "Büro für direkte Demokratie“ kam dabei meiner noch sehr vagen Idee sehr nahe: "Hauptsache es hängt ein Begriff an der Wand -- es ist fast egal welcher, die Leute müssen ihn nur irgendwie interessant finden. Dann funktioniert der Begriff und fungiert als Einstiegspunkt zu den eigentlichen Problemen." [5]

Die Elemente seines Rezeptes sind also 1. Ein Begriff 2. Eine Wand/ein gemeinsamer Raum 3. Mehrere Personen 4. Eigentliche Probleme und 5. etwas schwerer zu identifizieren: jemanden, der diese Situation herstellt, also einen Raum organisiert, in dem sich mehrere Personen treffen, um gemeinsam Probleme zu diskutieren und dazu als Einstieg einen bestimmten Begriff benutzen – in diesem Fall der Künstler Joseph Beuys. Der Begriff Cyberfeminismus hatte bei mir genau diese Idee ausgelöst: ihn als Anlass zu nehmen mit mehreren Personen in einem gemeinsamen Raum in eine Diskussion gemeinsamer Probleme einzusteigen. Der Rest ist Geschichte – die Geschichte von OBN.

Die Grundidee von OBN war es zuerst einmal die Bedeutung zurückzusetzen, so wie wenn man einen Reset-Button drückt, und die daraus resultierende Unklarheit als Ausgangspunkt für neue Handlungsfähigkeit zu setzen. Anstatt einer Definition und einer klar umrissenen Agenda öffneten wir Raum durch die Frage: Was ist Cyberfeminismus? Damit suggerierten wir, dass der Begriff als Projektionsfläche dient und vielfältige individuelle Phantasien, Wünsche und Konzepte möglich werden. Jede Person, die sich selbst als Frau bezeichnete, konnte einen Beitrag leisten, und es waren Frauen aus unterschiedlichen beruflichen Zusammenhängen, verschiedener Generationen, aber auch mit abweichenden politischen Vorstellungen, die diese Gelegenheit nutzten, um ihre künstlerischen, theoretischen oder aktivistischen Versionen von Cyberfeminismus zu schaffen. OBN verwandelte den Cyberfeminismus in ein pluralistisches Konzept, das nicht zuletzt vom postmodernen feministischen Denken beeinflusst war und daher einen Schwerpunkt eher auf Differenz als auf Gleichheit legte.

In unserem Mission Statement schrieben wir: With regard to its contents – the elaborations of 'cyberfeminisms' – our aim is the principle of disagreement!” (vgl. www.obn.org). Die Bandbreite der Beiträge reichte von Freier Software, digitalen Bürgerrechten, Privacy und Sicherheitsaspekten, Arbeitsbedingungen im Hardware-Sektor, immaterielle Arbeit, den Implikationen des militärisch-medizinischen Komplexes, Fragen der Repräsentation (im Cyberspace), hacking als Methode, Hardware hacking, künstlerische Spionage, dem Schaffen von Safe Spaces, wie z.B. Mailinglisten, dinner parties und workshops, feministische Beiträge zur Technikgeschichte, künstlerischer Umgang mit Daten wie DJing und remix, zahlreiche theoretische Arbeiten, künstlerische Experimente zur Idee des digitalen Körpers, Cybersex, Games-Entwicklung, aber auch der Förderung von Frauen in der IT-Branche. OBN baute die Räume und kreierte die Situationen, in denen die verschiedenen Ansätze vorgestellt, konfrontiert und diskutiert werden konnten und stellte damit sowohl Bühne als auch rahmenden Kontext zur Verfügung.

5.              OBN: eine Strukturgeschichte

Die folgende Geschichte von OBN wird sich nicht mit den unterschiedlichen inhaltlichen Ausführungen zu Cyberfeminismus beschäftigen; was mich vielmehr interessiert, ist noch mal nachzuvollziehen, wie aus einer Idee eine Organisation wurde, welcher Art diese Organisation war, wie diese Struktur OBN zu einem Erfolg gemacht und gleichzeitig für seinen Niedergang verantwortlich war.

5.1.         first Cyberfeminist International

OBN wurde gegründet, nachdem die Einladung zur documenta bereits ausgesprochen war. Die fünf Gründungmitglieder von OBN beschlossen gemeinsam die erste Konferenz in Kassel zu veranstalten und veröffentlichten einen Open Call. Unter dem Motto „Targetting Content: Cyberfeminism“ wurden eXXperts aufgefordert, nach Kassel zu kommen und vorzustellen, was Cyberfeminismus ihrer Meinung nach sein sollte. Es gab keine inhaltlichen Beschränkungen und die geringen Mittel, die von der documenta zur Verfügung gestellt waren, wurden genutzt, um die über 30 Teilnehmerinnen zusammen zu bringen. Honorare gab es keine weder für die Gäste noch für die Organisatorinnen. Also eine Art selbst-organisierter, semi-kuratierter Content, der auf einer der renommiertesten Ausstellungen für zeitgenössische Kunst einen Arbeitsraum und eine Bühne bekam. Das war das Grundkonzept des von Klaus Biesenbach, Hans Ulrich Obrist und Nancy Spector konzipierten Hybrid Workspace, die Geert Lovink und Pit Schultz beauftragt hatten, 10 Gruppen einzuladen, die dann jeweils 10 Tage im Hybrid Workspace, dem Erdgeschoss der Orangerie in der Karlsaue arbeiten konnten. OBN war eine dieser Gruppen; eine Gruppe, die sich Netzwerk nannte, und von der unklar war, ob nun alle neu dazu gekommenen Cyberfeministinnen automatisch zu OBN gehörten; einige fühlten sich zugehörig, andere nicht; diese Frage wurde weder diskutiert, noch geklärt.

Es herrschte Aufbruchstimmung, alle hatten einen Beitrag leisten können, inhaltliche Konfrontationen ergaben sich nicht, stattdessen einigte man sich mit einem gemeinsamen Manifest das Treffen zu beenden, den ‚100 Anti-Theses’, die beschrieben, was Cyberfeminismus nicht ist. Später sollte dieses von OBN gezeichnete Manifest Eingang finden in die Kunstgeschichte, so z.B. in die Anthologie das XX. Jahrhundert – Ein Jahrhundert Kunst in Deutschland, „Die Lesbarkeit der Kunst“, herausgegeben von den Staatlichen Museen zu Berlin, Preussischer Kulturbesitz, Kunstbibliothek (1999). Die Kunsthistorikerin Verena Kuni bezeichnete das Manifest in einem Text von 2002 als Parodie auf die Selbsterklärungs-Rhetorik wie sie für Manifeste üblich sei. Im Prinzip signalisiert das Manifest aber die Einigkeit von OBN, d.h. hier der Konferenz-Teilnehmerinnen, keine Definitionen des Begriffes Cyberfeminismus zu liefern, keine allgemeingültigen Statements zu machen, und stattdessen individuelle Ansätze gleichwertig nebeneinander zu stellen.

Direkt nach der Konferenz kam es zu personellen Veränderungen, da zwei der Gründungsmitglieder OBN verließen, Ellen Nonnenmachen und Vali Djordjevic. Die drei verbliebenen Old Boys formierten dann mit fünf neu hinzugekommenen (Claudia Reiche, Helene von Oldenburg, Yvonne Volkart, Verena Kuni, Faith Wilding) erstmals die sog. Kerngruppe. Die Kerngruppe erklärte sich zuständig für organisatorische und administrative Aufgaben und sah sich als Nukleus des weltweiten Netzwerks assoziierter Mitglieder. Für die Ausführung der notwendigen Arbeiten standen keinerlei finanzielle Mittel zur Verfügung. Nach der Konferenz in Kassel bekam ich einen Lehrauftrag an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg zum Thema Cyberfeminismus. Eineinhalb Jahre später gab ich die gesammelten Beiträge der Konferenz mit einigen Ergänzungen als gedruckten Reader im Selbstverlag heraus.

5.2.         next Cyberfeminist International

Auf Einladung der Organisation TechWomen in Rotterdam wurde eine zweite Konferenz in Rotterdam geplant. Wieder standen nur sehr geringe Mittel von der Behörde für die Gleichstellung der Frau in Hamburg zur Verfügung, die lediglich für Reisekosten und Unterbringung ausreichten. Die Core-group hatte erneut einen Open Call versendet, allerdings wurden die Beiträge diesmal in vier thematische Blöcke zusammengefasst, d.h. es wurden inhaltliche Bündelungen erarbeitet und jeweils zuständige Moderatorinnen vereinbart. Es gab ca. 25 aktive Teilnehmerinnen.

 

Die Konferenzteilnehmerinnen begaben sich im Anschluss direkt nach Amsterdam, um an der Konferenz für taktische Medien, n5m, teilzunehmen, wo OBN auch im Rahmen einer Podiumsveranstaltung für die vorangegangen Cyberfeminismus-Konferenz berichten sollte. Die Frage, die sich hier stellte, sollte OBN noch lange beschäftigen, nämlich wer kann für OBN sprechen, wie kann man ein Netzwerk angemessen repräsentieren. Zu der Zeit waren die Mitglieder von OBN, in diesem Fall der Kerngruppe, bereits zu der Erkenntnis gekommen, dass es eine Art Regelwerk braucht, einerseits um die Organisation funktionsfähig zu halten, andererseits auch um eine gewisse Transparenz nach außen darzustellen. Das Leitmotiv war „The Mode is the Message — the Code is the Collective“ und sollte in etwa ausdrücken, dass wir uns über Repräsentationsstrukturen bewusst Gedanken machen und es z.B. nicht möglich ist, dass eine Person für die Gruppe spricht. Das Wie von OBN sollte die Botschaft sein. Es wurde, wiederum in der Kerngruppe und nicht im breiteren Netzwerk, die Vereinbarung getroffen, dass OBN von mindestens drei seiner Mitglieder vertreten werden müsse, die alle die gleichen Präsentationsbedingungen, z.B. Redezeit erhalten und auf die gleichen Fragen jeweils ihre eigene Antwort geben sollten. Dies sollte die von OBN gepflegte Vielstimmigkeit und das erklärte Ziel „das Prinzip des Dissens“ zum Ausdruck bringen. Dieses Format wurde bei allen öffentlichen Auftritten von OBN im Wesentlichen eingehalten.

Inhaltliche Unstimmigkeit hatte ihren Platz innerhalb einer genau festgelegten strukturellen Ordnung. Verstöße gegen diese Ordnung sowie daraus resultierende Maßnahmen waren nicht vorgesehen. Eine Festlegung darüber, wie die drei jeweiligen Vertreterinnen im Fall einer Einladung zu bestimmen seien, gab es nicht.

 

Eine weitere Regel, die auch noch auf der Website im FAQ einzusehen ist, war z.B. dass jedes Mitglied von OBN sich als „Frau“ bezeichnen musste, unabhängig vom biologischen Geschlecht – das galt für das gesamte Netzwerk. Des weiteren war festgelegt, das „die Funktionen der Organisation und der Ausführung der Arbeit sowie die Verantwortlichkeit für die Arbeit von allen geteilt würde und dass es keinen Chef gäbe. Dies galt wiederum nur für die Kerngruppe, da sie es war, die die organisatorische und administrative Arbeit leistete. Es heißt aber auch, dass es innerhalb dieser Gruppe keinerlei Rollenverteilung, Delegation oder bestimmte Verantwortlichkeiten gab, was sich in dem „Collective“ in „the Code is the Collective“ ausdrückt. Kollektiv verstanden als durch gemeinsame Arbeit miteinander verbunden, nach den Grundsätzen der Gleichheit und der Gleichberechtigung. Ein Modus der Entscheidungsfindung innerhalb des OBN-Kollektivs, das letztendlich identisch war mit der Kerngruppe, wurde nicht festgelegt, also z.B. Konsens-Entscheidung oder Mehrheitsentscheidung.

Nochmal zusammenfassend: das Modell war, dass die Formentscheidung für alle verbindlich war, also Konsens herrschen musste, Dissenz in Bezug auf Inhalt aber möglich war. Die Kerngruppe hat Regeln aufgestellt, die teilweise nur sie selbst betraf, teilweise das gesamte Netzwerk (ohne dieses einzubeziehen). Am Wesentlichsten erscheint mir die Tatsache, dass trotz der Aufmerksamkeit für Struktur, sowohl die Entscheidungsmodi innerhalb der Core-group wie auch das Verhältnis von Kerngruppe und breiterem Netzwerk, was die Setzung der Regeln betrifft, niemals thematisiert wurden.

Das Modell der „mindestens drei verschiedenen“ sollte bei der n5m-Konferenz in Amsterdam nicht angewendet werden. Drei zu bestimmen, die OBN hätten vertreten sollen, wenn über 20 anwesend waren, hätte erneut einer Diskussion über ein Entscheidungsverfahren bedurft, z.B. einer Wahl. Stattdessen wurde beschlossen, diesmal von allen Konferenzteilnehmerinnen, dass alle, die wollten, auf das Podium konnten, und die regulierende Struktur ein durch eine Tonbandstimme vorgegebener 5-Minuten-Takt sein sollte. Inhaltliche Ausführungen wurden so ständig unterbrochen, die Aufmerksamkeit wurde verschoben von den Inhalten hin zur Form der Präsentation, dem Wie – der eigentlichen Botschaft von OBN.

Nach der zweiten Konferenz gab es eine weitere Umstrukturierung, deren Inkrafttreten ich aber zeitlich nicht mehr genau nachvollziehen kann; sie bestand darin, dass sich die Kerngruppe selbst abschaffte und diese durch mehrere Projektgruppen ersetzte. Die genauen Beweggründe für diese Entscheidung kann ich nicht mehr nachvollziehen, denke aber es hängt damit zusammen, dass sich die Arbeit häufte, die Projekte zahlreicher wurden und nicht alle in der Kerngruppe mit allen Projekten gleichermaßen belastet sein sollten. Außer-dem konnten so auch Nichtmitglieder der Kerngruppe in Projektarbeit eingebunden werden.

Eine Projektgruppe musste aus mindestens drei OBN Mitgliedern bestehen, wobei nicht eindeutig definiert war, wer als OBN-Mitglied gilt und wer nicht; die jeweiligen Projekte mussten im Forum auf der Mailingliste zur Diskussion gestellt werden, ferner sollte regel-mäßig über den Verlauf berichtet werden. Entscheidungsfindungsmodi innerhalb dieser Gruppen wurden wiederum nicht festgelegt.

5.3.         very Cyberfeminist International

Eine Projektgruppe bestehend aus vier Personen, zu der ich auch gehörte, hatte sich bereit erklärt, 2001 eine dritte Konferenz in Hamburg zu organisieren. Diesmal sollte sie ordentlich finanziert sein und da es sich sowieso um ein Vernetzungsprojekt handelte, an dem auch viele Frauen beteiligt waren, die auch noch in anderen Projekten organisiert waren – sogar in verschiedenen Ländern, entstand die Idee, Förderung bei einem EU-Programm zu beantragen. Verbunden mit der Idee, das Funding auszubauen, war auch die Idee, nicht nur eine Konferenz in Hamburg abzuhalten, sondern die Anwesenheit der vielen Cyberfeministinnen aus der ganzen Welt dazu zu nutzen, begleitend eine Ausstellung und ein Symposium zu organisieren. Es fanden sich passende Partner-Organisationen für die Antragstellung im Ausland und aus juristischen Gründen wurde der OBN-Antrag über das Frauen.Kultur.Labor in Bremen gestellt, das sich mit großem Einsatz und Erfolg den bürokratischen Hürden stellte. Für die Ausstellung konnten wir eine Kooperation mit dem Edith-Russ-Haus für Medienkunst in Oldenburg eingehen und für das Symposium eine Zusammenarbeit mit dem Frauen.Kultur.Labor Thealit in Bremen. Als Gruppe von vier Frauen hatten wir nun drei verschiedene, relativ umfangreiche Projekt zu organisieren; dazu kam, dass eine der vier Frauen in Frankfurt lebt und nicht an Treffen vor Ort teilnehmen konnte.

Die Projektgruppe, die sich dazu verpflichtet hatte, die dritte Konferenz in Hamburg zu organisieren hatte keine Entscheidung darüber getroffen, wer für welches Zusatz-Projekt verantwortlich sein sollte, aber aus naheliegenden Gründen ergab es sich, dass Helene von Oldenburg zusammen mit der Leiterin des Ausstellungshauses die Ausstellung in Oldenburg kuratierte und Claudia Reiche zusammen mit dem Thealit das Symposium in Bremen. Gleichzeitig sollten alle an der Realisierung der Konferenz in Hamburg mitarbeiten, was sich als extrem schwierig herausstellte; zum einen konnte OBN auf keinerlei Infrastruktur zurückgreifen – und von der Anmietung eines geeigneten Raumes, über den Internet-anschluss, die Organisation der Reisen, der Unterbringung, bis hin zur Gestaltung der Events, der Einladungen, der Website, der Produktion der Poster sowie der Pressearbeit alles ohne Personal zu erledigen hatte, zum anderen waren die Kräfte meiner beiden Mitstreiterinnen vorwiegend in „ihren“ Projekten gebunden. Es stellte sich bei mir ein Gefühl totaler Überforderung ein, und als die Konferenz endlich begann war mir nur eins klar: so etwas will ich nie wieder machen.

Ich glaube, uns allen war nicht klar, welchen Arbeitsaufwand die Realisierung dieser Projekte bedeuten würde, und dass wir das in unserer personellen Aufstellung nicht wirklich leisten konnten. Da wir einen Großteil der Personalmittel des EU-Projektes dafür verwendeten Reisen aus Nicht-EU-Ländern zu finanzieren, blieb für Honorare wieder so gut wie nichts übrig, Arbeit bezahlt zu delegieren, daran war nicht zu denken. Da wir den Arbeitsaufwand nicht realistisch einschätzten, hatten wir es auch versäumt, weitere Old Boys in die Organisation einzubinden.

Auf der Konferenz selbst befand ich mich in einem Zustand kurz vorm Nerven-zusammenbruch, was sich für die sich entwickelnden Konflikte als wenig hilfreich erwies. Ich fühlte mich von meinem Mitstreiterinnen sehr im Stich gelassen, was zu meinem sicherlich überzogenen Gefühl führte, ich hatte alles alleine machen müssen. Dienst an der Sache, Serviceleistung für das Netzwerk. Gleichzeitig hatte mir einfach die Zeit und die Muße gefehlt, im Vorfeld des Treffens genauer darüber nachzudenken, welches mein inhaltliches Anliegen in Bezug auf OBN und Cyberfeminismus ist, wie mein Arbeitseinsatz mit meiner Vorstellung von OBN zusammenpasste, und wie ich das sinnvoll bei der Konferenz darstellen könnte. Als Künstlerin, die sich immer wieder in Selbstorganisation engagiert hat, hatte ich lediglich die immer noch vage Idee, meine Arbeit mit OBN und zum Cyber-feminismus als Kunstprojekt zu verstehen. (Dazu gleich noch mehr.)

Zuerst möchte ich noch die Strukturgeschichte von OBN zu Ende bringen: Aufgrund zahlreicher Unklarheiten, zahlreicher Missverständnisse und Unmutsäußerungen im Vorfeld der Konferenz in Bezug darauf, wer oder was nun jetzt eigentlich OBN sei, hatten wir für die Konferenz eine Selbstreflexions-Session eingeplant. Ich zitiere aus der Ankündigung:

 

Due to the underlying dynamics of networks there is a permanent need to clarify the changing organizational structure and the way that individual members see the network and their roles within it. It is important that members express their divergent ideas of structure and networking and develop them into a common structure which only can be the basis for networked action and reality. Using an open format, the past, the present, and the future goals of OBN will be discussed, and all kinds of utopian visions for OBN’s future will be aired. A next step will be to go beyond our own network, and to look at the condition and the potential of self-organized structures as an alternative to institutional forms within the art system, academia and politics, and discuss their relations and interdependencies.

 

Diese Session, die keine neutrale Redeleitung hatte und an der ca. 40 Frauen teilnahmen, endete im totalen Chaos und läutete das Ende von OBN ein. Viele der international angereisten Frauen konnten nicht genau einordnen, welche Rolle sie selbst innerhalb von OBN spielten und hatten Probleme mit dem Verhältnis zwischen dem internationalen Netzwerk und der kleinen, eigentlich lokalen OBN-Gruppe. Der Vorwurf stand auch im Raum, dass die Überbewertung der formalen Aspekte der Repräsentation z.B., also der „Modus“ in „the mode is the message“ zur politischen Inhaltslosigkeit von OBN beitrage. Es gab erhebliche inhaltliche Differenzen, für die es keine Form mehr gab sie zu bändigen. Im anschließend von zwei der Organisatorinnen herausgegebenem Reader wurden keine weiteren Konferenz-Papiere abgedruckt; es ging es nur noch darum, sich gegenseitig öffentlich fertig zu machen. Drama. Ende. Trauma.

 

6.              Konflikt zwischen politischer Selbstorganisation und (sozialer/politischer)        Kunst

6.1.         Politische Selbstorganisation

Wenn es um das Thema politische Selbstorganisation geht, ist es immer wieder erhellend, auf einen Text von Jo Freeman von 1970 zurückzugreifen. Jo Freeman ist Politikwissenschaftlerin und Anwältin, lebt in den USA, und war als Studentin in Berkeley sowohl in der Studentenbewegung als auch in der Civil-Rights-Bewegung aktiv. Ihre persönlichen Erfahrungen in diesen Protestbewegungen brachten sie dazu, sich für Feminismus zu engagieren; angeblich geht der Ausdruck Women’s Liberation Movement auf die zurück (Name einer Zeitung, die sie herausgab). Neben vielen Büchern und Hunderten von Texten hat Freeman vier Texte geschrieben, die zu Klassikern der Frauenbewegung geworden sind (alle Anfang der 1970er Jahre); diese Texte beruhen auf ihren Erfahrungen in der politischen Selbstorganisation. In dem Text ‚The Tyranny of Structurelessness’ (Die Tyrannei der Strukturlosigkeit) erklärt sie, dass es keine Gruppen ohne Hierarchie geben kann und wie die Idee, dass alle gleichberechtigt sind, letztendlich nur dazu dient, zu verschleiern, wie die Stärkeren in einer Gruppe eine unhinterfragbare Hegemonie über andere etablieren. Der Begriff Struktur bzw. Strukturlosigkeit ist dabei irreführend, denn eine Struktur und damit Hierarchie sind immer vorhanden. Lediglich sind diese Strukturen oft nicht offen gelegt und formalisiert. Sich keine eindeutigen Strukturen zu geben, würde die wahren Machtverhältnisse maskieren und von denen am meisten proklamiert, die am meisten Macht ausübten. In dieser Konstellation würden sich informelle Strukturen herausbilden, deren Mechanismen aber intransparent seien. Deshalb plädiert sie dafür, dass Strukturen explizit gemacht werden müssen, damit sichergestellt werden kann, dass jede gleichermaßen die Chance hat, sich einzubringen und nicht einige wenige Macht über die anderen ausüben, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen werden zu können.

Zu den wichtigen Aspekten, die formalisiert werden müssen, gehört zu allererst über Entscheidungsfindungsmechanismen zu diskutieren und abzustimmen (z.B. Mehrheit oder Konsens). Außerdem könnten nur die Personen von einer Gruppe zur Verantwortung gezogen werden, die ausdrücklich vorher von der Gruppe autorisiert worden seien (wenn Macht nicht formell erteilt wurde, kann sie auch nicht entzogen werden). Da es bei politischen Gruppen auch in erheblichem Maß darum ginge, öffentlich für die Gruppe zu sprechen, muss eine Entscheidung getroffen werden, in welcher Weise das geschehen soll. Die Wahl einer Sprecherin, z.B. in Rotation, sei eine Möglichkeit. Ansonsten könnten sich leicht Stars herausbilden, die in der Öffentlichkeit sprechen, ohne je dazu berufen worden zu sein. Ferner spricht Freeman die Rolle an, die freundschaftliche und Liebesbeziehungen innerhalb einer Gruppe einnehmen und kommt zu dem Schluss, dass die dadurch entstehende informelle Kommunikation auch zu Elitenbildung beiträgt. Gut sei an unstrukturierten Gruppen lediglich, dass die Schwellenangst geringer sei und jede einfach dabei sein kann, wenn es allerdings zu dem entscheidenden Punkt kommt, nämlich vom Reden zum Handeln überzugehen, seien klare Strukturen und Verantwortlichkeiten unerlässlich. Ansonsten würden zwar viele Gefühle generiert, die aber keine Ergebnisse zeitigten und schlimmstenfalls richte man seine Energien dann gegeneinander innerhalb der Gruppe. Als Grundprinzipien demokratischer Strukturierung nennt sie 1) Delegieren, d.h. bestimmt Personen sind für definierte Aufgaben verantwortlich; 2) Rechenschaftspflicht der Delegierten gegenüber der Gruppe; 3) die Verteilung von Macht auf möglichst viele; 4) Rotieren, so dass bestimmte Aufgaben nicht langfristig nur von einer Person ausgeführt werden; 5) Aufgaben entsprechend Können und Neigung verteilen und Anfängern Hilfestellung geben; 6) Informationen und Ressourcen teilen anstatt zurück zu halten. Nur so könne eine Gruppe bestimmen, wer innerhalb dieser Gruppe Macht ausübe. An dieser Stelle sei nochmal darauf hingewiesen, dass der Text in einem Moment entstand, in dem sich die Frauenbewegung veränderte und zwar als es darum ging, von kleineren lokalen Selbsterfahrungsgruppen eine Bewegung aufzubauen, die in der Lage sein sollte, große nationale Kampagnen zu betreiben. Freeman beschreibt es als den Moment, in dem man vom Reden hatte übergehen müssen zum Handeln.

Wie bereits erwähnt, hatte sich OBN, also die Kerngruppe, selbst ein Regelwerk gegeben, das die Aspekte der Organisation transparent machen sollte. Dabei vermischten sich aber Regeln, die für alle im Netzwerk Assoziierten galten und Regeln, die nur für die Kerngruppe galten (die „gefühlt“ auch nach ihrer formalen Abschaffung weiter bestand). Die Kondition der Mitgliedschaft war insofern geklärt, als dass es sich dabei um eine Person handeln musste, die sich „Frau“ nennt (gesamtes Netzwerk). Es gab aber keinen formellen Aufnahmeakt, was die Tatsache, ob sich nun jemand Frau nennt oder nicht auch wieder hinfällig machte. Wer einen Ansatz zum Cyberfeminismus entwickelte, war Cyberfeministin und wer diesen zu OBN beisteuerte, gehörte dazu, das sog. Aktivitätsprinzip (siehe FAQ/ Website). Die Regel vollständiger Arbeitsteilung, ohne Chef, d.h. ohne Hierarchie, umfasste keine Festlegungen darüber, wie Entscheidungen getroffen werden und wer, wofür zuständig sein sollte. Dass sich eigene Projektgruppen bilden konnten, suggerierte Freiraum für Initiative aller Mitglieder; dass sich niemand außerhalb der Kerngruppe tatsächlich dafür interessierte, zeigt m.E., dass sich das assoziierte Netzwerk nicht ausreichend einbezogen fühlte. Die Mitglieder außerhalb der Kerngruppe konnten an den Entscheidungen bzgl. der Struktur nicht teilhaben, sie konnten lediglich Inhalte in die Struktur einbringen, diese für ihre Zwecke nutzen. Tatsächlich war eben nicht klar, wer zu OBN gehört und wer nicht. Insgesamt weist das Regelwerk, das die Kerngruppe aufgestellt hatte, darauf hin, dass man sich bemühte, transparente Strukturen zu schaffen, de facto zeugen die Regeln aber von politischer Unerfahrenheit in Bezug auf Selbstorganisation, weil wesentliche Aspekte nicht bedacht waren. Die blinden Flecke bezüglich der eigenen Struktur, die sich durch das gesamte Projekt zogen, trugen maßgeblich zu seinem Niedergang bei. Soweit zum Stand der Erkenntnis von vor zwei Jahren. Inzwischen habe ich weiter über OBN nachgedacht und geschrieben, z.B. im Rahmen eines Artikels für das Kunstmagazin ART PAPERS, veröffentlicht im Mai 2015 [6].

6.2.         Soziale/politische Kunst

Die vorangehenden Ausführungen bezogen sich auf OBN als politische Organisation. Aber wie bereits mehrmals angedeutet, war es alles andere als eindeutig, dass sich OBN als politische Organisation begriff. Sicher spielte Politik eine zentrale Rolle, aber die Nähe zum Kunstbetrieb und die vielen involvierten Künstlerinnen legten eher nahe, dass es sich um ein politisches Kunstprojekt handelte. Die Aktivitäten von OBN spielten sich weitgehend im symbolischen und diskursiven Raum ab. Zwar gab es auch Technikschulungen und konkrete Unterstützung aktivistischer Projekte, wie z.B. für RAWA, der Organisation revolutionärer Frauen in Afghanistan, doch das war die Ausnahme. Aber gerade am Auftritt von RAWA bei der very Cyberfeminist International entzündete sich ein erbitterter Streit darüber, was als politisch gelten kann. Während die einen den Kampf von RAWA als Anlass nahmen, die Arbeit von OBN als elitär abzuwerten, wiesen andere darauf hin, dass die Struktur innerhalb derer RAWA – und alle anderen auftreten und diskutieren können – durchaus auch als politisch zu verstehen ist.

In einem Text von 1999 äußert die Kunstkritikerin und Kuratorin Yvonne Volkart: „The operational field of OBN has been based on symbolic not activist engagements,“ [7] und plädiert im Weiteren dafür, die Themen und Anliegen zu präzisieren, um sich noch zielgerichteter vernetzen zu können, sah aber hauptsächlich das Kunstfeld als Raum für kulturelle, politische und soziale Reflexion. Ihren Beitrag sah sie darin, politische Unabhängigkeit und Offenheit in diesem Feld zu erhalten bzw. herzustellen.

Der Begriff Cyberfeminismus selbst war ein hybrider Begriff, der künstlerisch, wissenschaftlich, technologisch und politisch gefüllt werden konnte. Genau das war m.E. seine Stärke, entfaltete seine Anziehungskraft und Wirkungsmacht. Frauen unterschiedlichster Disziplinen konnten ihn nutzen, um neue Ansätze zu entwickeln und wurden gleichzeitig Teil eines größeren Kontexts außerhalb ihrer eigenen Disziplin. Eigentlich ein wunderbares Konzept, dessen Erfolg nicht zuletzt der Tatsache geschuldet war, dass es so schillernd war und keiner Disziplin und keinem Kontext eindeutig zugeordnet werden konnte. Meine Vorstellung als Initiatorin des Netzwerks war immer gewesen, dass möglichst viele vom Begriff Cyberfeminismus und OBN als Struktur für ihre Zwecke profitieren können sollten; eine Art Selbstbedienungsladen, aus dem man sich etwas holt und dafür etwas hinein gibt. Der blinde Fleck dieser Konstruktion ist, dass jemand den Laden bereitstellen und in Gang halten muss.

Für mich war es Teil meines Kunstbegriffs, mich um diesen Laden zu kümmern, die Herausgeberschaft von Publikationen, das Betreiben der Website und einer Mailingliste sowie Organisations- und Administrationsarbeit. Obwohl es sich dabei um eine Arbeit an der Struktur handelt, verstand ich diese Arbeit (auch) als inhaltlichen Beitrag zu OBN. Die konkreten Formen dafür wurden in unterschiedlichen Konstellationen erarbeitet; ich erhebe keinen Anspruch darauf, diese alleine erfunden zu haben, wie mir im Nachhinein vorgeworfen wurde. OBN ist sicher nicht MEIN Kunstwerk, aber ich habe mit einer Idee den Prozess in Gang gesetzt aus dem sich das hybride Wesen OBN immer wieder neu geformt hat. Und Ideen sind bekanntlich frei; man kann dafür keine Autorschaft beanspruchen. Autorschaft entsteht da, wo Ideen in konkrete Formen gebracht werden. Wer welche Formen im Laufe von OBN hervorgebracht hat, habe ich versucht in der Strukturgeschichte von OBN nachzuzeichnen.

Dennoch hat die Tatsache, dass ich als Künstlerin einen gewissen Anspruch auf OBN erhebe, nämlich meine Arbeit an den Strukturen als künstlerisch formgebende Arbeit zu begreifen, nicht nur für Irritation gesorgt, sondern mich den heftigsten Beschimpfungen und Beleidigungen ausgesetzt (nachzulesen im Reader der letzten Konferenz 2001). Zum einen kommt dadurch zum Ausdruck, dass sich ein Kunstbegriff, den ich als „sozialen Kunstbegriff“ bezeichnen möchte, immer noch nicht zum Allgemeinverständnis von Kunst gehört. Zum anderen zeigt sich darin wie heikel dieser Kunstbegriff tatsächlich ist. Funktioniert er, ist er tatsächlich in der Lage Menschen, viele Menschen zu mobilisieren, wird innerhalb des Kunstfeldes extrem schwierig seinem zutiefst emanzipatorischen und demokratischen Anspruch gerecht zu werden. Zwangsweise ergibt sich aus dem Eingebettetsein der Künstler_innen in den Kunstkontext ein anderer Zugang zu den Produktionsmitteln und ein wesentlich höherer Mehrwert als für die Beteiligten aus anderen Disziplinen. Und allzu oft wird bei Kunstformen, die den Anspruch erheben, in erster Linie darin zu bestehen, soziale Beziehungen herzustellen bzw. Formen zu entwickeln, die dies ermöglichen, das worum es eigentlich geht, nämlich die Qualität dieser sozialen Beziehungen, zu wenig berücksichtigt. Was steht hinter der sozialen Kunst? Hat sie das Anliegen, Gesellschaft zu verändern, oder gibt sie sich damit zufrieden, es sich in der bestehenden gemütlich zu machen? Ist sie in der Lage, mehr als eine Mikro-Utopie zu formulieren? Und eröffnet sie tatsächliche Handlungsräume, die vorher nicht existierten?

Diese Fragen wurden zur Zeit als OBN aktiv war zu wenig diskutiert und ich bin auch weit davon entfernt sie erschöpfend beantworten zu können. Vielleicht konnte ich aber mit meinen Ausführungen das Interesse daran wecken, OBN nicht nur weiter theoretisch zu erforschen, sondern auch in der Praxis zu experimentieren. OBN wurde nie formell beendet, weil gar nicht klar war, wer das wie hätte entscheiden können. Folglich existiert OBN noch  – und wartet nur darauf neu belebt zu werden.

 

[1] Old Boys Network, Homepage (Archive): www.obn.org

[2] Die PDF-Versionen der Reader stehen auf der Website zur Verfügung.

[3] Der Hybrid Workspace war ein temporäres Medienlabor im Rahmen der documenta x in Kassel (1997). Unter dem Motto ‚Summer of Content’ luden die Kuratoren Geert Lovink und Pit Schultz zehn Gruppen ein, jeweils für zehn Tage den Hybrid Workspace in der Orangerie zu bespielen. Geert Lovink sprach die Einladung an mich persönlich aus, was ich als Anlass nahm, das Old Boys Network zu initiieren.

[4] Donna Haraway diskutiert verschiedene Formen der Macht und Lust, insbesondere in technologisch vermittelten Gesellschaften. Sie konzentriert sich dabei auf die Veränderung von Klasse, Rasse und Gender in unserer Gesellschaft. Ihre antiessentialistische Perspektive prägt auch ihre Wissenschaftskritik, in der sie dichotome Kategorien wie die "Grenzziehungen zwischen Mann/Frau, Mensch/Maschine und Physischem/Metaphysischem aufzuheben und neu zu denken" versucht. Statt vermeintlich objektiver Standpunkte fordert sie ein Konzept des situierten Wissen, das "Verantwortung für eigene Positionen übernehmen und den göttlichen Trick des vermeintlich herrschaftsfreien, universal gültigen androzentristischen Wissenschaftsprinzip entlarven" (Laura Dobusch) möchte (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Donna_Haraway#cite_note-1)

[5] Volker Harlan, Peter Schata, Rainer Rappmann, Soziale Plastik. Materialien zu Joseph Beuys, 1976.

[6] Revisiting Cyberfeminism, Cornelia Sollfrank, in: ART PAPERS, issue May/June 2015. Online available at: http://www.artpapers.org/feature_articles/2015_0506-cyberfeminism.html

[7] The mode is the message – the code ist he collective, The Old Boys Network, in: Mute Magazine, 2006. Online: www.metamute.org/editorial/articles/mode-message-code-collective

 
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