Sehr geehrter Herr André Trepoll,
als Mitglied der Initiative „Künstler informieren Politiker“ www.tamm-tamm.info möchte ich Sie über meine Sorgen und Zweifel betreffend des geplanten Tamm-Museums in Kenntnis setzen.
Ich habe am letzten Montag das "Wissenschaftliche Institut für Schifffahrts- und Marinegeschichte Peter Tamm" besucht und kann nicht verstehen, wie und warum das zweitgrösste Museum Hamburgs mithilfe von € 30 Mio. städtischen Zuschüssen auf der Grundlage des Institutsbesitzes errichtet werden soll.
Was ich gestern sah, vermittelte den starken Eindruck, dass die Entstehung dieser Sammlung viel weniger aus wissenschaflicher Auseinandersetzung (bei der immer auch Begeisterung teilhat) entstand als aus einer ausserordentlichen (fast unglaublichen) Leidenschaft, die eher unter die Rubrik "Hobby" fällt. Nun ist es wahr, dass inspirierte Amateure im Bereich Kunst ab und zu historisch sehr wertvolle Sammlungen aufgebaut haben. Solche Sammler konnten ihre Tätigkeit trotz historischer Naivität oder Einseitigkeit oftmals sinnvoll betreiben. Herr Tamm macht selbstverständlich keinen Anspruch darauf, dass seine Sammlung aus Kunst bestehe, sondern aus historischen Artefakten. Hier stosse ich auf Probleme.
1. Die Exponate des Instituts per se passen eher zu einem "Schiffsmodelle und Schiffsmalerei Museum" als zu einem "Internationalen Maritimes Museum". Die Welt des Schiffsmodellbaus ist nicht zu verwechseln mit der Welt des Schiffbaus. Ich vermute, dass der Modellbaukasten Hersteller "Revell" die Quelle für viele der (undatierten) Modelle war – ein Verpackungskarton der Firma war, vielleicht versehentlich, in einer chaotisch-gestalteten Vitrine zu sehen. Als Seeliebhaber und Segler würde ich mich freuen, wenn die Stadt Hamburg, nachdem sie sich um aus meiner Sicht dringendere Prioritäten gekümmert hat, ein "Internationales Maritimes Museum" eröffnete. Meine Vorstellungen von einer solchen Einrichtung kann nur beeinflusst sein von dem, was mir bekannt ist: das "National Air and Space Museum" in meiner Heimatstadt, Washington, D.C.. Dieses Museum hat 9,3 Millionen Besucher pro Jahr und stellt echte Flugzeuge, Raumfahrtmodule, Satelliten und Raketen aus, nicht Modelle davon. Es beinhaltet dutzende Simulationen, die Rechner, Beamer, Maschinen und Ventilatoren zum Einsatz bringen, um BesucherInnen zu helfen, komplexe Themen wie z.B. Düsenantrieb oder Turbinen zu verstehen. Um diesen Anspruch ernsthaft zu erfüllen, hat das NASM ein jährliches Budget von ca. $ 30 Mio. und 260 Vollzeit-Angestellte. Sein Ansatz verbindet Wissenschaft und Pädagogik in einer sehr innovativen Art und stellt qualifiziertes Personal und entsprechende Mittel dafür zur Verfügung. Die Bezeichnung "Internationales Maritimes Museum" für die erweiterte Modellbau-Sammlung Tamms kann, wie ich befürchte, nur zu sehr ungünstigen Vergleichen von Seiten internationaler Touristen einladen.
2. Bei vielen der Exponate blieb mir die Notwendigkeit, sie in einem internationalen Museum auszustellen, fragwürdig. Die Datierung von über 80% aller Modell-Exponate war nicht zu erkennen. Stattdessen waren sie als Artefakte aus der Zeit des jeweilig dargestellten Schiffs präsentiert. Konnte ich (dank zufälliger Hinweise auf den Modellen selbst) ein Datum feststellen, handelte es sich um die 1970er oder die 1980er Jahr. Eine chronologisches Durcheinander charakterisierte auch die Hängung der Gemälde zum Thema Zweiter Weltkrieg: Arbeiten von Zeitzeugen aus den 40er Jahren hingen neben 70er Jahre Retro-Adaptionen zum selben Thema. Die künstlerische Qualität von 3/4 der Bilder schien mir darüber hinaus sehr gering. Damit meine ich, dass es um Maler geht, deren Werke vielleicht ihre handwerkliche Funktion erfüllen, aber keinerlei Bedeutung für die Entwicklungsgeschichte der Kunst haben.
3. Der spektakularistische "cabinet de curiosités"-Ansatz, bei dem Kaiser Paraphenelia (Speisekarten, Porzellan), von Kriegsgefangenen hergestellte Schiffsmodelle, Pinguinskulpturen aus Walknochen, Kopfkissen mit U-Boot Motiven, und Werbung für 30er Jahre Luxus Kreuzfahrten zusammenwürfelt wurden, wird leider in dem Moment zu unerträglicher eschmacklosigkeit, wenn er Uniformen und Medaillen mit Hackenkreuzen einbezieht. Ich glaube fest daran, dass diejenigen, die Akteure, Ereignisse und Artefakte des Dritten Reichs und Zweiten Weltkriegs präsentieren wollen, anstreben sollten, die volle Dimensionen dieser Ereignisse darzustellen. D.h. es gilt, eine Präsentationsart zu finden, mit der sich vor allem die Opfer dieser Zeit einverstanden erklären können. (Dabei beziehe ich Opfer der amerikano-europäischen Kolonialpolitik mit ein). Ich hatte das Privileg am 2. Mai 2004 als Dolmetscher für eine Gruppe von ca. 15 KZ-Überlebenden zu arbeiten. Zusammen haben wir ein Hamburger Museum und eine Gedenkstätte besucht. Die Gäste haben die zwei Einrichtungen (im Allgemeinen positiv) bewertet. Ich befürchte, das das zukünftige "Internationale Maritime Museum" sich nicht in dieser Art beweisen könnte. Warum? Nicht nur, dass Herrn Tamm´s Präsentation von prächtiger Maschinerie eine spontanistisches und einseitiges Bild vom Krieg darstellt. Nach Beschluss der Bürgerschaft (und Ihnen?) soll Herr Tamm und seine Stiftung, "das alleinige Entscheidungsrecht über die Präsentation der musealen Sammlung Peter Tamm, die Auswahl der Exponate, die Gewährung und Entgegennahme von Leihgaben, die Durchführung von Ausstellungen, Vorträgen" haben. Leider ist es eine Tatsache, dass der Verlag Koehler Mittler, den Herr Tamm besitzt, ein Buch (ausgerechnet mit den Titel "Der Krieg-Gestern, heute, morgen?") von Franz Uhle-Wettler – Autor der rechtsradikalen Zeitung "Junge Freiheit" – über die Website des Verlags (www.koehler-mittler.de) verkauft.
Als Franzose, dessen Familie unter deutscher Besetzung gelebt und gelitten hat, sehe ich nicht, wie eine so exponierte Rolle für den verwirrten Peter Tamm in Hamburg´s Museumslandschaft mit Hamburg´s Anspruch auf "Weltoffenheit"vereinbar sein soll, noch wie sie sich mit der Verantwortung für die Darstellung von Ereignisse des Zweiten Weltkriegs im deutschen Kontext verträgt.
Aus den genannten Gründen und als Bürger der Stadt möchte ich Sie um ein Gespräch bitten. Mein Terminkalender ist zur Zeit recht flexibel, so wäre ich für einen Terminvorschlag von Ihrer Seite sehr dankbar.
Herzlichen Gruß,
Michel Chevalier
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