UBERMORGEN.COMs activities are featured worldwide, from Artforum, Flash Art, Domus, Wired Magazine, springerin, to CNN, Fox, CBS, ABC, BBC, from the New York Times, Washington Post, San Francisco Chronicle, Le Monde, Daily Yomiuri, NZZ, El País, La Liberation, The Guardian, La Stampa, Shanghai Daily News, Leonardo – MIT Press, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung, to all leading Online Publications and underground media: Neural.it, Nettime, Hacktivist, Samisdat, alt.bin.kittenporn, etc.”
Quelle: Website UBERMORGEN.COM
Versuche ich mich UBERMORGEN.COM anzunähern, ist etwas im Weg. Dieses Etwas ist etoy. Ich fürchte also, ich muss mit etoy beginnen, mich ein wenig mit Geschichte befassen, um sie dann hinter mir lassen zu können und in die Gegenwart zu gelangen – möglicherweise sogar in die Zukunft – von „übermorgen”.
Es ist an dieser Stelle überflüssig, im Detail die Arbeiten von etoy zu beschreiben. Die glatzköpfigen jungen Männer mit den verspiegelten Sonnenbrillen, den orangen Bomberjacken sind vielen sofort präsent. Bestimmte Bilder der Boygroup-Künstlergruppe haben sich für immer eingebrannt in die Hirne ihrer Betrachter. Aber was haben die eigentlich gemacht? Worum ging es in ihrer Kunst, und was haben sie mit UBERMORGEN.COM zun tun? [1]
Obwohl die Uniformierung eine simple Stratgie ist, zeitigt sie immer wieder ungeahnte Effekte – gerade im Kunstbetrieb. Die gleich aussehenden „Testpiloten des Netzes”, wie sie sich 1996 selbst nannten, gaben sich alle Mühe, cool auszusehen. Aggressive Macho-Darsteller, Arschlöcher wollten sie sein, korrupt und corporate und scheuten sich nicht einmal, mit dem Label „faschistisch” zu kokettieren. Sie gaben sich alle Mühe, jenseits des guten Geschmacks und politischer Korrektheit zu agieren, wohl wissend, oder zumindest ahnend, dass darin immer noch eine wichtige Quelle für den Erfolg im bürgerlichen Kunstbetrieb liegt. War es das, zu provozieren und Aufmerksamkeit zu erregen? Was war die Botschaft der Gruppe? Was das Produkt für die erregten Konsumenten?
Eine der provokanten Botschaften war ganz sicher, „Der Einzelne zählt nichts”. Nicht Individuen wollten sie sein, sondern austauschbar, kleine Künstlersoldaten. Und nicht arme Künstler wollten sie sein, sondern reiche Macker, Unternehmer, Ausbeuter. Diese zwar etwas widersprüchlichen, aber für den Kunstbetrieb ausreichend ungewöhnlichen Botschaften wurden noch verwirrender als der Schaukampf mit dem Spielzeug-Konzern eToys anstand. Waren nun aus Versehen aus den Großkotzen doch arme Künstler-Opfer geworden, denen von einem echten Unternehmen mit echten Geschäftsinteressen übel mitgespielt werden sollte? [2] Jedenfalls boten sie in dieser Situation zum ersten Mal die Gelegenheit, sich mit ihnen in einer groß angelegten Kampagne, dem Toywar, zu solidarisieren, sie zu unterstützen, und viele gute Menschen taten das auch im guten Glauben. Diese – eigentlich zweifelhaften – Jungs sollten also plötzlich den politischen Stellvertreterkrieg für uns führen, einen mächtigen Konzern in seine Grenzen verweisen, David gegen Goliath. Sollten aus den Möchtegerne-Faschos unbemerkt Kämpfer für idealistische Ziele geworden sein? Womöglich waren sie es von Anfang an gewesen und hatten nur verstanden, sich gut zu tarnen?
Nein, alles ein Missverständnis. Der Toywar war nichts anderes als eine reine Marketingveranstaltung – und zwar für etoy selbst. Nicht nur der tadellosen ästhetischen Inszenierung und der brillanten Medienkampagne wegen war er absolut korrekt, nein, etoy ist sich damit konzeptuell absolut treu geblieben. Egal, ob Künstlergruppe, Kollektiv, Label oder Corporation, niemals hatte es einen anderen Inhalt gegeben, als gnadenlos sich selbst zu promoten. Selbst die massenweise „moralische Unterstützung” beim Toywar hat sie nicht von dieser Radikalität abbringen können. Die großartige künstlerische Leistung von etoy bestand also zum einen in dem Konzept, konsequent KEINEN anderen Inhalt als sich selbst anzubieten, und zum anderen in der Fähigkeit, dafür sowohl ästhetisch als auch technisch brillante Lösungen zu kreieren. Oder, wie Reinhold Grether zu formulierte: „etoys Perversion besteht darin, die Wertentwicklung einer einzigen Ikone, ihres als www.etoy.com virtuell dargestellten Namens, in den Aufmerksamkeitsspiralen des Ökonomischen, des Politischen, des Sozialen und des Künstlerischen Umlauf für Umlauf nach oben zu schrauben und so den Wertschöpfungsprozess der Finanzmärkte im Exzess der Selbstüberdrehung zu spiegeln.” [3]
Dies ist Vergangenheit. Zwar gibt es etoy noch, personell anders besetzt und mit anderer Ausrichtung, aber ich glaube, es ist nicht verkehrt, UBERMORGEN.COM als die aus ihrem Geist entsprungene Nachfolgegruppe zu bezeichnen. Viele Strategien von etoy lassen sich unschwer bei UBERMORGEN.COM wiederfinden. Und es ist Hans Bernhard, der die Betriebsspionage betrieben hat. Doch ist bei UBERMORGEN.COM vieles anders.
Begeben wir uns auf die Homepage von UBERMORGEN.COM, um mehr über sie herauszufinden. Da ist alles gut organisiert und professionell aufbereitet. Neben der kompletten Auflistung aller Projekte, Texte, Interviews und Besprechungen gibt es eine herunterladbare Pressemappe in englischer und deutscher Sprache. Hier will jemand effektiv kommunizieren, sicher stellen, dass keine Fragen offen bleiben. Bei UBERMORGEN.COM handele es sich um ein „artist duo”, Lizvlx und Hans Bernhard, ist da zu lesen. Die Porträtfotos der beiden sind geglättet und sichtbar manipuliert; sie zeigen einen Mann und eine Frau, zwei schöne, perfekte, etwas futuristisch aussehende Menschen. Was ihnen gemeinsam ist, ist dass sie “kreative Denker” sind, „professionelle Künstler”, die die „Welt bereisen” und auf „Konferenzen und an Universitäten Vorträge halten”. Während Hans sich darauf beschränkt, Künstler zu sein – mit einem Hintergrund in Ästhetik und Kunstgeschichte – betont Liz ihr Studium der Ökonomie sowie die Auftragsarbeiten für Firmen als Designerin und Technikerin. Im besten Business-Jargon verkauft sich da ein ideales Künstlerpaar, das ganz unbescheiden seine Arbeit als „hybrides Gesamtkunstwerk” anpreist, um sie im gleichen Atemzug als “Brand” zu bezeichnen. Eine erste Irritation stellt sich ein. Spielen diese Künstler einfach “Business”, indem sie einen Jargon kooptieren wie die Business Art der 1980er? Oder ist ihre behauptete „Professionalität” reiner Zynismus in Anbetracht der Warenförmigkeit von Kunst in einem geistlosen und korrupten Kunstmarkt? Oder sind von neoliberalen Ideen weichgespülte Künstlerhirne am Werk, die nichts anderes wollen, als sich eifrig einzugliedern in die Reihen deren, die ihre Kreativität wohlfeil zu Markte tragen? Die Suche nach der Wahrheit, dem “Echten” bei UBERMORGEN.COM kann beginnen.
UBERMORGEN.COM wurde 1999 gegründet, in der Boomzeit des Internet. Seit Mitte der 1990er Jahre wurden mit „Dotcom” Unternehmen bezeichnet, die insbesondere im Zusammenhang mit dem Internet Dienstleistungen anboten. Der Begriff leitet sich aus den auf „.com" endenden WWW-Adressen für Firmen ab und stand bis zum Jahr 2000 für einen Wirtschaftsboom im IT-Sektor, für schnelle Gewinne und hauptsächlich junge Millionäre. Diese ganze Blase hat UBERMORGEN.COM zu einem Teil seines Namens, seiner Identität gemacht, und hielt auch nach dem Platzen der Blase daran fest.
Das erste und bis heute größte und aufregendste Projekt von UBERMORGEN.COM war die Website vote-auction.com. Diese Plattform, die sie nicht selbst entwickelt, sondern über die befreundete Künstlergruppe RTmark vermittelt bekommen und gekauft haben, könnte man zwar als einen Glückstreffer bezeichnen, doch ist sie ein erster Beweis für das sichere Gespür von UBERMORGEN.COM, wenn es darum geht, brisante gesellschaftliche Themen herauszufiltern und „verletzliche Punkte” der medialen Kommunikationssysteme zu orten. Die ebenso simple wie umwerfende Idee der Plattform war es, während des us-amerikanischen Wahlkampfes im Jahr 2000 (G.W. Bush vs. Al Gore) Wählerstimmen auf einer Auktionsplattform zu vermitteln. Meist bietend sollten sie vom Bürger den Kandidaten übereignet werden. Nun könnte so eine Website vollkommen unbemerkt bleiben, denn rein funktional gesehen handelte es sich um einen Fake, doch UBERMORGEN.COM schaffte es, die Lunte anzustecken und die Wahlaufsicht auf sich aufmerksam zu machen. Was danach passierte, kann man nur noch als „hysterisch” bezeichnen. Es folgte eine internationale Pressewelle, die Medien überschlugen sich, und der Höhepunkt der Aktion, die zu einem globalen Phänomen geworden war, bestand in einer 27-minütige Expertendiskussion im Nachrichtensender CNN, zu der Hans Bernahrd per Telefon zugeschaltet war. Wiederum besten Business-Jargon von sich gebend, sprach er von einem „Pilot-Projekt” und dass es darum ginge, das Forum für einen perfekten Zukunftsmarkt zu entwickeln, einen Markt, auf dem sich endlich Kapitalismus und Demokratie näher kommen sollten und der mitnichten auf die USA beschränkt bleiben sollte. Er herrschte allgemeine Verunsicherung darüber im Fernsehstudio, mit wem man es zu tun habe, die Rede war von einer „österreichischen Holding Company”, und als ein zugezogener Jurist in die Runde warf, dass es sich möglichweise um eine Satire handelte, um einen Streich, bemühte man sich schnell klarzustellen, dass der Spaß aufhöre, wenn es um die Manipulation von Wahlen ginge und dass der freie Markt zwar in vielen Bereichen zu begrüßen, doch bei demokratischen Wahlen sicher unangebracht sei. Blickt man nachträglich auf diese stirnrunzelnden und um ihre Demokratie besorgten Journalisten und Experten zurück, kann man in Anbetracht dessen, was dann bei und nach dieser Wahl tatsächlich passierte, nur zu dem Schluss kommen, dass sie selbst die Parodie waren, eine Parodie auf die Unabhängigkeit der Massenmedien.
In Anbetracht der politischen Brisanz, die dieses Projekt hatte, die sogar internationale Geheimdienste auf den Plan rief, fällt es schwer, den Beteuerungen von UBERMORGEN.COM Glauben zu schenken, dass sie keinerlei politisches Anliegen haben und es ihnen lediglich um formale und ästhetische Spielereien und freies Experimenieren geht. Nachvollziehbar hingegen ist ihr Ansatz, Medien, Massenmedien und Kommunikation als formbares Material zu verstehen, aus denen sie in einem offenen Prozess ihre immateriellen Skulpturen bauen. Diese Methode führten sie mit weiteren Projekten und in Zusammenarbeit mit anderen fort: Google will eat itself [4] – gemeinsam mit Alessandro Ludovico und Paolo Cirio realisiert – greift die größte und mächtigste Suchmaschine an, indem eines ihrer wichtigsten Features gegen sie selbst gerichtet wird: Mit Hilfe von AdSense werden über Google Einnahmen generiert, mit denen die Gruppe wiederum Aktien des Konzerns kauft. Obwohl der Angriff von GWEI auf der symbolischen Ebene bleibt, hat er nicht nur den Konzern zu Reaktionen gereizt, sondern bringt auch wesentliche Widersprüche immaterieller Wirtschaft zum Vorschein: das Involviertsein jedes einzelnen in abstrakte, globale Marktmechanismen, die unvorhersehbare Dynamik dieser Märkte sowie ihre Tendenz zur Akkumulation bei gleichzeitiger Flüchtigkeit.
Beim aktuellen Projekt Amazon Noir – the Big Book Crime – in der gleichen Konstellation mit Alessandro Ludovico und Paolo Cirio – nehmen sie sich einen weiteren Giganten vor: das amerikanische Online-Versandhaus Amazon.com. Durch den Einsatz einer von Paolo Cirio geschriebenen Download-Software wollen sie, die Funktion ‚Search Inside the Book’ ausnutzen, um den gesamten Inhalt eines Buches durch entsprechend viele Suchanfragen auszulesen und, zu einem vollständigen Buch zusammengesetzt, wieder zum Download anbieten. Mit dem Entwenden und der Redistribution von urheberrechtlich geschützen Inhalten thematisieren UBERMORGEN.COM die oft widersprüchliche Anwendung von Urheberrecht und die Brisanz des Konzeptes von „geistigem Eigentum“, das sich nicht nur zu einer der umsatzstärksten Industrien entwickelt hat, sondern auch droht, Kulturgüter zu monopolisieren. Nach der Frage nach der Demokratie im digitalen Zeitalter, dem Aufzeigen von Machtkonzentration durch Suchmaschinen ist nun wieder ein hochpolitisches Thema in den Fokus von UBERMORGEN.COM geraten, was ein weiteres Indiz ist für ihre Sensibilität für Machtstrukturen und deren Verschiebungen durch digitale Medien und globale Kommunikationsnetze. In ihren Medienaktionen, die oftmals Performance- oder Happening-Charakter haben, aber anders als ihre historischen Vorgänger sehr bewusst PR-Strategien einsetzen, um große Öffentlichkeiten anzusprechen, gelingt es UBERMORGEN.COM meist, ihr Gegenüber zum „Mitspielen“ zu reizen. Brillante und gut platzierte Presseerklärungen, die sie als eigenständige Kunstwerke betrachten, spielen dabei eine wesentliche Rolle.
Neben ihrem Verwirrung stiftenden Media-Hacking, das sie selbst vorzugsweise als „digitalen Aktionsmus” bezeichnen, um sich vom politisch motivierten „Hacktivismus” betont zu distanzieren, hat UBERMORGEN.COM eine beachtliche Anzahl konzeptueller, installativer oder interventionistischer Projekte realisiert. Dazu gehört zum Beispiel, der Injunction Generator, eine über ein Webinterface steuerbare Software, die automatisch massenweise gerichtliche Abmahnungen (Injunctions) verschickt, die schlimmstenfalls zum Schließen von Websites führen können. Normalerweise angewendet gegen unliebsame Websites, die tatsächlich oder vorgeblich gegen bestehendes Recht verstoßen (meist Urheber- oder Markenrecht), gibt es erheblichen Mißbrauch dieser Möglichkeit z.B. von Anwaltskanzleien, die durch Abmahnungen eigenmächtig Einkünfte generieren. Der Injunction Generator kann durchaus als ironischer Kommentar dieses Rechtsmissbrauchs verstanden werden. Weitere, auch als Installationen präsentierte Generatoren, erstellen interaktiv Konotauszüge (Bankstatement Generator) oder Rezepte für Psychopharmaka (PsychOS Generator). Bei Nazi Line, einer Zusammenarbeit mit Christoph Schlingensief und etxtreme.ru einem Hack der Ars Electronica Jury im Jahr 1999 liegen wieder politische Assoziationen nahe. Während bei ersterem Neonazis durch das Angebot bei einer Theaterproduktion mitzuwirken, der Ausstieg aus der Szene ermöglicht werden sollte, behauptete bei etxtreme.ru eine gefälschte und massenweise versendete Presseerklärung, dass die Vergabe des Kunstpreises Goldene Nica an das Freie Betriebssystem Linux auf eine Intervention von Microsoft zurückzuführen sei, einem der Hauptsponsoren der Ars Electronica.
Bei all diesen Aktionen und Projekten vermischen sich, in unterschiedlichen Gemengelagen, dadaistisch inspirierte Zufallskombinatorik, strategisches Marketing, Polit-Satire, subversive Kommunikation und technisches Experiment zu komplexen Gebilden, deren Absurdität nur noch übertroffen wird von einem hansbernhardblog, in dem UBERMORGEN.COM, den Web-2.0-basierten Bekenntiszwang persiflierend, minutiös auflistet, welche Substanzen sich Hans Berhanrd tagtäglich zuführt, um ja zu verschleiern, wer oder was da am Werk ist.
Während bei den digitalen und interventionistischen Projekten oft ein perfides Vermischen von Fakten und Fiktion dazu führt, ein unentwirrbares Szenario zu entwickeln, verblüfft UBERMORGEN.COM mit einer weiteren „Produktlinie” – wie sie es wieder in Überaffirmation von Marketingrhetorik selbst bezeichnen. Diese Produktlinie bringt kulturelle Viren ganz anderer Art zum Einsatz: die Rede ist von ihren Gemälden (Paintings) und Skulpturen. Es gibt Ausstellungen von UBERMORGEN.COM in Museen und Galerien, in denen weit und breit kein Computer zu sehen war, kein Hinweis auf digitale Kommunikationsnetzwerke. Da werden Wandmalereien gezeigt, Hand gemalte Pixelpaintings [7], sorgfältig verarbeitete Prints auf Leinwand oder zu Skulpturen arrangierte Materialien wie Papier, Holz etc. Eine Reihe dieses Werkkomplexes stellen die Siegel (Seals) dar, großformatige Drucke auf Leinwand. Es handelt sich dabei um in Ikonen kondensierte Repräsentationen ihrer verschiedenen Aktionen. Vollständig computer-basiert erstellt, in beliebiger Anzahl reproduzierbar, geben diese Beglaubigungen von Echtheit und Unversehrtheit von Dokumenten einen Hinweis auf die Absicht von UBERMORGEN.COM. Es wird gespielt mit Begriffen wie „Abbild”, „Repräsentation”, „Authentizität”, „Aura”, aber es ist zu bezweifeln, dass UBERMORGEN.COM tatsächlich beabsichtigen, Transformationen ihrer Hacking-Strategien in materielle Objekte herzustellen. Einmal mehr legen sie ihr Publikum herein, wollen es verführen. Die Ikonoklasten, als die sie sich eingeführt haben, machen sich nun einen Spaß daraus, ihr „Image” als „professionelle Künstler” zu pflegen – und was dazu vermeintlich gehört, ist ein physisches und damit verkaufbares Produkt, am besten ein “Bild” zu liefern. Neben der Verblüffung, die die „Mediahacker” damit ernten, stellt sich ein bemerkenswerter Nebeneffekt ein: Die Kombination von „altem und neuem Code” ebnet tatsächlich einen Weg in den Kunstmarkt. Ihr ausgesprochener Wille zur Kunst, ihr Kokettieren mit dem Konformismus verfolgen immer die Doppelstrategie, Mechanismen des Kunstsystems aufzuzeigen und gleichzeitig – als Sandkörchen in diesem Getriebe – ein unverzichtbarer Teil davon zu werden. Ihre unglaubliche Leistung besteht darin, durch ihre Aktionen, das Image „Hacker” und „Rebellen” zu erschaffen und gleichzeitig zu behaupten, nichts anderes, als kommerzielle Künstler sein zu wollen. Diese permanente Verdrehung von Sein und Schein in immer wieder neuen Spiralen versetzt ihr Publikum in den dauerhaften Genuss, niemals zu wissen, womit sie es bei UBERMORGEN.COM nun „eigentlich” zu tun haben.
Das Genie von übermorgen maskiert sich mit Corporate Design. Die wechselnden und unterschiedlichen Personen, mehr oder weniger eindeutige Subjektivitäten, aus denen es besteht, bleiben – ganz den Bedürfnissen des Spätkapitalismus entsprechend – flexibel, tauchen auf und unter, ein, in die Netze globaler Kommunikation, erscheinen auf massenmedialen Oberflächen, als Rebellen posierend, als glückliche Familie, als kühle Strategen, als erfolgreiche Unternehmer – oder geisteskranke Künstler – je nachdem, was am meisten Erfolg verspricht. Ihre Strategien der Weltbildung erschöpfen sich nicht im Virtuellen; sie materialisieren sich in zentnerschweren Skulpturen oder realen Gerichtsbeschlüssen ebenso wie in traditioneller Malerei. Als ein Kind der Massenkultur bahnt sich dieses Genie einen Weg in die heiligen Tempel der Hochkultur. Im White Cube als Endstation aller Sehnsucht wird wahres Leben im falschen simuliert, und die Zersetzung kann beginnen – die Sabotage des Systems, dessen Teil es selbst ist. Die Frage, wer dabei von wem vereinnahmt wird, bleibt offen.
Dieses Genie vereint in sich die Widersprüche von morgen. Die Fragen, die es stellt, sind die Antworten, die es gibt.
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Veröffentlicht in: UBERMORGEN.COM - MEDIA HACKING VS. CONCEPTUAL ART, HANS BERNHARD / LIZVLX
Alessandro Ludovico (Ed.), Christoph Merian Verlag, 2009
[1] Die ursprüngliche Gruppe spaltete sich 1999, ein Teil arbeitet noch immer unter dem Namen etoy. Nachfolgende Betrachtungen beziehen sich auf die Gruppe vor der Spaltung.
[2] Dokumentation zum Toywar: toywar.etoy.com
[3] www.heise.de/tp/r4/artikel/5/5768/1.html
[4] www.gwei.org
[5] ART FID [F]originals - Authentizität als konsensuelle Halluzination, HMKV Dortmund, 2006; “(f)originals. Authenticity as Consensual Hallucination”, Overgaden, Copenhagen, 2006