15. August 2007
Erstveröffentlicht in taz Hamburg
taz: Frau Sollfrank, warum haben Sie die Internet-Plattform "The Thing Hamburg" mitgegründet?
C. S.: Zur Vorgeschichte des Projekts gehört die Mailingliste [echo], die seit Mai 2003 existiert. Die ist aus dem kulturpolitischen Engagement Hamburger KünstlerInnen entstanden, die sich gegen den grundlegenden Umschwung in der Kulturpolitik wehren wollten. Die Tendenz war und ist: weg von der individuellen Künstlerförderung hin zu repräsentativen Großprojekten wie dem Schifffahrtsmuseum Peter Tamms oder der Elbphilharmonie in Hamburg. Besonders deutlich wird das auch bei "Kunst im öffentlichen Raum", die fast nur noch für Stadtentwicklungspolitik und Städtewerbung funktionalisiert wird. Fast alle Fördermaßnahmen finden inzwischen innerhalb politisch festgelegter Programme statt.
taz: Wogegen die [echo]-Mailingliste protestieren wollte?
C. S.: Ich verstehe [echo] durchaus als Instrument einer "kultur-politischen Opposition (KPO)". Dem Netzwerk gehören mittlerweile über 600 Hamburger KulturproduzentInnen an. Inzwischen hat sich die Mailingliste zum zentralen Informationsorgan der Hamburger Kunstszene entwickelt. Im vorigen Jahr wurde klar, dass es Zeit war für einen neuen Entwicklungsschritt. Zusammen mit Ulrich Mattes, dem Betreiber von kunstechohamburg. de, einem selbst organisierten Veranstaltungskalender der Kunstszene, entstand die Idee, eine Internet-Plattform zu bauen. In der Planungsphase kam mir in den Sinn, dass es bereits seit langem ein ähnliches Projekt gibt: das von Wolfgang Staehle 1992 in New York gegründete "The Thing." Im Zentrum steht ein von KünstlerInnen initiiertes und im Internet stattfindendes Schreiben über Kunst.
taz: Wie sieht die Plattform The Thing Hamburg konkret aus?
C. S.: Es gibt zwei verschiedene Bereiche. Der eine wird redaktionell betreut, der andere ist ein offenes Forum. Wir haben uns für diese Form entschieden, weil wir einerseits durch die Arbeit der Redaktion eine gewisse Qualität sicherstellen wollen. Andererseits muss es eine Plattform sein, auf der sich jeder äußern kann. Diese beiden gleichberechtigten Bereiche sind im Übrigen untereinander durchlässig: AutorInnen und Redaktionsmitglieder schreiben auch im Forum. Und Diskutanten des Forums können Text- und Themenvorschläge in die Redaktion geben, wo sie besprochen werden. Erscheinen die Beiträge im redaktionellen Teil, werden sie auch honoriert.
taz: Wie ist der redaktionelle Teil aufgebaut?
C. S.: Um das Feld, in dem wir uns bewegen, zu strukturieren, haben wir Themen festgelegt: "Selbstorganisation + Existenz" und "Öffentlichkeiten + Kunst" sind bereits mit zahlreichen Beiträgen online. Danach soll es "Kunst + Eigentum" geben und "Kunstbegriffe/ KünstlerInnenbilder" geben. Diese Themen werden fortlaufend mit neuen Texten und Bildbeiträgen bestückt. Zusätzlich schieben wir Sonderthemen dazwischen. So wird ungefähr Mitte August erscheinen: "Bildet Ketten: G 8 und d 12". Das bezieht sich auf die beiden Großereignisse dieses Sommers: den Gipfel in Heiligendamm und die "documenta". Zusätzlich zu den Themen gibt es aktuelle Beiträge mit Besprechungen von Ausstellungen, Veranstaltungen und Publikationen.
taz: Inwiefern reicht "The Thing Hamburg" über das bestehende mediale Angebot hinaus?
C. S.: Einerseits durch das, worüber wir schreiben, andererseits und durch die Art, wie geschrieben wird. Beides ist freier, experimenteller und meist auch anspruchsvoller als herkömmlicher Journalismus. Und wenn man regelmäßig die Berichterstattung über Kunst liest, stellt man fest, dass die Kunstkritik ziemlich heruntergekommen ist. Sie ist genauso mainstreamisiert und banalisiert wie der Kunstbetrieb selbst. So ist es nur naheliegend, dass Künstler das selbst in die Hand nehmen.
taz: Wobei Künstler ja schon immer miteinander diskutiert haben. Das Sprechen über Kunst ist also nicht prinzipiell neu.
C. S.: Sicher. Aber es geht bei The Thing nicht um Stammtischplaudereien, sondern um eine diskursive Ebene, die die künstlerische Praxis nicht nur begleitet, sondern Teil davon ist. Und The Thing realisiert damit auch einen Kunstbegriff, der sich vom derzeitigen Mainstream unterscheidet.
taz: Wie wird The Thing organisiert und finanziert?
C. S.: Nach einem längeren Diskussionsprozess haben zehn Personen einen gemeinnützigen Verein gegründet. Die Mitglieder sind für Redaktion, Kommunikation und Technik zuständig. Zusätzlich erhält der Verein eine dreijährige Projektförderung der Hamburger Kulturbehörde.
taz: Wie kann man sich an The Thing Hamburg beteiligen?
C. S.: Auf der Website gibt es den Button "Do The Thing". Dort kann man nachlesen, welche Möglichkeiten der Beteiligung es gibt. Die einfachste ist: Man loggt sich im Forum ein und kann sofort schreiben. Was hier geschrieben wird, geht direkt online. Dies ist gedacht für schnelle Reaktionen, Kommentare, Statements, kurze Reviews.
taz: Für das Forum gibt es keine Regeln?
C. S.: Es gilt die allgemeine Netiquette. Ansonsten haben wir beschlossen, es erst einmal offen zu lassen. Nur wenn uns die Nutzer durch Missbrauch dazu zwingen, wird es reglementiert.
taz: Der Unterschied zwischen offen und geschlossen?
C. S.:Geschlossen würde lediglich bedeuten, dass Beiträge vor der Veröffentlichung durch die Moderation frei gegeben werden müssen. Zur Zeit muss man sich nur registrieren, was aber sehr unkompliziert ist. Dann kann man sofort loslegen - auch unter falschem Namen.
taz: Wenn jeder mitmachen kann: Warum haben Sie The Thing Hamburg dann bis jetzt nur in Künstlerkreisen beworben?
C. S.: Wir sind jetzt ein gutes halbes Jahr online und wollten erst einmal Erfahrungen sammeln und experimentieren. Jetzt, nach einer grundlegenden Überarbeitung der ersten Version, sind wir so weit, dass wir an eine größere Öffentlichkeit gehen können.
taz: Trotzdem heißt das Projekt "The Thing Hamburg". Dürfen nur Hamburger teilnehmen?
C. S.: Nein. Wir nennen uns so, weil es auch in anderen Städten "The Thing"-Projekte gibt.
taz: Aber ist es nicht absurd, ein - explizit global agierendes - Internet-Projekt lokal zu verankern?
C. S.: Nein. Zehn Jahre internationaler Vernetzungserfahrung haben mich gelehrt, dass der Spruch "Think global - act local" durchaus sinnvoll ist.
taz: Warum?
C. S.: Man kann am besten da agieren und sich organisieren, wo man sich gut auskennt. Lokale Strukturen sind der Ausgangspunkt allen politischen Handelns. Von da aus kann man sich dann vernetzen. Zum Beispiel haben norwegische und britische Publikationen über unsere Hamburger Protest-Aktion "Tamm Tamm" gegen das geplante Schifffahrtsmuseum Peter Tamms bewiesen, dass das funktioniert.
taz: Wobei das Forum von The Thing Hamburg weit lokaler ist als der redaktionelle Teil.
C. S.: Ich wünsche mir, dass wir auch im redaktionellen Teil noch stärker auf Hamburger Verhältnisse eingehen.
taz: Wäre das nicht ein Schritt zur Provinzialisierung?
C. S.: Die Auseinandersetzung mit den lokalen Verhältnissen zeigt, dass in Hamburg die gleichen globalen Kräfte wirken wie in anderen Städten. Um die geht es.
taz: Versteht sich The Thing also als Gegenöffentlichkeit?
C. S.: Wir sind und schaffen eine von vielen Öffentlichkeiten.
taz: Wie verortet sich The Thing politisch? Im linken Spektrum?
C. S.: Auf jeden Fall geht es darum, die ökonomischen und politischen Bedingungen von Kunst mitzudenken. Unsere Politik besteht darin, einen Raum für Kunst zu öffnen, der nicht Marktgesetzen oder dem Geschmack von Sammlern gehorchen muss.
taz: Ist die Redaktion von The Thing Hamburg - neben aller Kritik - auch am Dialog mit Politikern interessiert?
C. S.: Unsere Dialogbereitschaft haben wir im Jahr 2005 bei unserer Aktion "TammTamm - Künstler informieren Politiker" bewiesen. Damals haben KünstlerInnen Dialoge mit allen Bürgerschaftsabgeordneten geführt. Erfahrungsgemäß sind Dialoge mit Politikern aber sinnlos. Wir führen sie trotzdem.
taz: Was bedeutet Ihr Logo: Sollen das Zuckerwürfel sein? Stilisierte Computer-Tasten?
C. S.: Hier können unsere User ihrer Phantasie freien Lauf lassen.