Ausnahmsweise Freie Kunst

Ein Gespräch zwischen Holger Tiedemann (Behörde für Wissenschaft und Forschung Hamburg [1]) und Cornelia Sollfrank zur Reform der Kunstausbildung - insbesondere an der HfbK in Hamburg. Es geht um die Grundzüge der Bologna-Reform, die für die Freie Kunst geltenden Ausnahmeregelungen sowie den Ausnahmestatus, den die Freie Kunst immer wieder für sich reklamiert.

 

Erstveröffentlicht unter thing-hamburg.de/index.php

 

26. Februar 2008, Hamburg

 

 

[Cornelia Sollfrank]

Ich würde gerne im Allgemeinen anfangen und dann aber speziell über das sprechen, was in der Kunstausbildung in Hamburg läuft, was sich gerade verändert. Da geht es natürlich in erster Linie um "Bologna", aber wir sollten auch die kulturpolitischen Entwicklungen im Rahmen derer die Veränderungen stattfinden, nicht außer acht lassen.

 

Es gab ja nicht nur diese eine Sitzung in Bologna, nach der der Prozess benannt ist, sondern mehrere, die auch jeweils wieder Justierungen oder Veränderungen gebracht haben. Könnten Sie zuerst erklären, was die Grundideen der Reform sind, wie diese im Laufe der Jahre verändert und angepasst wurden und was davon speziell für die künstlerische Ausbildung von Interesse ist.

 

Bologna und die Ausnahmen

[Holger Tiedemann]

Am Anfang steht die Konferenz der 29 Bildungsminister (1999) mit der Grundidee der Einführung eines gestuften Studiensystems (Graduierungssystems). Dabei soll die erste Stufe nach möglichst drei oder vier Jahren erreicht werden. Der Name Bachelor fällt in der Bologna-Erklärung in diesem Zusammenhang nicht, aber jedem ist klar, dass dieser Abschluss gemeint ist. Er soll - darüber erhitzten sich dann die Gemüter - »relevant« sein für den »European labour market«. Das ist im Grunde schon der Kern der Bologna-Erklärung. Nun, wie übersetzt man »Relevant to the European labour market«? Das kann man mit »berufsqualifizierend« übersetzen, dann hat man eine sehr fokussierte Übersetzung und es stellt sich die Frage, welcher Beruf ist es denn? Oder man kann es offener übersetzen, z.B. mit »Berufs- oder Beschäftigungsfeld orientiert«.

 

CS: Und wer übersetzt es dann im Zweifelsfall?

 

HT: Es gibt ja amtliche Übersetzungen. Ich vermute mal, dass es in diesem Fall die Kultusministerkonferenz (KMK) oder das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) waren. Deutschland war bei dieser Konferenz zweifach vertreten, nämlich durch die Präsidentin der KMK und durch das BMBF. Dann gab es verschiedene Folgekonferenzen. Diese finden im Abstand von zwei Jahren an verschiedenen Orten statt und haben immer Neues gebracht. So wurde zum Beispiel die Promotionsphase in den Bologna-Prozess erst später einbezogen.

 

CS: Dann gibt es ja als wichtiges Gremium noch die Konferenz der Hochschulrektoren. Haben diese denn strukturell die Macht, sich in Bezug auf den Bologna-Prozess zu verweigern? Wenn sie sagen, wir machen das nicht, wird es dann auch nicht gemacht?

 

HT: Nein, letztlich sind für die Ausbildungsstrukturen in den Ländern die Ministerien zuständig. Sie haben das Bachelor-/Master-System in ihren Hochschulgesetzen verankert. Aber die Ministerien werden in der Regel natürlich versuchen, ein Einvernehmen mit den Hochschulen herzustellen.

 

Die KMK hat in einem Beschluss, über den wir sicherlich noch sprechen werden, bestimmte Ausnahmeregelungen für die Kunsthochschulen und die Freie Kunst vorgegeben. In den Kunsthochschulen gibt es drei Bereiche: die Freie Kunst, das ist sozusagen ihr Kernbereich, dann die angewandte Kunst und schließlich die Lehramtsausbildung.

 

Die Lehramtsausbildung, an der die Kunsthochschulen beteiligt sind, ist klar geregelt durch die KMK und die Beschlüsse des Akkreditierungsrates. Da gibt es keine kunstspezifischen Abweichungen. Das Gleiche gilt für den Bereich der angewandten Kunst. Da hat man keinen Grund gesehen, warum Abweichungen nötig sein könnten. Der einzige Bereich, in dem die KMK den Kunsthochschulen Zugeständnisse gemacht hat, ist der Bereich Freie Kunst. Hier sieht der KMK-Beschluss Abweichungen vor, etwa bei der Regelstudienzeit oder bei der Frage der Modularisierung.

 

Normalerweise umfasst das Bachelor-/Master-System 5 Jahre (3 + 2). Bei der Kunst hat man zugestanden, dass auch eine Studienstruktur mit einer Regelstudienzeit von 4 + 2 Jahren zulässig sein kann. Zum Bologna-Prozess gehört es, dass grundsätzlich für alle Studiengänge vergleichbare Regelstudienzeiten festgelegt werden (Bachelor: 3-4 Jahre, Master: 1-2 Jahre). Nur in wenigen Fällen sind Abweichungen möglich. In Deutschland haben etwa 85% aller Studiengänge die Struktur 3+2. Theoretisch ginge auch 4 + 1.

 

CS: Damit ist der Aspekt »Regelstudienzeit« eine der großen Abweichungen, die man für die Freie Kunst verzeichnen kann.

 

HT: Die zweite große Abweichung ist die Modularisierung. Wenn man sich ein normales Studium ansieht, kommt man schnell auf 40 bis 50 Module. Bei der Kunst hat man gesagt: »Ok, das geht nicht.« Denn: 40 bis 50 Module heißt auch 40 bis 50 Prüfungsleistungen, das ist hier unmöglich. Stattdessen ist den KünstlerInnen zugestanden, lediglich zwei Module zu definieren.

 

CS: Zwei anstatt 40? (lacht).

 

HT: Im alten Prüfungssystem war es so, dass alles sich auf die Abschlussprüfung fokussiert hat. Es war uninteressant, was man im 3. oder im 6. Semester gemacht hat. Die Aufmerksamkeit war ausschließlich auf das Schlusssemester gerichtet. Das neue Studiensystem will etwas Anderes: Man will studienbegleitend prüfen. Man will, dass während des Studiums, auch in der Anfangszeit oder in der Mitte Studienleistungen erbracht werden, die dann für die Endnote relevant werden. Mit zwei Modulen wird jedoch den Kunsthochschulen entgegengekommen und weitgehend an dem alten Prüfungssystem festgehalten, das sich auf die Abschlussprüfung konzentrierte.

 

CS: Gibt es noch weitere Ausnahmen für die Freie Kunst?

 

HT: Die dritte wesentliche Abweichung von den allgemeinen Regelungen ist, dass man den KünstlerInnen ein spezielles »künstlerisches Profil« zugesteht. Normalerweise unterscheidet man bei Studiengängen zwischen einem anwendungsbezogenen und einem forschungsbezogenen Profil. Den Künstlern wird zugestanden, dass sie sich nicht diesen beiden Profile zuordnen müssen.

 

CS: Nicht Anwendung, nicht Forschung, sondern »Artistic Research«?

 

HT: Inwiefern sich mit dem Studium »Research«-Anteile verbinden, bleibt den Hochschulen überlassen. Jedenfalls gibt es - dieses ist eine vierte Abweichung - einen besonderen Abschlussgrad: Sie sollen Bachelor oder Master of Fine Arts heißen (B.F.A. oder M.F.A.) bzw. in der Musik: Bachelor/Master of Music (B.Mus./M.Mus.).

 

CS: Ist das jetzt für alle künstlerischen Studiengänge gleich?

 

HT: Ja, das soll für alle Studiengänge in der Freien Kunst so sein.

 

CS: Es gibt also vier Ausnahmen: Regelstudienzeit, geringe Anzahl von verpflichtenden Modulen, eigenes Profil, besonderer Abschluss.

 

HT: Das sind auf jeden Fall die wichtigsten, aber in einem gemeinsamen Beschluss der Kultusministerkonferenz sind noch weitere Ausnahmen beschrieben...

 

Der wichtigste Punkt bei diesem Beschluss ist - und das ist auch die Crux - : Was ist freie Kunst? Wann gelten die Ausnahmeregelungen? Aufgrund der föderalen Strukturen muss dies in jedem Bundesland individuell zwischen den Hochschulen und dem Ministerium ausgehandelt werden. Das ist der Punkt, an dem die eine Hochschule sagen kann, wir sind vom Bologna-Prozess ausgenommen, denn das kann in einem Land so sein, in einem anderen Land aber ganz anders aussehen.

 

CS: Und wie sieht es in Hamburg aus?

 

HT: In Hamburg sind die Kunsthochschulen nicht von der Einführung des Bachelor-/Master- Systems ausgenommen. In den Ziel- und Leistungsvereinbarungen der HfbK mit der Behörde ist festgehalten, dass die HfbK zum 1. 10. 2008 das Studiensystem umstellt.

 

CS: Das heißt, das weit verbreitete Gerücht, alle Kunsthochschulen seien vom Bologna- Prozess ausgenommen, ist schlichtweg falsch.

 

HT: Genau. Es ist Ländersache. In NRW etwa besagt das neue »Gesetz zur Neuregelung des Kunsthochschulrechts«, dass die Kunsthochschulen zwar auf das Bachelor-/Master-System umstellen sollen, der Bereich Freie Kunst und weitere Ausnahmefälle (§ 52 Abs. 4) bleiben jedoch ausdrücklich ausgeklammert. Unter bestimmten Voraussetzungen kann sogar von der Akkreditierung abgesehen werden (§ 7 Abs. 1). Das heißt, dass die Kunsthochschulen in NRW vorerst weitgehend vom Bologna-Prozess unberührt bleiben.

 

CS: Wir sprechen davon, dass die Einführung des Bachelor-/Master-Systems mit den Hochschulen verhandelt wird. Mit wem genau an einer Hochschule? Ist das im Falle der HfbK beispielsweise der Präsident, der das entscheidet? Oder welches Gremium ist das genau? Hat sich da im Zuge der Reformen nicht auch etwas an den Entscheidungsstrukturen innerhalb der Hochschulen geändert?

 

HT: Die Ziel-/Leistungsvereinbarungen schließt die Behörde mit den Präsidien der Hochschulen. Die Präsidien werden natürlich ihre Gremien und Ausschüsse in die Verhandlungen einbeziehen. Aber letztlich handelt es sich hier um präsidiale Leitungsentscheidungen.

 

CS: Wenn man die Website der HfbK aufruft, wird neuerdings nur noch ein Studiengang angeboten und der heißt »Bachelor bzw. Master of Fine Arts«. Was früher einzelne Studiengänge waren, ist aufgehoben und nennt sich jetzt Studienschwerpunkte, und alles steht in der Klammer »Fine Arts«, d.h. für alle gelten dann die vorher genannten Ausnahmeregelungen?

 

HT: Ja.

 

CS: Und damit für alle auch die längere Regelstudienzeit?

 

HT: Ja.

 

CS: Mir erscheint dies wie eine Art Trick. Was ist da passiert zwischen der HfbK und der Behörde? Wie kommt so etwas zustande? Was ist das Interesse der Behörde, so einer Regelung zuzustimmen?

 

HT: Dass Bereiche der angewandten Kunst in die 4+2-Jahre-Studienstruktur einbezogen werden, hängt sicher damit zusammen, dass der HfBK an einer möglichst einheitlich strukturierten Ausbildung gelegen war. Aber man kann es wohl auch als ein Entgegenkommen der Behörde interpretieren: Wenn die HfbK im Oktober dieses Jahres den Schritt geht, erfordert dies Mut. Sie begibt sich mit einigen anderen Hochschulen - zumindest in Deutschland - auf Neuland. Gegenüber diesem »großen Schritt« ist das Problem, ob man auch für die angewandte Kunst Sonderregelungen braucht oder nicht, von untergeordneter Bedeutung.

 

Generell gilt, dass die Bachelor-Studiengänge möglichst umfassend angelegt sein sollen. In der Regel werden allgemeinbildende Studieninhalte und sogenannten »Soft Skills« in das Curriculum integriert. Wo es früher beispielsweise 20 altsprachliche Magister-Studiengänge gab, kann es sein, dass es in Zukunft nur noch 5 Bachelor-Studiengänge gibt, auf die 20 Master-Studiengänge aufsetzen. Das ist beispielsweise in Lüneburg extrem realisiert worden. Dort gibt es einen Bachelor-Studiengang für alle Bereiche. Die HfbK hat ähnlich reagiert mit der Implikation, dass auch die angewandte Kunst diese Abweichstrukturen hat.

 

CS: Wenn man auf der Website durchliest, wie das Studium an der HfbK beschrieben ist, gewinnt man aber den Eindruck, es ist alles wie vorher, das heißt man überlegt sich, man will Freie Kunst oder Industriedesign studieren und dann macht man das auch genau so wie vorher, es heißt jetzt nur alles anders. Es gibt ja nicht (wie in Lüneburg) ein allgemeines, für alle verbindliches Grundstudium, oder?

 

HT: Ich kenne die Entwürfe der Curricula der HfbK nicht. Doch der Versuch, innerhalb des neuen Studiensystems das Alte zu machen, beziehungsweise das Alte 1:1 abzubilden, ist bisher immer schiefgegangen. Das haben die Universitäten und Fachhochschulen zum Teil schmerzlich erfahren müssen. Man wird zwar mit dem Konservativismus der Kunsthochschulen im Bereich Freie Kunst vorerst leben müssen, doch im Bereich der kooperativen Studiengänge, zum Beispiel den Lehrämtern, wird mehr Bewegungsbereitschaft erwartet. Hier müssen sich die Kunsthochschulen auf die Studienmodelle der kooperierenden Hochschulen einlassen, das heißt zum Beispiel auch, sich auf ein studienbegleitendes Prüfungssystem einzulassen, Abstandnehmen von der Fokussierung auf die große Abschlussarbeit, der großen Präsentation.

 

<3>Module und Akkreditierung

CS: Zu der Dreigliedrigkeit des neuen Systems gehört als wesentliches Strukturmerkmal die Modularisierung. Was hat man sich darunter genau vorzustellen? Und was ist der Unterschied zu einem Curriculum?

 

HT: Bei einem curricularen Prüfungssystem sind Studieninhalte so aufeinander aufgebaut, das erst am Ende gewusst/gekonnt wird, was gewusst/gekonnt werden soll. Ein modulares Studiensystem wertet demgegenüber das Studium selbst auf: Schon die Teilqualifikationen werden wichtig. Da Module oft in unterschiedlichen Kontexten verwendbar sind, ist eine modulare Studienstruktur grundsätzlich interdisziplinärer als eine curriculare.

 

CS: Im Hinblick auf die Module, die von der HfbK entwickelt worden sind, spielt die Behörde da noch irgendeine Rolle?

 

HT: Nein, die Behörde hat mit der inhaltlichen Ausgestaltung der Studiengänge und der Modularisierung nichts mehr zu tun. Was früher die »Macht der Behörde« war, hat sie an die Akkreditierungsagenturen delegiert. Diese entscheiden, ob ein Studiengang bestimmten strukturellen und fachlichen Standards entspricht. Und die Agenturen beteiligen im Verfahren sogenante »Peers«, also kompetente Fachvertreter, Studierende, Vertreter der Berufspraxis. Diesen fällt die Aufgabe zu, von außen auf den Studiengang zu blicken. Dieser Blick von außen - der manchmal ärgerlich oder schmerzlich und manchmal erfreulich ist - ist eigentlich das Grundgesetz einer echten Qualitätssicherung. Er kann auch nicht durch Ministerien ersetzt werden, zumal Behörden in der Regel nur eine sehr eingeschränkte Wahrnehmung von Kunst haben.

 

CS: Mit der Entwicklung der Module haben aber diese Agenturen nichts zu tun!?

 

HT: Nein, die Module werden von den Hochschulen entwickelt und beschrieben. Es gibt lediglich bestimmte Vorgaben, wie sie zu beschreiben sind (Ziele, Workloads, Verwendbarkeit), und die Akkreditierungsagenturen müssen darauf achten, dass die Hochschulen diesen Vorgaben entsprechen.

 

CS: Und die Agenturen entscheiden dann darüber, ob die Module anerkannt werden?

 

HT: Sie entscheiden nicht, ob die Module anerkannt werden, sondern ob ein Studiengang den Vorgaben der Kultusministerkonferenz und des Akkreditierungsrates entspricht.

 

CS: Wo sind dann diese Agenturen angesiedelt? Haben die etwas Behördliches, Staatliches oder sind sie private Einrichtungen?

 

HT: Es sind private Einrichtungen. Es gibt in Deutschland sechs Agenturen, die zugelassen sind (ACQUIN, AQAS, ZeVA, ASIIN, AHPGS, FIBAA). Diese Agenturen haben alle das Siegel des Akkreditierungsrates. Sie müssen sich selber einem bestimmten Genehmigungsverfahren unterziehen und sind dann befugt, Studiengänge zu akkreditieren.

 

CS: Wenn die Akkreditierung in privater Hand liegt, müssen dann die Hochschulen für ihre eigene Begutachtung bezahlen?

 

HT: Zuständig für die Verfahren sind die sechs genannten, in Deutschland zugelassenen Agenturen. Die Hochschulen zahlen für die Qualitätssicherung selbst. Pro Programm entstehen Kosten zwischen ca. 5.000 und12.000 €. Bei der letzten Bologna-Folge-Konferenz ging es hauptsächlich um die Einführung eines so genannten Agenturenregisters. Man will europaweit alle zugelassenen Akkreditierungsagenturen erfassen und damit den Hochschulen und Verbrauchern ein zusätzliches Informationsangebot für in Europa zugelassene Akkreditierungsagenturen zur Verfügung stellen.

 

CS: Und wie sehen Sie die Funktion der Behörde in diesem Umsetzungsprozess?

 

HT: Die Behörde trägt im Prinzip eine Strukturverantwortung, zum Beispiel bei der Auswahl der Lernbereiche Freie Kunst, Angewandte Kunst und künstlerisches Lehramt. Sie trägt dafür Sorge - und das ist in der Ziel- und Leistungsvereinbarung der Behörde mit der Hochschule geregelt -, dass diese Struktur auch eingeführt wird. Dann gibt es die gesetzliche Verpflichtung der Akkreditierung. Die Behörde kontrolliert gegebenenfalls, ob aus dem Akkreditierungsverfahren Auflagen erwachsen sind und wie diese von der Hochschule umgesetzt wurden.

 

CS: Haben die Akkredierungsagenturen bei ihrer Prüfung schon mal ernsthaft Einwände erhoben, insbesondere wenn sie feststellen, dass ein neues Studium im Prinzip lediglich das alte, versehen mit neuen Etiketten ist?

 

HT: Ja, das gab es - auch in Hamburg.

 

CS: Sind die neuen Studiengänge der HfbK bereits akkreditiert?

 

HT: Nein, die HfbK verhandelt meines Wissens im Moment noch mit der von ihr ausgewählten Agentur. Wenn die HfbK mit den neuen Studiengängen zum Herbst 2008 beginnt, kann es durchaus sein, dass diese Studiengänge noch nicht akkreditiert sind. Im Moment ist es in Hamburg so, dass dies keine Konsequenzen hat für die Aufnahme des Lehrbetriebes oder die Zulassung von Studierenden. Bestimmte Rechtsfolgen sind im Hamburger Hochschulgesetz mit der Akkreditierung derzeit nicht verbunden. Eine Akkreditierung nach Aufnahme des Studienbetriebs, wie sie in Hamburg möglich und üblich ist, hat den Vorteil, dass die Agentur auch den tatsächlichen Studienalltag mitbeurteilen kann.

 

CS: Und ist dies in den anderen Ländern ebenso?

 

HT: Es gibt auch Bundesländer, die eine Akkreditierung vor der Aufnahme des Studienbetriebs, also »nach Papierform« verlangen. Beide Verfahrensweisen haben Vor- und Nachteile.

 

CS: So wie das jetzt von der HfbK geplant ist, gibt es da auch ein »Credit Point System«?

 

HT: Ja, das gibt es.

 

CS: Auch wenn es nur zwei Module gibt?

 

HT: Zu den Kennzeichen, die in der Akkreditierung geprüft werden, gehören Module und das Kreditpunktesystem. Die Hochschule muss ein so genanntes »Diploma supplement« ausstellen, in dem alle Studienleistungen zusammen dargestellt werden. Es soll eben nicht nur das klassische Abschlusszeugnis geben, aus dem letztendlich kaum etwas hervorgeht. Es soll gezeigt werden, wie der Verlauf des Studiums war.

 

CS: Wenn es aber nur zwei Module gibt...

 

HT: ...zwei verpflichtende Module.

 

CS: Dann verstehe ich das immer noch nicht. Wie kann das Credit-Point-System angewendet werden, wenn es nur zwei verpflichtende Module gibt? Und es können - müssen aber nicht - mehr sein? Wie passt das zusammen?

 

HT: Es gibt zwei verpflichtende Module. Nehmen wir zum Beispiel den freien Künstler. Dem wird aufgegeben, ein verpflichtendes Modul beispielsweise in Kunstgeschichte und ein weiteres Modul in Theorie der ästhetik zu machen. Er hat dann zwei verpflichtende Module, und wie viele Stunden sie betragen, bestimmt die Hochschule. Daneben gibt es aber die anderen Lehrveranstaltungen, die nicht verpflichtende Module sind. Der Student kann sich diese wählen, und die Fachbereiche geben mit den Studienplänen Empfehlungen ab, wie die/der einzelne Studierende dann ihr/sein Studium sinnvoll aufbauen kann.

 

CS: Gibt es denn andere Kunsthochschulen in der Bundesrepublik, die bereits Module in der Kunstausbildung entwickelt haben?

 

HT: Ja. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) macht zweimal im Jahr eine statistische Erhebung über den Stand der Einführung von Bachelor-/Master-Studiengängen. In der letzten Erhebung weist sie für die Fächergruppe Kunst und Musik insgesamt - also auch in den traditionellen Studiengängen - 1060 aus, davon sind 25,3% Bachelor-/Master-Studiengänge, also 268.

 

CS: Die Bachelor-/Master-Studiengänge der HfbK werden in diese Statistik dann auch hinein gerechnet, obwohl es inhaltlich nicht so ist, dass es viele Veränderungen gibt. Das heißt, es ist schwer einzuschätzen, was diese Zahlen wirklich aussagen...

 

HT: Ja, bei diesen Zahlen muss man auch noch aus anderen Gründen vorsichtig sein. Ich habe noch eine zweite Auflistung aus dem Hochschulkompass mitgebracht. Wenn man da eingibt »Bachelorabschluss an Kunst- und Musikhochschulen«, bekommt man die namentlich alle ausgeworfen. Der Hochschulkompass zählt 57 Bachelorstudiengänge im Kunst- und Musikbereich und 44 Masterstudiengänge. Da ist auch Tanz, Lichtgestaltung, Maskenbild dabei (es gibt z.B. einen Bachelor in Maskenbild).

 

CS: Wenn man sich die Homepages der Kunsthochschulen ansieht, sei es nun München, Leipzig oder Stuttgart, dann haben die offenbar alle Schwierigkeiten, das neue System zu beschreiben. Es bleibt alles sehr vage, oftmals werden Bachelor oder Master überhaupt nicht genannt. Im Vergleich zu den Schweizer oder Österreichischen Hochschulen, die den Umorganisationsprozess vehement betrieben haben oder betreiben, erscheint das doch alles noch sehr diffus.

 

HT: Wenn man nach 10 Jahren Reformprozess auf die Entwicklung zurückblickt, dann gab es in allen Bereichen zunächst heftige Widerstände gegen das neue System. »Es mag ja sein, dass die Umstellung in der Betriebswirtschaft klappt, aber auf keinen Fall in der Germanistik, auf keinen Fall in den Ingenieurwissenschaften«. Also, diese Reflexe gab es überall, und in der Rückschau haben eigentlich alle, jedenfalls alle die ich kenne, erklärt, »es war zwar schwierig, das neue System einzuführen und es hat unglaubliche Arbeit und Mühe gekostet, aber eins war toll: Wir haben zum ersten Mal mit unseren Kollegen über unser Fach gesprochen, wir haben zum ersten Mal uns darüber ausgetauscht, was eigentlich unser Fach ausmacht.« Und ich habe den Eindruck, die Künstler entziehen sich ein Stück weit diesem Diskussionsprozess, immer mit dem Hinweis darauf, dass das, was Kunst ist, nicht verhandelbar sei. Kunst sei eben ein »Offenbarungserlebnis«.

 

CS: Vielleicht ist das, was sich da offenbart, einfach Arbeitsverweigerung? Ich habe ja selber in den 1980ern zuerst an einer Akademie und dann an einer Kunsthochschule studiert und weiß aus eigener Erfahrung, dass die »Nichtlehrbarkeit von Kunst« oft einfach nur als Vorwand dient für Lehrende, um nichts tun zu müssen (mein Professor in München kreuzte allerhöchstens einmal im Monat in der Akademie auf und meist gab es nicht einmal dann Gelegenheit, mit ihm zu sprechen, ganz zu schweigen von Lehrveranstaltungen...) was dann im übrigen von den Studierenden meist auch begrüßt wurde, weil die dann auch nichts tun mussten ... und das Ganze im Namen der Freiheit und Nichtlehrbarkeit von Kunst...

 

Es würde mich interessieren, ob es von den Konferenzen der Kunsthochschulrektoren konkrete Argumente gibt, mit denen begründet wird, weswegen die Einführung des neuen Systems ausgerechnet bei der Kunstausbildung nicht gelten soll. Für mich liegt da der Kernpunkt, denn darin drückt sich das herrschende Kunstverständnis und Künstlerbild aus, damit wird Kunstpolitik gemacht.

 

HT: Also ein Argument, das immer wieder in den Diskussionen auftaucht, ist »die Natur des künstlerischen Reifungsprozesses«. Man argumentiert, der künstlerische Reifungsprozess lasse sich nicht messen und lasse sich auch nicht bewerten, deswegen komme auch eine Modularisierung nicht in Frage. Das ist der eine Punkt. Bisweilen wird die Verweigerung auch politisch begründet, im Sinne einer Kritik am Neoliberalismus.

CS: Dieses Argument kann man ja auch nicht von der Hand weisen. Die Privatisierung schreitet voran, auch in der Ausbildung. Der Staat versucht, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Paradoxerweise wird oft aber das Vorbild für Selbstorganisation und immaterielle Arbeit, nämlich der Künstler, jetzt wieder als widerständiges Modell ins Feld geführt. Meines Erachtens muss genau an dieser Stelle die Diskussion geführt werden.

 

Die etwas verengte Perspektive, dass Kunstausbildung nun auch marktorientiert stattfinden wird, greift allerdings meiner Ansicht nach nicht. Lediglich 2-5 Prozent der Studierenden, die als KünstlerInnen ausgebildet werden, verdienen später in diesem Beruf ihr Geld. Und das kann man durch eine verbesserte Ausbildung, so denke ich, auch nicht ändern. Der Grund für diese geringe »Erfolgsquote« liegt wohl eher an der Funktionsweise des Kunstbetriebes. Konsequenterweise müsste man, unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet, Kunsthochschulen einfach sofort schließen.

 

Gibt es denn Stellungnahmen dazu von den Hochschulen, wie man diesen »freien Reifungsprozess«, den Sie vorhin erwähnten, durch die Lehre unterstützen kann, und welche Art von Input für diesen Reifungsprozess förderlich ist? (lacht). Oder kann man keinen Einfluss darauf nehmen?

 

HT: So wie ich die Diskussion wahrnehme, eigentlich gar keinen.

 

CS: Und die Funktion der Hochschule ist dann eigentlich nur, ein Gebäude zur Verfügung zu stellen, in dem Teile dieses Reifungsprozesses unbeeinflusst von der Außenwelt stattfinden können? Im Sinne von Beuys, »die Akademie ist deswegen brauchbar, weil sie heizbar ist, sie hat Räume und es regnet nicht herein, also ist sie irgendein Ort, ich würde ihn nicht speziell deklarieren.« [2]

 

HT: Meine ausweichende Antwort auf eine rhetorische Frage ist: Ich würde mir wünschen, dass der Bologna-Prozess dazu führt, dass sich die Kunsthochschulen offensiver der Frage öffnen, was denn gute Lehre an der Kunsthochschule ausmacht und wie sie beschreibbar ist. Bildungsprozesse sind immer rätselhaft - das sieht bei den Künstlern nicht anders aus als beispielsweise bei den Erziehungswissenschaftlern oder Informatikern. Immer geht es um Kants pädagogisches Paradox: »Wie führe ich jemandem zur Freiheit bei dem Zwange?« Wie leite ich jemanden dazu an, dass er meiner Leitung nicht mehr bedarf? Immer geht es darum, eine spezifische Problemlösungskompetenz zu generieren - und zwar eine, die sich nicht immer auf überkommene Lösungen verlassen kann. Die Kunsthochschulen machen es sich zu einfach, wenn sie sich dieser Diskussion entziehen.

 

CS: In der Beschreibung der HfbK zu ihrem Studiengang tauchen auch Mindestvoraussetzungen für eine Berufsqualifikation auf. Da sollen auch »Skills« (Fertigkeiten), Kompetenzen und »Knowledge« (Wissen) vermittelt werden.

 

HT: Die Integration solcher Studieninhalte ist sehr wichtig, um den Studierenden zusätzliche Optionen zu eröffnen und veraltete Studienstrukturen aufzubrechen. Es gibt ein paar Studienbereiche, die offensichtlich fehljustiert sind, aber über ein großes Beharrungsvermögen verfügen. Wenn 100% der Jurastudenten in den letzten Semestern zum Repetitor rennen müssen, um examensfit gemacht zu werden, dann stimmt etwas mit dem Studium nicht. Trotzdem ist das Jurastudium seit 50 Jahren so. Und niemand ändert etwas daran. Bei den Kunststudenten ist es das gleiche. Wenn nur 2 bis 5% es tatsächlich schaffen und freie Künstler werden, dann stimmt etwas mit dem Studium nicht. Dann ist irgendwas falsch.

 

CS: Das kann man nicht einfach so rückschließen. Das Verhältnis zwischen der Qualität der Ausbildung und den Erfolgschancen im Beruf ist in der Kunst sehr komplex. Ein gutes Diplom (oder ein Bachelor oder Master) in der Freien Kunst qualifiziert einen sicher nicht zwangsläufig für eine Künstlerkarriere (und eine nicht bestandene ebenso wenig), da Qualitatsbestimmung im Kunstbetrieb immer ideolgisch besetzt ist. gute Kunst ist immer die, die den Interessen des jeweils Urteilenden dient.

 

Künstlersein ist kein Beruf, in dem man sich anstellen lassen kann. Insofern ist die Vorgabe, für den Arbeitsmarkt auszubilden in Bezug auf KünstlerInnen schlichtweg unmöglich - selbst wenn man es wollen würde. Was gibt es also für Möglichkeiten, sich als freier Künstler zu betätigen? Entweder man setzt sich in einem »The-winner-takes-it-all«-Markt durch und bedient mit Hilfe der entsprechenden Galerien die Bedürfnisse derjenigen Schicht, die den Diskurs beherrscht und Kunst kauft. Oder, wenn man das nicht will, versucht man sich in einem anderen Bereich durchzuschlagen, mit Projekten, Auftragskunst, Kunst im öffentlichen Raum etc., also letztendlich öffentlichen Geldern. Wie viele oder wenige KünstlerInnen davon leben können hängt davon ab, wie viel Geld eine Gesellschaft (Stadt/ Land/ Bund) dafür zur Verfügung stellt und wie es dann vergeben wird. Und wie wir wissen, wird dieses Geld immer weniger, insbesondere das, was für wirklich freie Zwecke zur Verfügung steht und nicht beispielsweise für Stadtentwicklungspolitik instrumentalisiert wird.

 

Interessanterweise eröffnet sich durch die aktuelle Entwicklung einer »Forschungskunst«, die an wissenschaftlichen Instituten betrieben wird, so eine Art dritter Weg. Das kann man in Großbritannien deutlich wahrnehmen. Es werden ungeheure Summen für künstlerische Forschung zur Verfügung gestellt, was eine ganz neue Art von künstlerischer Praxis an Universitäten hervorgebracht hat. Da das auch öffentliche Gelder sind, könnte man diese Entwicklung interpretieren als eine Umschichtung von einer traditionellen staatlichen Kunstförderung hin zu einer Förderung forschungs-orientierter Kunst. Kein Wunder, dass traditionelle KünstlerInnen dagegen Sturm laufen... Diese Entwicklung haben wir hier in Deutschland vielleicht noch vor uns.

 

Ob KünstlerInnen ihr Geld mit Kunst verdienen können, hängt also nicht in erster Linie von ihrer Ausbildung ab. Und den Weg zu gehen, KünstlerInnen handwerklich auszubilden, in Grafikdesign, im Umgang mit Computern, im Projektmanagement etc., um sicherzustellen, dass sie nach der Ausbildung Geld verdienen können, bedeutet nichts anderes, als von vorne herein davon auszugehen, dass sie nicht als freie KünstlerInnen werden überleben können. Dieses Konzept nimmt meines Erachtens Kunst als Beruf nicht ernst, sondern schreibt ihr eher Hobbystatus zu.

 

HT: Was würde sich also ändern, wenn KünstlerInnen anders und besser ausgebildet würden?

 

CS: Sie würden zuerst einmal einfach andere, vermutlich bessere und interessantere Kunst machen ... Aber diese Kunst wäre vermutlich für den Kunstmarkt ebenso uninteressant. Vielleicht bleibt deswegen kein anderer Weg, als künftig Kunstschaffen über Forschungsmittel sicherzustellen... Ich finde das nicht ganz verkehrt, denn die Kunst, die ohne Theorie und Reflexion auskommen will, ist ja auch die, die einem bürgerlichen Künstlerbild und damit auch dem Kunstmarkt eher entspricht.

 

HT: Vermutlich haben auch nicht alle, die Kunst studieren, die Absicht, später als KünstlerInnen zu arbeiten?

 

CS: Ich glaube nicht, dass die jungen Leute zur Kunsthochschule allein mit dem Ziel einer künstlerischen Persönlichkeitsentwicklung gehen, sondern mit dem festen Vorsatz, dass sie KünstlerIn werden wollen, als Beruf, um zu experimentieren, um damit Einfluss zu nehmen, Anerkennung zu bekommen und Geld zu verdienen. Wenn sie das nicht schaffen, es nicht klappt, ist das eine andere Sache. Aber Kunst studieren Leute, die eine Leidenschaft, eine Passion haben...

 

HT: Aber auch die, denke ich, kommen um eine Theorie nicht herum. Es wäre doch furchtbar zu sagen, man ist eben Künstler und man klinkt sich widerständig-inkommensurabel aus allen gesellschaftlichen Kontexten aus. Auch wenn ich mich als widerständiger Künstler verstehe oder verstehen will, muss ich wissen, gegen was leiste ich eigentlich Widerstand, was ist diese Gesellschaft, gegen die ich opponiere und der ich meine Ansichten mitteile. Auch dann brauche ich eine Theorie. Ich habe zum Beispiel nie verstanden, warum man eine Theorie der ästhetik von Adorno im germanistischen Seminar abprüfen und darüber eine Seminararbeit schreiben kann, aber an einer Kunsthochschule dies nicht möglich sein soll.

 

CS: Die Frage, die sich mir stellt ist, was haben die Leute im Sinn, die sich gegen den Reformprozess stellen. Die Kritik ist mir im Hinblick auf Kunstbegriffe (inklusive der Frage, wer für Kunst Geld bezahlen soll) und KünstlerInnenbilder viel zu ungenau. Nicht wenige der Bologna-Gegner lobpreisen nun ja wieder das alte Akademie-Modell und sagen, früher war alles gut und wir waren frei, und heute wird alles verschult und kontrolliert. In meinem eigenen Studium habe ich diese totale Freiheit und Unstrukturiertheit nicht nur als positiv wahrgenommen. Es war extrem autoritär, in vielerlei Hinsicht reaktionär (geschlechterpolitisch beispielsweise) weitgehend inhaltsleer und nicht selten einfach sinnlos. Insofern kann »Bologna« auch eine Chance sein, ein vormals schlechtes Ausbildungssystem zu verbessern, aus einer Nicht-Ausbildung eine Ausbildung zu machen und eine Diskussion darüber zu führen, was eine Kunstausbildung sein sollte. Ich denke, dass es diese Chance gibt. Die Frage ist nur, ob die Leute an den Hochschulen in der Lage und willens sind, sie zu nutzen.

 

HT: Eigentlich - das ist vielleicht eine etwas provokante These - kommt der Bolognaprozess den künstlerischen Hochschulen in extremer Weise entgegen. Bologna impliziert - das ist durch Beschlüsse belegt - eine Abkehr vom Lehrinput der Professoren. Bologna sagt: "Wir wollen nicht wie früher messen, welche Leistungen die Professoren in Semesterwochenstunden erbringen, das interessiert uns nicht mehr. Sondern wir gucken: Was wird von den Studierenden als »Learning Outcome« erwartet? Wenn zum Beispiel die Hochschulen die Module beschreiben, dann müssen sie angeben, welche Kompetenzen soll der Studierende bei Anwendung des Moduls erwerben. Das ist - es wird leider zu wenig wahrgenommen! - , ein Quantensprung, eine völlige Abkehr von dem, was man früher gedacht hat. Früher war der Professor der zentrale Punkt. Er hat gelehrt und die Lehre ließ sich in Semesterwochenstunden beziffern. Und Bologna sagt: »Uns interessiert nur, was für Kompetenzen erlangen die Studierenden?« Das müsste eigentlich für die Kunsthochschulen hochattraktiv sein, im Prinzip ist es das, was sie immer gefordert haben.

 

CS: Das sehe ich nicht so. Lehre sollte zwar nicht quantifizierbar sein, aber gerade deswegen war sie extrem auf die Person des (traditionell männlichen) Professors fixiert ...

 

Gibt es eigentlich Überlegungen dazu, ob eine eigenständige Kunsthochschule überhaupt noch sinnvoll ist?

 

HT: In Hamburg ist dies im Moment kein Thema.

 

CS: Wäre es nicht naheliegend, die Kunstausbildung an die Universität anzugliedern, so wie es zum Beispiel auch Duchamp vorgeschlagen hat? Er plädierte dafür, dass Künstler an der Universität studieren sollten, um eine Ausbildung zu erhalten, die sie anderen Akademikern ebenbürtig macht. [3]

 

HT: Das steht gegenwärtig nicht auf der politischen Agenda.

 

Vielleicht sollten wir noch über einen anderen Punkt sprechen, der mit dem Bologna-Prozess untrennbar verbunden ist, die Aufwertung der Lehre. Universitäten definieren sich in der Regel über die Forschung und Kunsthochschulen über ihre Documenta-Teilnehmer und Kunstmarkt-Helden. Der Bologna-Prozess verlangt, dass hier die Gewichte neu austariert werden. Die Lehre als Kernaufgabe einer Hochschule erhält ein neues Gewicht. Aus diesem Grund wird gegenwärtig in Hamburg ein Lehrpreis für alle Hamburger Hochschulen eingeführt, mit dem gute Lehre sichtbar gemacht und honoriert werden soll. Das Konzept dazu wird gegenwärtig mit den Hochschulen ausgehandelt.

 

CS: Aber wenn, erstens, Kunst gar nicht gelehrt werden kann, man, zweitens, deshalb diese Lehre gar nicht beschreiben kann, wie sollte man sie dann im Hinblick auf einen Preis bewerten? (lacht).

 

Dabei hat es gerade in der Kunst immer wieder ganz außergewöhnliche Lehransätze gegeben, man denke an Beuys oder Filliou oder viele andere. Ich kann mit vorstellen, so ein Preis könnte auch Anreiz sein, zu experimentieren...

 

HT: Für den Lehrpreis würden dann auch die Studierenden befragt, deren Voten maßgebliche Bedeutung zukommen wird. Es wäre doch hoch interessant zu erfahren, was die Studierenden an einer Kunsthochschule von der Lehre erwarten.

 

CS: Wobei die halt einfach auch nicht wissen, was nach dem Studium auf die zukommt und deswegen vielleicht etwas eingeschränkt sind in ihrem Urteilsvermögen. Vielleicht sollte man auch Leute mit Berufserfahrung fragen, die mit etwas Abstand zu ihrem eigenen Studium aus der Praxis heraus beschreiben, was sie als sinnvolle Ausbildung betrachten würden.

 

Hier komme ich noch auf eine andere Frage: »Qualitätsmanagement«. Dieser Begriff hat sich aus der Wirtschaft eingeschlichen. Wofür steht er in der Ausbildung? Und ist das bereits mit der HfbK diskutiert worden?

 

HT: Ja. Der Begriff des Qualitätsmanagements geht davon aus, dass es primär die Hochschulen selbst sind, die für die Qualität ihres Ausbildungsangebotes zuständig sind. Sie müssen entsprechende Verfahren und Zuständigkeiten definieren. Bei der sogenannten »Programmakkreditierung« wird überprüft, ob Studiengänge internationalen Standards entsprechen. Demnächst können sich Hochschulen alternativ auch einer »Systemakkreditierung« unterziehen. Hier wird geprüft, ob sie ein internes, auf Dauer angelegtes Qualitätsmanagement haben, das eventuelle Fehlentwicklungen beseitigt.

 

CS: Zu dem Stichwort »Akkreditierung« gehört auch noch das Stichwort »Bürokratisierung«. Einer der Hauptvorwürfe gegen Bologna ist, dass in allererster Linie monströse Papierschlachten veranstaltet werden müssen, die die meisten Kapazitäten an den Hochschulen binden und dadurch die Lehre zunehmend zu kurz kommt. Können sie dazu etwas sagen?

 

HT: Die Akkreditierungsverfahren sind unbestritten aufwändig, gerade für Hochschulen, die noch wenig Erfahrung mit dieser Art der Qualitätssicherung haben. Doch in den meisten Fällen - auch wenn eine Akkreditierung mit Auflagen verbunden war - haben die Hochschulen anschließend gesagt: »Es hat sich für uns gelohnt, unser Angebot extern zur Diskussion zu stellen. Der Blick von außen war hilfreich.«

 

CS: Nun zu einer anderen Frage. Inwieweit unterliegen die Hochschulen (noch) einem ministeriellem Druck? Es wird ja oft suggeriert, dass es einen direkten Zusammenhang gibt, zwischen der Höhe der zur Verfügung gestellten Mittel und dem Grad der Anpassungswilligkeit. Hat sich das nicht geändert, seitdem die Hochschulen ein festes Budget haben, das sie selber verwalten?

 

HT: Das ist etwas kompliziert. Wir haben in Hamburg das so genannte »Drei-Säulen- Modell«. Die Hochschulen erhalten für den Unterhalt einen Fixbetrag (»Grundbudget«), sie kriegen einen Betrag für Innovationen (»Innovationsbudget«) und sie bekommen zusätzliches Geld - darin steckt nun in der Tat ein Leistungsaspekt - für die Erreichung bestimmter Indikatoren, an denen der Erfolg einer Hochschule gemessen wird, wie zum Beispiel die Frauenquote (»Leistungsbudget«). Hier wird geprüft, was die Hochschulen zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmtem Bereich getan haben, um die Frauenquote zu erhöhen.

 

Bologna und Studiengebühren

CS: Eine weitere Frage gilt der Erhebung von Studiengebühren. Das ist auch das Thema, zu dem die HfbK im letzten Jahr den meisten Wirbel gemacht und die meiste Aufmerksamkeit bekommen hat. Studiengebühren werden ja oft in der Debatte gegen und im Gerangel um die Studiengebühren direkt in Verbindung gebracht mit der Studienreform und ich würde gerne wissen, wie dieses zusammenhängt?

 

HT: Es hängt überhaupt nicht zusammen. Weder der Bologna-Prozess noch irgendein KMKBeschluss gibt hier einen Zusammenhang vor. Dies ist immer wieder von einigen Studierenden, insbesondere denen der HfbK, miteinander verquickt worden. Das Bachelor- Master-System ist nicht »kapitalistischer« als es das Diplomsystem war.

 

CS: Aber wieso fallen die Einführung von Studiengebühren und das neue Studiensystem zeitlich zusammen?

 

HT: Es fällt nicht zusammen. Das Bachelor-/Master-System ist in Hamburg an der TUHH bereits in den neunziger Jahren eingeführt worden. Die HfbK ist nur eine der letzten Hochschulen in Hamburg, die nun, im Jahr 2008, einsteigt.

 

CS: Die letzte Hamburger Hochschule?

 

HT: Ja, die Musikhochschule ist zwar auch noch nicht so weit, sie hat aber schon einige Masterstudiengänge. Und Studiengebühren sind 2006 von der Bürgerschaft für alle Hamburger Hochschulen zeitgleich beschlossen worden. Danach sind alle Hochschulen verpflichtet, Studiengebühren einzuführen. Das ist, wie gesagt, nur für die HfbK eine zeitliche Koinzidenz. Dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat, wird auch dadurch deutlich, dass die Bologna-Erklärung von Seiten der Länder (für die KMK) durch Frau Erdsiek-Rave (SPD) und für den Bund durch Frau Bulmahn (SPD) unterzeichnet worden ist - beides eingefleischte Gegnerinnen von Studiengebühren. Die haben mit Sicherheit bei der Unterzeichnung nicht an Studiengebühren gedacht.

 

Die künstlerische Promotion

CS: Nun zur letzten Frage. Ich glaube, die meisten, die dieses Interview lesen werden, sind KünstlerInnen und für viele mag es interessant sein, ob sie an der HfbK jetzt oder zukünftig in der Freien Kunst promovieren können.

 

HT: Generell ist es so, dass ein Master zur Promotion berechtigt, egal, ob er an einer Universität oder an einer Fachhochschule erworben ist. Aber unter den Sonderbestimmungen der KMK für die Kunst heißt es: »Masterabschlüsse an Kunst- und Musikhochschulen berechtigen zum Promotionsabschluss nur insoweit, als mit dem Masterabschluss eine hinreichende wissenschaftliche Qualifikation für den Promotionsabschluss erworben wurde.«

 

CS: (Lacht). Und wie findet man das heraus?

 

HT: Man muss bei den künstlerischen Hochschulen prüfen - und das ist die Vorgabe der KMK - welcher Art der »Master« ist. Handelt es sich beispielsweise um einen Abschluss, in dem der/die Studierende in einer sogenannten Meisterklasse studiert hat, in der ein Professor und ein Schüler zwei Jahre lang gemeinsam irgendwie irgendetwas gemeinsam gemacht haben, ist nicht unmittelbar evident, ob hier wirklich jemand in die Lage versetzt wurde, vertieft selbständig wissenschaftlich zu arbeiten.

 

CS: Das ist dann eine Art »master class«-Master...

 

HT: ...oder ist es ein Master, der tatsächlich wissenschaftlich geprägt ist. Und nur mit diesem wissenschaftlich geprägtem Master erwirbt man das Promotionsrecht.

 

CS: Das ist ja völlig absurd. Damit wird wieder eine Unterscheidung eingeführt innerhalb eines Systems, dessen Hauptanliegen ist, Hochschulausbildungen und Abschlüsse vergleichbar zu machen, das Harmonisierung anstrebt! Macht sich der Unterschied dann an der einzelnen Hochschule fest, wenn man beispielsweise in München den Master gemacht hat, dann gilt dies nicht als Voraussetzung für die Promotion. Aber wenn man in Braunschweig den Master erreicht hat, dann kann man promovieren?

 

HT: Ja, wer promovieren will, sollte sich genau ansehen, welches Master-Programm im Bereich der Kunst er absolviert. Nur man muss sich auch vergegenwärtigen, promovieren heißt nun mal, dass man an einer Hochschule wissenschaftlich arbeiten kann und der Studierende muss diese Befähigung auch nachweisen. Absurd finde ich das nicht - absurd finde ich die Vorstellung, jemand könne als wissenschaftliches Erstlingswerk eine Promotion schreiben.

 

CS: Der herkömmliche Kunststudent kann aber sicher nicht wissenschaftlich arbeiten. Die Kunsthochschule ist doch in dieser Hinsicht eher wie eine Sonderschule.

 

Und wie ist es jetzt in Hamburg? Wir nehmen den Fall an, dass eine Künstlerin hier ein Diplom mit Auszeichnung erworben hat und nun promovieren möchte.

 

HT: In den Ziel- und Leistungsvereinbarungen 2008 mit der HfbK hat die Behörde dem Wunsch der HfbK zugestimmt, ein Programm einzuführen, dass zum »Dr. phil. in artibus« führt.

 

CS: Wird denjenigen - das ist ja immer in Zeiten des Übergangs interessant - , die Kunst studiert haben und fertig sind, aber bisher nur ein Diplom haben, der Zugang zur Promotion ermöglicht oder fallen die raus und haben nur diejenigen eine Chance, die jetzt einen Master erwerben?

 

HT: Das kann man nicht generell beantworten. Die Hochschulen müssen eine Promotionsordnung machen und sie müssen darin regeln, wer zur Promotion zugelassen werden kann. Wenn darin steht, neben dem Master in diesem oder jenem Bereich können auch Diplomabschlüsse zugelassen werden, dann ist dies möglich.

 

CS: Das heißt, es bleibt den Hochschulen überlassen, wen sie zulassen wollen.

 

HT: Ja, allerdings muss das Ministerium erst der Hochschule das Promotionsrecht verleihen. Dabei wird zuvor auch geprüft, ob die Promotionsordnung einen Adressatenkreis im Auge hat, der in der Lage ist »den Nachweis der Befähigung zu vertiefter selbständiger wissenschaftlicher Arbeit« zu erbringen, wie es im Hamburgischen Hochschulgesetz (§ 70) heißt.

 

CS: Richtig kompliziert wird es dann, wenn man eine künstlerische Promotion als ein eigenes Verfahren versteht, das nicht (nur) herkommlichen Kriterien der Wissenschaftlichkeit entspricht, sondern eben künstlerische Quaifikationen als wichtigen Bestandteil miteinbindet. Wie will man dafür Inhalte, Beschreibungen und Kriterien entwickeln, wenn es schon für die einfache Lehre kaum möglich ist?

 

Und ich finde den Widerspruch interessant, dass manche Kunsthochschulen auf der einen Seite sagen, wir wollen nicht quantifizierbar und qualifizierbar ausbilden, aber dann doch das Promotionsrecht haben. Spätestens an dieser Stelle müssten sie doch in der Lage sein, genau zu begründen, warum sie das wollen und was es sein soll. Um es etwas polemisch auszudrücken: Ist eine Promotion für einen echten Künstler nicht sogar schädlich? Zuviel intellektuelle Betätigung könnte womöglich die Reinheit des Gefühls und des Ausdrucks beeinträchtigen...

 

Sehr viel an dieser ganzen Diskussion kommt mir sehr unausgegoren und absurd vor, auf allen Seiten, aber dass die Kunsthochschulen und Künstler es immer wieder schaffen, ihr »Anderssein« zu perpetuieren ist auf jeden Fall eine tolle Leistung.

 

HT: Das ist alles - nicht zufällig - das Resultat einer nicht zu Ende geführten Diskussion: »Was ist eigentlich das Selbstverständnis einer Kunsthochschule? Wie verstehen wir uns? Was heißt die Vorsilbe »Kunst« und was die Nachsilbe »Hochschule«? Ist das ein schwarzer Schimmel? Ich denke nicht. Der Bologna-Prozess könnte wirklich eine gute Gelegenheit sein, neu über die Zusammensetzung des Wortes nachzudenken.

 

 

[1] Dr. Holger Tiedemann ist promovierter Theologe und arbeitet in der Behörde für Wissenschaft und Forschung in Hamburg, wo er zuständig ist für Grundsatzfragen von Studium und Lehre. Er legt Wert auf die Feststellung, dass es sich bei seinen Ausführungen um seine persönliche Meinung und nicht um eine offizielle Stellungnahme der Behörde handelt. Cornelia Sollfrank ist Künstlerin und arbeitet zur Zeit an einer künstlerischen Dissertation an der Universität von Dundee, Schottland.

 

[2] in einem Gespräch mit Friedrich Heubach, »Zur idealen Akademie.«

 

[3] »Soll der Künstler an die Universität gehen?«, Vortrag, 1960

 
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